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Alt gegen Jung im Job: „Ihr setzt uns mit euren Gefühlen unter Druck!“
Zwischen den Generationen tobt ein Kampf um Arbeitsmoral. Faul und verweichlicht sollen die Jungen sein, Workaholics die Älteren. Was stimmt? Sieben Mythen im Faktencheck.
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Alle sind empört. Die, die seit Jahrzehnten arbeiten, und die, die gerade erst damit anfangen. Steffen Kampeter, 61 Jahre alt und Interessensvertreter der Arbeitgeber in Deutschland, wünscht sich von den Jungen „mehr Bock auf Arbeit“. Susanne Nickel, 56, Wirtschaftsmediatorin und Management-Beraterin, beschreibt die Generation Z als verzogen, verweichlicht und verletzt. (So auch der Titel ihres aktuellen Buchs.)
Die Jungen reagieren genervt: Okay, Boomer! Was wisst ihr schon? Blockiert die guten Stellen, fahrt fette Dienstwagen und schert euch einen Dreck um die Klimakrise. Da fühlen sich dann die Alten diskriminiert.
Wie kommen wir da raus? Vielleicht mit ein paar Fakten. Wir haben gängige Vorurteile gegen Jung und Alt in der Jobwelt überprüft.
Vorurteil: „Die Jungen sind faul“
Wollen die jungen Leute heute tatsächlich nur noch Teilzeit arbeiten, Zeit für Hobbys, ein Aussteigerleben in Brandenburg? Quatsch. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung befragt Menschen seit vierzig Jahren zu ihren Arbeitszeitwünschen. Diese Daten zeigen: Junge Frauen, bis zu 25 Jahren alt, wollten 2021 im Durchschnitt 32 Stunden pro Woche zu arbeiten. Bei den jungen Männern waren es etwas mehr: 37 Stunden pro Woche.
Mit diesen Wunscharbeitszeiten unterschieden sich die Jungen nicht sonderlich von anderen Altersgruppen. Tatsächlich liegen sie mit ihren Angaben sogar etwas über denen der Älteren – wenn man die Studierenden in der Gruppe bis 25 Jahre herausrechnet.
Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zeigen auch, wie sich die Arbeitszeitwünsche der Deutschen im Laufe der Zeit verändert haben – und zwar kaum. Dennoch gibt es bei den Jüngeren einen Trend zum weniger arbeiten wollen.
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Unterm Strich wollten die Befragten 2021 etwa drei Wochenstunden weniger arbeiten als 2007. Das betrifft allerdings nicht nur die bis 25-Jährigen, sondern auch die über 40-Jährigen. In der Gruppe der 26- bis 40-Jährigen ging die Wunscharbeitszeit zwischen 2007 und 2021 „nur“ um rund zwei Wochenstunden zurück.
Vorurteil: „Die Alten sind Arbeitstiere“
Sind die Älteren fleißiger als die Jüngeren? Nicht wirklich. Schaut man sich Arbeitszeitdaten verschiedener Altersgruppen an, dann gibt es keine großen Unterschiede. Junge Frauen ohne Studium arbeiteten 2021 im Durchschnitt sogar etwas mehr als ältere Frauen. Eine mögliche Erklärung: Sie haben oft noch keine Kinder und müssen keine Angehörigen pflegen, wie es bei älteren der Fall ist.
Bei den Männern liegt die tatsächliche Wochenarbeitszeit bei den bis 25-Jährigen etwas niedriger als bei älteren Generationen.
Für das etwas schlechtere Abschneiden der jüngsten Arbeitnehmer hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg eine einfache Erklärung: „Sie leisten weniger häufig Überstunden – weil Positionen mit überproportional vielen Überstunden, wie Meister/Poliere, Angestellte mit hoch qualifizierten Aufgaben oder umfassenden Führungsaufgaben noch selten erreicht wurden“. Auch Teilzeitbeschäftigte und Minijobber leisten in deutlich geringerem Umfang Überstunden als Beschäftigte in Vollzeit.
Über die Jahrzehnte hat sich die wöchentliche Arbeitszeit verändert. Individuell gerechnet geht sie seit der Wiedervereinigung zurück. Ein Mann arbeitete 2022 unterm Strich fast drei Stunden weniger pro Woche als 1991. Das zeigen Berechnungen der Hans-Böckler-Stiftung.
Bei den Frauen verkürzte sich die durchschnittliche Arbeitszeit im selben Zeitraum sogar um fast vier Stunden. Man kann also festhalten: Früher arbeitete ein Beschäftigter im Mittel mehr Stunden pro Woche.
Tatsächliche Arbeitszeit der Beschäftigten
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Auf die gesamte Bevölkerung bezogen haben die Deutschen allerdings noch nie so viel gearbeitet wie im vergangenen Jahr: rund 55 Milliarden Studen. Ein Rekord, der vor allem auf Frauen zurückzuführen ist. Von ihnen arbeiten mittlerweile viel mehr als vor dreißig Jahren.
