Die Mitte bin ich: Wie Ursula von der Leyen bei der Europawahl mit dem Feuer spielt

© AFP/PATRICIA DE MELO MOREIRA

Die Mitte bin ich: Wie Ursula von der Leyen bei der Europawahl mit dem Feuer spielt

Die Wahl am Sonntag wird richtungsweisend sein. Und darüber entscheiden, ob die Zukunft Europas links oder rechts der Mitte bestimmt werden wird.

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Wie rechts wird Europa? Eigentlich ist es diese Frage, die bei den laufenden Wahlen zum Europaparlament zur Abstimmung steht. Die Umfragen lassen wenig Zweifel daran, dass es zu dem befürchteten Rechtsruck tatsächlich kommen wird.

Dass so viele Menschen in Europa für rechte Parteien stimmen wollen, ist nicht nur ein besorgniserregender Indikator für die Stimmung in den Mitgliedstaaten. Es ist auch Anlass zu großer Sorge um die Zukunft des europäischen Projekts. Denn im Europaparlament kann der Einfluss rechter Parteien nun deutlich zunehmen.

Zwar ist nicht zu erwarten, dass sie dort eine schlagkräftige Rechtsfront bilden. Das rechte Lager teilt sich bislang auf in die Rechtspopulisten der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) und die Rechtsextremen der Identität und Demokratie (ID). Selbst innerhalb dieser Blöcke ist das Spektrum fragmentiert.

Die politischen Ziele der unterschiedlichen Parteien lassen sich kaum auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Was sie verbindet, trennt sie zugleich. Sie alle verfolgen eine nationalistische Linie. Eine Zusammenarbeit jenseits der Grenzen des Nationalstaates ist für sie – bestenfalls – nachrangig.

Doch es könnte sein, dass rechte Parteien die künftige Kommissionspräsidentin mitbestimmen. Ursula von der Leyen, deren Fraktion der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) voraussichtlich die meisten Stimmen auf sich vereinen wird, strebt eine zweite Amtszeit an der Spitze der Kommission an. Sie schließt nicht aus, dafür eine Koalition mit der rechtspopulistischen EKR einzugehen. Ihr Ziel ist es, als Kommissionspräsidentin wiedergewählt zu werden. Auf welchem Weg ist ihr – fast – egal.

Wenn die Ergebnisse der Europawahl feststehen, müssen sich die Fraktionen neu finden. Eine gemeinsame Rechtsfraktion wird sich kaum bilden. Die entscheidende Frage wird also sein: Wo verläuft die Linie zwischen den Rechtspopulisten der EKR und den Rechtsextremen der ID? Denn für von der Leyen verläuft die Brandmauer nach rechts zwischen den beiden.

„Die Mitte muss halten“, gab sie zuletzt als Devise aus. Und wo diese Mitte liegt, ist klar. Nämlich genau da, wo von der Leyen ist. Sie entscheidet, ob es ein Europa links der Mitte oder rechts der Mitte geben wird. Denn eine Entscheidung wird es geben müssen. Viele Mitte-links-Parteien haben bereits ausgeschlossen, mit einer Kommissionspräsidentin zu arbeiten, die mit Stimmen der Rechten gewählt wurde. Der Begriff der Richtungswahl trifft es also sehr genau.

Daran, dass von der Leyen – die einzige Kandidatin, die derzeit eine Mehrheit auf sich versammeln könnte – durchfällt, kann indes kaum jemand Interesse haben. Ein wochenlanges Gerangel um die Führung der EU wäre in der aktuellen Situation fatal. Die EU muss Einigkeit und Stärke beweisen.

Genau deswegen könnte man von der Leyens Strategie als vernünftigen Pragmatismus sehen. Indem sie sich offen hält, ob sie mit Stimmen rechts oder links der Mitte gewählt wird, sorgt sie für eine gewisse Kontinuität und Stabilität – gleich wie die Wahl ausgeht.

Doch es darf keine Stabilität um jeden Preis geben. Ein Bündnis mit den Rechtsparteien wäre ein fatales Signal. Nicht nur würde es zu einer gefährlichen Normalisierung rechten Gedankenguts in Europa beitragen. Das Vorhaben, mit den Rechten die Zukunft Europas gestalten zu wollen, wäre zum Scheitern verurteilt.

Zwar sind unter den Rechtspopulisten der EKR und selbst bei den Rechtsextremen der ID nicht alle Parteien explizit europafeindlich. Doch viele von ihnen fordern einen Rückbau der bereits erfolgter Integrationsschritte und eine Rückkehr zu einer stärkeren Rolle der Nationalstaaten. Keine der Rechtsparteien verfolgt das Ziel einer Vertiefung der europäischen Integration, einer Weiterentwicklung der EU.

Aber genau das ist jetzt vonnöten. Nur ein geeintes, starkes Europa kann sich den aktuellen Herausforderungen stellen, allen voran der russischen Aggression. Dafür braucht es Kräfte, die das historische Projekt Europa mit Leidenschaft vorantreiben wollen. Und am rechten Rand sind diese mit Sicherheit nicht zu finden.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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