Image des Unions-Kanzlerkandidaten: „Merz fällt als Wahlkampf-Zugpferd aus“

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Exklusiv Image des Unions-Kanzlerkandidaten: „Merz fällt als Wahlkampf-Zugpferd aus“

Die derzeit 33 Prozent Zustimmung für die Union in Umfragen hält der Wahlforscher Matthias Jung für einen „schlechten Wert“. Demnach stellt Kanzlerkandidat Friedrich Merz die CDU inhaltlich zu eng auf.

Von Daniel Friedrich Sturm

Herr Jung, CDU und CSU haben Friedrich Merz zum Kanzlerkandidaten ausgerufen. Die Union steht in Ihrer letzten Umfrage bei 33 Prozent, einem Drei-Jahres-Hoch. „Die Union hat ein Merz-Problem“, sagten Sie uns im April. Haben Sie sich verschätzt?
Nein. Wenn die Union aktuelle Umfragewerte mit ihrem miserablen Abschneiden bei der Bundestagswahl 2021 vergleicht, dann ist jede mittelmäßige Zahl ein riesiger Erfolg. Nur zur Erinnerung: Im Wahlkampf 2021 hat sich die Union selbst zerlegt, ihren eigenen Kanzlerkandidaten fertiggemacht. Das führte zu ihrer historischen Niederlage. Wenn die Union derzeit auf 33 Prozent kommt, ist das, angesichts des katastrophalen Ansehens der Ampel-Regierung, ein schlechter Wert. Kein Unionspolitiker, der eine strategische Mehrheitsfähigkeit anstrebt, kann mit 33 Prozent in einer Umfrage ein Jahr vor der Wahl zufrieden sein.

Bei Umfragen kam die Union oft auf gute Werte, vor den Wahlen ging es oft bergab.
So ist es. Die CDU/CSU hat traditionell eine gute Zustimmung während der Legislaturperiode. Vor vielen Bundestagswahlen, ganz extrem 2005 und 2021, schmolz die Zustimmung wie Eis in der Sonne. Insofern wären 33 Prozent am Ende des Wahlkampfs ein passables Ergebnis. Es ist aber völlig offen, ob das am 28. September 2025 mit der aktuellen Ausrichtung der Union eingefahren werden kann.

Welches Potenzial sehen Sie für die Union bei der Bundestagswahl?
Das Potenzial der CDU/CSU hängt von ihrem Kurs und dem personellen Angebot ab. In den letzten Jahren bot die CDU ein programmatisches Hin und Her. Anfangs wollte Merz die CDU betont konservativ-wirtschaftsliberal aufstellen, das ist inzwischen wieder verschwommener. Mit Blick auf die AfD erleben wir bei der Union ein strategisches Durcheinander. Mit der Nominierung von Merz ist nüchtern zu analysieren: Der Unions-Kanzlerkandidat hat in der Gesamtheit der Wählerschaft ein leicht negatives Image, bei den Unionsanhängern ein mäßig positives Ansehen. Damit fällt er als Zugpferd für den Wahlkampf der Union aus.

Wenn Friedrich Merz nun über 365 Tage lang Wahlkampf machen wird, praktisch alleine die gesamte Union vertritt, liegt da ein großes Störpotenzial.

Matthias Jung, Wahlforscher

Welche Chancen und Risiken birgt Merz’ Kandidatur für die Union?
Merz bietet bisher keine strategische Stringenz, es gab in der Vergangenheit einige Auftritte, die nicht so optimal für ihn gelaufen sind. Wenn er nun über 365 Tage lang Wahlkampf machen muss und jeden Tag rund um die Uhr im Rampenlicht für die gesamte Union steht, liegt da ein großes Störpotenzial, eine hohe Verwundbarkeit. Die Ampelparteien können wieder von Defensive auf Angriff umschalten.

CSU-Chef Markus Söder versprach Merz am Dienstag „volle Rückendeckung“. Was bedeutet es für die Union, wenn Söder das nicht beherzigen sollte?
Wie es einem Kanzlerkandidaten der Union ergeht, wenn es Störmanöver aus den eigenen Reihen gibt, haben wir am Beispiel von Armin Laschet das letzte Mal gesehen.