Vorurteil: „Die Alten konnten sich von ihrem Geld mehr leisten“
Auf WG-Partys und im Internet taucht immer wieder eine Erzählung auf: Als die Boomer in den Job starteten, taten sie das zu exzellenten Konditionen, die noch besser wurden, als sie in die Chefetagen aufrückten. Wer dagegen 2024 ins Arbeitsleben startet, bekommt einen befristeten Vertrag und ein mieses Gehalt. Haus, Kind, Auto, Garten kann man sich so eh nicht mehr leisten. Wozu sich also anstrengen?
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Die „Zeit“-Journalistin Anna Mayr hat sich diese Erzählung genauer angesehen. Sie verglich, wie sich das Verhältnis von Preisen und Löhnen über die Jahre verändert hat, und sie kam zu dem Ergebnis: Stimmt nicht. „Man kann sich heute von dem Geld, das man verdient, 20 bis 30 Prozent mehr Zeug kaufen als noch vor 30 Jahren“, schreibt sie. „Mit einem guten Einkommen ist eine Immobilie heute eigentlich leistbarer als noch vor 20 Jahren.“
Das Leben zu genießen, ist acht von zehn Angehörigen der Gen Z wichtig. Das zeigt eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach.
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Die Frage ist nur, ob die Jungen bereit sind, so zu sparen wie die Großeltern. Früher habe man sich das Haus vom Mund abgespart, Margarine statt Butter gegessen, jahrelang keine Urlaubsreise unternommen, schreibt Mayr. Dass sich die Alten von ihrem Geld mehr kaufen konnten, ist also falsch.
Vorurteil: „Die Jungen sind verzogen“
„You wanna live fancy? Live in a big mansion? Party in France? You better work, bitch!“, sang Britney Spears einst. Aber trifft das auf die Gen Z überhaupt noch zu? Reist die nach dem Abi nicht um die Welt, wischt auf ihren iPhones herum und zieht zum Studieren in Altbauwohnungen in die beliebtesten Viertel der Stadt? Eltern werfen ihren Kindern heutzutage doch eh alles hinterher und behandelt sie wie Schneeflocken!
Das ist natürlich übertrieben. Einen Funken Wahrheit kann man diesem Vorurteil aber abringen. Unsere Ansprüche an den eigenen Konsum haben sich verändert. Genauer gesagt: Sie sind gestiegen, weil die Reichen immer reicher werden. Die Mittelschicht orientiert sich am Konsum der Wohlhabenden und versucht ihn nachzuahmen. Ökonomen nennen das „Veblen-Effekt“, benannt nach dem US-Ökonomen Thorstein Veblen. Man will so wohnen, essen, aussehen, reisen wie die Reichen.
Den Veblen-Effekt kann man natürlich nicht nur bei jungen Leuten beobachten. Trotzdem liegt der Verdacht nahe, dass Instagram und Tiktok Nachahmungsdynamiken verstärken. Die Gen Z ist mit diesen Plattformen aufgewachsen. Seit frühester Jugend vergleicht sie sich nicht nur mit den Menschen in der Schule oder im Sportverein, sondern mit den Schönen und Reichen auf der ganzen Welt.
Hinzu kommt: Arbeitskräfte sind mittlerweile in vielen Branchen knapp. Die Babyboomergeneration verabschiedet sich in die Rente, auf dem Arbeitsmarkt rückt die kleinste Arbeitskohorte seit dem Zweiten Weltkrieg nach. Die Jungen sind auf dem Jobmarkt also in einer guten Verhandlungsposition. Sie können es sich erlauben, beim Bewerbungsgespräch nach der Viertagewoche zu fragen. Sie wissen, dass sie gebraucht werden. Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) bestätigen das: Kamen 2006 noch 1000 Arbeitslose auf 100 offene Stellen, sind es aktuell gerade mal 180.
Vorurteil: „Die Generation Z ist unzuverlässig“
Beraterin Susanne Nickel erzählte dem Tagesspiegel, wie sie immer wieder aus Unternehmen höre, dass der Personalchef mit dem Willkommenspaket am Empfang steht, der neue Mitarbeiter aber nicht erscheint. „Ghosting, weil alles zu viel war.“ Diese Anekdote lässt sich nicht prüfen, aber Fakt ist: Das Vorurteil, die Generation Z sei unzuverlässig, taucht immer wieder auf.
Viele Ältere sehen die Generation Z kritisch, finden sie verzogen, verweichlicht und wünschen sich von ihr „mehr Bock auf Arbeit“.
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Tatsächlich wächst die Bereitschaft für einen Jobwechsel – bei Menschen aller Altersgruppen. 37 Prozent der Beschäftigten sind laut einer Befragung aus dem Jahr 2023 offen dafür. Unter den 18- bis 29-Jährigen 49 Prozent. Doch kann man jungen Menschen auf einem fluiden Arbeitsmarkt vorwerfen, sich ausprobieren zu wollen?
