Es geht um mehr als Thüringen: Die AfD attackiert die Demokratie

© dpa/Martin Schutt

Es geht um mehr als Thüringen: Die AfD attackiert die Demokratie

Die AfD stürzt die erste Sitzung des Thüringer Landtags ins Chaos. Die Ampel hat es nun in der Hand, ihr mit kraftvollen Entscheidungen Zuspruch zu entziehen.

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Um die Vorgänge im Thüringer Landtag zu verstehen, hilft es, sich das Parlament für einen Moment als Einheit vorzustellen, als einen Körper.

Nach einer Wahl ist der neue Landtag autonom. Das heißt: Er darf innerhalb der verfassungsmäßigen Grenzen festlegen, nach welchen Regeln er arbeiten will. Bei Entscheidungen über diese Selbstorganisation zählt die Mehrheit der Abgeordneten. Genau das hatte die AfD in den vergangenen Tagen öffentlichkeitswirksam angezweifelt.

Alterspräsident Jürgen Treutler von der AfD hatte bei der ersten Sitzung des neuen Landtags berechtigte Anträge der anderen Fraktionen nicht zugelassen. Das Landesverfassungsgericht musste entscheiden. Das Urteil haben die Rechten zwar am Ende akzeptiert, stellen seine Rechtmäßigkeit aber weiterhin infrage.

Wenn ein Mensch sich selbst verletzt, gibt es in diesem Land viele Möglichkeiten, ihm zu helfen. Was aber, wenn sich ein Landtag selbst verletzt, wenn Abgeordnete das Recht missachten und Verschwörungstheorien verbreiten, wenn Wähler lieber glauben, was sich richtig anfühlt, statt was wahr ist?

Was, wenn die Freiheit der Demokratie von gewählten Abgeordneten dazu missbraucht wird, das politische System zu attackieren?

In Erfurt stellten sich am Samstagmorgen Fragen, die an Filmdokumentationen zur deutschen Geschichte in den 1930er Jahren erinnerten. Was würde passieren, wenn sich die AfD, und mit ihr der sitzungsleitende Alterspräsident des Landtages, weigern sollte, den Gerichtsbeschluss anzuerkennen? Was, wenn aggressive Rhetorik in physische Gewalt umschlüge?

Die kurze Antwort: In diesem Fall hätte der Landtagsdirektor als Bevollmächtigter die Polizei rufen können. Doch zeigt allein schon die Frage, wie weit die Situation bereits eskaliert ist. Nicht nur in Thüringen, in ganz Deutschland applaudieren Zehntausende einer Partei, die sich wieder einmal als Opfer stilisiert.

Demokratie, Parlament, Mehrheit – all das klingt abstrakt. Konkreter wird es in staatlichen Symbolen wie einem Landtag – in Erfurt übrigens ein modernes, gläsernes Gebäude, das Transparenz signalisiert. Wirklich entscheidend ist aber, wie die Menschen agieren, die als Vertreter der Bürger in dieses Haus einziehen.

Dabei geht es nicht nur um das, was innerhalb des Parlaments passiert, sondern auch um die Außenwirkung. Die Vorgänge in Erfurt zeigen beispielhaft: Je komplexer die Lage, desto einfacher ist es, Narrative zu bilden und zu verbreiten, die spalten und aufhetzen. Wer könnte aus dem Stand erklären, wann ein Landtag seine Geschäftsordnung ändern darf, welche Befugnisse ein Alterspräsident hat und wer einen Landtagspräsidenten vorschlagen darf?

Die Verschwörungstheorie der Rechten: Da wurde ein armer, alter Mann rücksichtslos und aggressiv in einer Rede unterbrochen. Ein unseriöses Gericht entschied daraufhin zugunsten der eigenen Klientel. Und ein Kartell aus veralteten Parteien schließt die AfD unrechtmäßig aus, weil es alle Macht für sich will. Das Wort Diktatur machte die Runde.

Nichts in diesem Narrativ entspricht der Wahrheit. Fürs Protokoll: Alterspräsident Jürgen Treutler hat seine Macht missbraucht und das Gebot der Neutralität auf diesem Posten missachtet. Um zu verhindern, dass der 73-Jährige den Willen des Landtages ignoriert, haben Vertreter aller anderen Fraktionen notwendigerweise interveniert.

Kein Recht gewählt zu werden

Das Verfassungsgericht entscheidet unabhängig. Wenn eine Mehrheit im Landtag die Geschäftsordnung ändern will, ist das so zulässig wie demokratisch. Und: Es gibt zwar ein Antragsrecht, aber kein Recht, mit Mehrheit in gleicher und geheimer Wahl gewählt zu werden. Eine Wahl ist eine Wahl.

Der Eklat von Erfurt zeigt, was passieren kann, wenn Rechtsextreme, darunter übrigens mehrere verurteilte Straftäter, in einem Landesparlament auf Angriff schalten. Die AfD braucht keine Mehrheit, um zu attackieren und Zweifel an demokratischen Prinzipien zu säen. Gesetze und Vorschriften allein helfen da nicht.

Die Zeit der Illusionen ist vorbei: Die AfD hat gezeigt, was sie schon ohne Mehrheit verursachen kann. Nun die Demokratie zu schützen, ist Aufgabe aller in diesem Land. Auch die Ampel hat es in der Hand, der AfD mit kraftvollen Entscheidungen Zuspruch zu entziehen. Die Zeit wird knapp. Abgelaufen aber ist sie noch nicht.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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