120 Kilometer Gleise vor dem Austausch: Wie die Bahn in nur fünf Monaten eine ICE-Strecke neu bauen will

© dpa/Arne Dedert

120 Kilometer Gleise vor dem Austausch: Wie die Bahn in nur fünf Monaten eine ICE-Strecke neu bauen will

Ab dem 15. Juli wird die Riedbahn generalüberholt. Das Bauvorhaben ist weltweit einzigartig. Für die Mitarbeiter der Bahn ist die Hochrisikooperation eine gewaltige Herausforderung.

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Gerd-Dietrich Bolte bringt so schnell nichts aus der Ruhe. Der 57-jährige Manager kümmert sich für die Bahn um die Großprojekte rund um Frankfurt am Main. Der Mann mit raspelkurzen Haaren ist ein zupackender Typ, komplexe Vorhaben machen ihm keine Angst.

Aber diese Baustelle, die hinter ihm mit jeder Lkw-Fuhre mehr Gestalt annimmt, kommt ihm noch immer unwirklich vor. Die Riedbahn – die stark befahrene Bahnstrecke zwischen Frankfurt und Mannheim – fünf Monate komplett dichtmachen, um sie weitgehend neu zu bauen? „Hätte ich das vor fünf Jahren vorgeschlagen, hätte man mich einen Fantasten genannt“, sagt er.

Ab dem 15. Juli – dem Tag nach dem EM-Finale – passiert nun genau das. Vor gut zwei Jahren entschieden Verkehrsminister Volker Wissing und das Bahnmanagement, die eigentlich kaum verzichtbare Riedbahn vom Netz zu nehmen und einer Radikalkur zu unterziehen.

Blaupause für die Bahnsanierung

Denn derzeit gibt es hier fast jeden Tag eine Großstörung. Im Netz der Bahn sorgt das regelmäßig für eine Verspätungskaskade, weil über die zentrale Strecke jeden Tag 300 Züge und rund ein Siebtel aller ICE verkehren. Nach der Generalsanierung der Riedbahn würden die Züge deutschlandweit deutlich pünktlicher fahren, versprach Wissing den Bürgern.

Die Baustelle ist zugleich eine Art Blaupause für 39 weitere fünfmonatige Korridorsanierungen, die bis 2030 noch folgen sollen. Bolte und sein Team müssen nun beweisen, dass dieses gewagte Sanierungskonzept für die Bahn funktioniert.

Zwölf Tage vor Baubeginn fährt Bolte noch einmal zur Riedbahn und schaut, ob alles vorbereitet ist. In Gernsheim, auf halber Strecke zwischen Frankfurt und Mannheim, hat er von der Stadt eine grüne Wiese gemietet, um sie in ein riesiges Lager zu verwandeln. Dort steht Bolte nun im Nieselregen und erläutert seine Materialschlacht.

Auf der Riedbahn wird die Bahn 120 Kilometer Gleise, 380.000 Tonnen Schotter, 265.000 Bahnschwellen, 140 Kilometer Oberleitungen und 150 Weichen austauschen. 20 Bahnhöfe entlang der Strecke werden saniert und teils barrierefrei ausgebaut. 15 Kilometer neue Lärmschutzwände neu errichtet.

1,3Milliarden Euro soll die Sanierung der Riedbahn kosten.

Für ein solches Bauvolumen nimmt sich die Bahn sonst mehrere Jahre Zeit. Damit es nun in fünf Monaten klappt, müssen die beauftragten Baufirmen viermal so schnell wie sonst arbeiten. „Das funktioniert nur mit einer ausgeklügelten Logistik“, sagt Bolte.

Ein großer Schotterberg und sieben Helikopter

Über vier Einfahrten können die Bauzüge auf die Riedbahn gelangen. Doch das reicht nicht, um alle Bautrupps entlang der Strecke mit dem nötigen Material zu versorgen. Bolte hat deshalb rund ein Dutzend Depots entlang der Strecke angelegt. In Gernsheim hat die Bahn einen riesigen Berg Gleisschotter angehäuft. Über eine Bauweiche soll er ab dem 15. Juli auf die wenige Meter entfernte Riedbahn gefahren werden, ein kleiner Bagger bringt den Schotter dafür bereits jetzt in Position.

Ein Luxus nennt Bolte so viele sogenannte Baustelleneinrichtungsflächen direkt an den Gleisen. Aber ohne diesen „Luxus“ könnte er den ambitionierten Zeitplan in keinem Fall einhalten. Auch die sieben Helikopter, die in Gernsheim starten und landen sollen, braucht er dafür. Mit ihnen können die Signale bereits getauscht werden, während die Bauarbeiten an den Gleisen noch laufen.