Merz setzt im Wahlkampf, so kündigte er es am Dienstag an, auf das Thema Wirtschaft. Das klang bei CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann („Migration, Migration, Migration“) neulich noch ganz anders. Wie bewerten Sie diesen Kurswechsel?
In den letzten Monaten wurden CDU-seitig inhaltliche, strategische und koalitionspolitische Positionen relativ schnell gewechselt. Vor noch nicht allzu langer Zeit waren auch für die CDU und Merz die Grünen der „Hauptgegner“, nun ist das von Merz nicht mehr zu hören. Ansonsten ist es eine Illusion, zu glauben, die Union könne die Hauptthemen des Wahlkampfes „setzen“. Seit Monaten versucht die Union mit einer härteren Migrationspolitik der AfD Wähler abzujagen.

Merz wollte mal mit einem pointiert konservativen Profil die AfD halbieren. Diese Strategie ist gescheitert. Traditionell hat die Union zwar eine Kompetenz in der Wirtschaftspolitik. Bei Merz sehe ich das Problem, dass er zu sehr auf eine unternehmensnahe Wirtschaftspolitik setzt, weniger auf das soziale Element der sozialen Marktwirtschaft. Er macht das Feld inhaltlich eng, anstatt die CDU programmatisch breit aufzustellen. Ohne die sozialen Themen und ohne einen Kopf dafür wird es die CDU im Wahlkampf sehr schwer haben.

Die Ministerpräsidenten Söder und Michael Kretschmer (CDU) schießen permanent gegen die Grünen. Bringt das Wählerstimmen?
Es hängt davon ab, welche Zielgruppe sich die Union in ihrer strategischen Positionierung aussucht. Wenn die Union den härteren Kern von Unionsanhängern mobilisieren will, mag das dort helfen, gleichzeitig verprellt man aber die politische Mitte. Zudem bedienen AfD und BSW das Grünen-Feindbild viel effizienter und erfolgreicher. Wenn jetzt auch noch ein bundespolitisches Zusammenarbeitsverbot mit den Grünen kommt, wie es Söder und CSU ja postulieren, könnten die Grünen bei schwachen Wahlergebnissen der Union als Mehrheitsbeschaffer ausfallen.

Die SPD inszeniert sich nach der Nominierung von Merz in großer Genugtuung. Zu Recht?
Diese Inszenierung der SPD ist durchschaubar und völlig übertrieben. Aber der Kanzlerkandidat Merz ist für die SPD und Olaf Scholz ein geringeres Problem, als es ein Kanzlerkandidat Söder oder Wüst gewesen wäre.

Die Umfragewerte für Kanzler Scholz und die SPD sind im Keller. Lässt sich das in einem Jahr drehen? Ist Scholz’ Ruf noch zu reparieren?
Vor der Wahl 2021 war das Ansehen von Scholz nicht überragend. Er wurde ja nicht Kanzler, weil die Menschen in großer Mehrheit von ihm überzeugt waren. Er wurde unter drei mäßig beurteilten Kandidaten als das kleinste Übel gewählt. Man kann also ohne ein strahlendes Image Kanzler werden. Man muss eben Mehrheiten bilden können. Die Koalitionsfähigkeit wird bei starken Werten für die AfD und das BSW immer wichtiger. Ein Jahr ist eine lange Zeit, da kann sich extrem viel bewegen. Aber der Tiefstand der Bundesregierung ist extrem und ich sehe nicht, wie Ampel, SPD und Kanzler ein entscheidend besseres Image bekommen können.

Kann Scholz noch einmal Kanzler werden?
Die aktuellen Umfragen zeigen einen kaum aufholbaren Vorsprung der Union vor der SPD. Also könnte Scholz nur Kanzler werden, wenn er eine Mehrheit ohne Union hinbekäme. Das kann ich nicht ansatzweise erkennen.

Sehen Sie das BSW im nächsten Bundestag?
Ich gehe fest davon aus, dass Sahra Wagenknecht und ihre Partei im künftigen Bundestag sitzen werden. Das BSW hat sich bei Europa- und Landtagswahlen erfolgreich etabliert. Wenn dem BSW keine großen strategischen Fehler unterlaufen, ist mit dem BSW bundesweit zu rechnen. Das Potenzial für das BSW ist groß: Es gibt viele Wähler, die mit Ampel-Koalition und Union unzufrieden sind. Das BSW kann viele davon erreichen, die ihren Protest gegen Scholz und Merz, ihre Wut und Frust nicht bei der AfD abladen wollen.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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