Alexander Kubis vom IAB beobachtet diesen Trend in seinen Daten auch: „2023 wurden 64 Prozent der offenen Stellen für sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von Leuten besetzt, die direkt aus einer anderen Anstellung kamen, lediglich 18 Prozent von Menschen, die zuvor arbeitslos gemeldet waren.“ Zum Vergleich: 2004 waren knapp 50 Prozent der Neueingestellten zur arbeitslos und knapp 30 kamen aus einem anderen Job. Kubis sagt: „Kein Wunder, dass Menschen, die von einem in den anderen Job wechseln – das tun sie in der Regel ja, um etwas an ihren Lebensumständen zu verbessern –, viel höhere Ansprüche haben.“
Kein Wunder, dass Menschen, die von einem in den anderen Job wechseln, viel höhere Ansprüche haben.
Alexander Kubis, Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung
Dass die Arbeitgeber am kürzeren Hebel sitzen, unterstreicht noch eine andere Zahl vom IAB: Momentan dauert es durchschnittlich 95 Tage, bis eine Stelle besetzt ist. 2004 waren es noch 64. „Je höher das Anforderungsniveau ist, desto länger suchen die Betriebe“, sagt Kubis, wohl auch, weil die Auswahl an geeigneten Bewerbern kleiner wird, auch aufgrund des demografischen Wandels.
Vorurteil: „Die Alten sind eisern“
Mit wenig Schlaf, ausgelaugt oder einer Erkältung zur Arbeit? Das galt lange als preußische Tugendhaftigkeit und ehrenwerter Einsatz für das Unternehmen. Spätestens seit der Pandemie werden aber hustende Kollegen im Großraumbüro nicht mehr gerne gesehen. Das gilt für alle Altersgruppen. Stimmt es jedoch, dass die Älteren noch immer eiserner sind?
Tatsächlich wurde sich vor 20 Jahren weniger krankgemeldet als heute. 2003 lagen die durchschnittlichen Krankheitstage von Beschäftigten bei 9,2 Tagen im Jahr. Seitdem sind sie fast kontinuierlich gestiegen. 2023 meldeten sich Beschäftigte durchschnittlich 15,2 Tage krank.
Dass vor allem die Generation Z verdächtigt wird, sich trotz Arbeitsfähigkeit krankzumelden, zeigt eine Befragung der Krankenkasse Pronova BKK. Drei Viertel vermuten, dass die 18- bis 29-Jährigen dies mitunter tun. Und auch Beschäftigte der Altersgruppe selbst haben bei Gleichaltrigen am ehesten den Verdacht, sich trotz Arbeitsfähigkeit krankzumelden.
Zwar haben sich der Techniker Krankenkasse zufolge, junge Menschen 2022 wirklich öfter krankgemeldet (dreimal pro Jahr), als Arbeitnehmer ab 50 (1,57 Mal). Allerdings waren die Älteren tendenziell längere Zeit am Stück krank, die Jungen erholten sich schneller.
Im Alter steigt das Risiko für schwerere Krankheiten, auch die Krankentage der Generation Z werden in den kommenden 30 Jahren also noch ordentlich steigen – und es lässt sich schon davon ausgehen, dass sich Berufseinsteiger vor 20 Jahren seltener krankgemeldet haben. Ist das nun steinhart? Oder ist es womöglich sogar eiserner, die Stopptaste bereits prophylaktisch zu bedienen, wahrzunehmen, wenn es einem nicht gutgeht und das auch zu äußern?
Vorurteil: „Die Generation Z setzt andere mit ihren Gefühlen unter Druck“
Das kann man so sehen, wenn man der Meinung ist, auf der Arbeit müssten nur Maschinen umherwandeln. Wenn man gewohnt ist, dass beim Job die Menschen spuren, statt zu äußern, wenn es ihnen schlecht geht, dann fühlt man sich schnell von solchen Kommentaren unter Druck gesetzt. Doch arbeiten Arbeitnehmer, die nichts sagen, besser?
In den Zehnerjahren ist die Burnout-Rate stark gestiegen: Die AOK zählte 2004 noch 0,6 Arbeitsunfähigkeitsfälle je 1000 Mitglieder, 2011 schon 4,8. Seitdem haben sich die Fälle nicht mehr ganz so drastisch erhöht, was darauf schließen lässt, dass mehr Präventionsarbeit geleistet wird. Dazu zählt unter anderen: sich krankschreiben lassen, wenn es einem nicht gut geht.
Die Zahl der Tage, an denen Beschäftigte wegen psychischer Erkrankungen ausfallen, ist in den vergangenen zehn Jahren um 52 Prozent gestiegen ist. In den jüngeren Gruppen ist der Zuwachs am höchsten. Das kann einen alarmieren. Man könnte behaupten, den Jungen gehe es deutlich schlechter als Altersgruppen vor ihnen. Doch es gibt noch eine andere Lesart, die auch viele Experten unterstützen: Die Generation Z ist besser darin, darauf zu hören, wie es ihr geht. Und langfristig nutzt das auch den Arbeitgebern.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de