Gerd-Dietrich Bolte, Chef der Riedbahn-Baustelle, auf der Baustelleneinrichtungsfläche in Gernsheim.

© Caspar Schwietering

Trotz des großen Aufwands bezweifeln viele in der Branche, dass Bolte wie versprochen am 15. Dezember fertig wird. Denn die Generalprobe im Januar ging gründlich schief. Vier statt drei Wochen brauchte die Bahn für die vorgesehenen Arbeiten.

Wegen der gefrorenen Erde und des Schnees seien damals Baufehler nicht rechtzeitig aufgefallen, erläutert Bolte. Daraus habe man gelernt. Schon zuvor musste die Bahn vermelden, dass die Riedbahn-Sanierung nicht wie ursprünglich geplant 500 Millionen, sondern 1,3 Milliarden Euro kosten wird.

Bolte gibt sich dennoch gelassen. Während der Bauphase werde er nicht ständig auf der Riedbahn herumturnen, sagt er. Er will die Baufirmen in Ruhe arbeiten lassen. In seinem Büro in Frankfurt wird er allerdings die Kennzahlen genau im Blick behalten, damit er eingreifen kann, wenn etwas aus dem Ruder läuft. Der Spielraum für Pannen ist klein. Verspätet sich die Baustelle nur um ein bis zwei Wochen, brächte die Riedbahn Deutschlands Bahnverkehr mitten in der Weihnachtszeit aus dem Takt.

150 neue Busse und 400 Fahrer

Während der Bauphase werden die Fern- und Güterzüge über zwei Ausweichstrecken umgeleitet. Den Regionalverkehr in der Region stellt die Bahn dafür weitgehend ein. Felix Thielmann soll dafür sorgen, dass das so schmerzfrei wie möglich wird. Der sportliche, braungebrannte Mann organisiert zur Riedbahn-Sperrung den größten Ersatzverkehr mit Bussen, den es in Deutschland je gab.

In der Bauzeit sollen die Busse im Fünf-Minuten-Takt fahren. 150 neue Fahrzeuge hat die Bahn dafür gekauft und 400 neue Fahrer engagiert – rund die Hälfte von ihnen aus dem Ausland. Für sie hat Thielmann Wohnungen in Frankfurt und Mannheim angemietet und Integrationshelfer bereitgestellt, damit keiner der Fahrer nach wenigen Tagen kündigt. Mit den Kommunen entlang der Strecken haben Thielmann und sein Team besprochen, wo sie die rund 120 Haltestellen einrichten.

150 lila Busse sollen während der Bauphase die Regionalzüge ersetzen.

© dpa/Andreas Arnold

Nachdem das letzte EM-Spiel in Frankfurt stattgefunden hat, kann Thielmann den Busersatzverkehr nun vier Tage lang testen. Trotz der akribischen Vorbereitung geht dabei gerade „ziemlich viel in die Hose“, sagt Thielmann, während er mit einem der lila Busse von Frankfurt über die Autobahn gen Süden fährt.

Nicht jeder Fahrer findet alle Bushaltestellen auf Anhieb. Sein Team entdecke auch noch viele Engstellen, an denen die Busse kaum durchkommen, sagt Thielmann – obwohl die Kommunen für den Busersatzverkehr bereits viele Einbahnstraßen und Halteverbotszonen eingerichtet haben. Thielmann ist froh, dass diese Anlaufprobleme im Probebetrieb ohne Fahrgäste auftreten.

Denn wenn es am 15. Juli losgeht, sollen die Riedbahn-Pendler die Busse von Anfang an als möglichst vollwertige Alternative wahrnehmen. Dafür betreibt die Bahn einen enormen Aufwand.

So hat Thielmann in die Nahverkehrsbusse Ledersitze, Toiletten und große Gepäckfächer einbauen lassen – der Komfort soll die Fahrgäste an einen Zug erinnern. Sensoren an den Türen ermitteln, wie viele Fahrgäste sich in den Bussen aufhalten. Wird einer von ihnen zu voll, will Thielmann sofort einen von elf Verstärkerbussen losschicken.

Warum das nötig ist, erklärt Thielmann mit einer Zahl. „Im Schnitt nutzen 46 Prozent der Pendler den Schienenersatzverkehr nicht“, sagt er. „Bei einer Bauzeit von wenigen Wochen ist das kein Problem, dann kommen die Fahrgäste nach kurzer Zeit zurück.“ Doch bei der fünfmonatigen Sperrung der Riedbahn bestehe die Gefahr, dass sich Pendler daran gewöhnen, statt der Bahn das Auto zu nehmen. Thielmanns Aufgabe ist es, zu verhindern, dass nach der Milliarden-Sanierung nur noch halb so viele Fahrgäste auf der Riedbahn unterwegs sind.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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