Mein Nachbar von der SA: Brauchen wir in Berlin Stolpersteine für die Täter?

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Mein Nachbar von der SA: Brauchen wir in Berlin Stolpersteine für die Täter?

Stolpersteine erinnern an die Opfer. Aber was ist mit den Tätern? Protokoll einer Spurensuche im Berliner Haus meiner Kindheit.

Ein Gastbeitrag von Naila Bröning-Chai

In den Gehweg eingelassene Stolpersteine aus Messing erinnern an die Opfer des Nationalsozialismus. Doch was ist eigentlich mit den Tätern? Auf diese Frage stieß ich im Laufe eines Schulprojekts, für das ich die Geschichte meines Kindheitshauses in Berlin erforschte. Ich wollte herausfinden, wie sich die Geschichte Berlins in dem Haus spiegelt.

Am Beginn meiner Recherche stand eine Berliner Besonderheit: die von der Stadtverwaltung seit 1822 jährlich herausgegebenen „Berliner Adressbücher“. In ihnen lassen sich alle Personen recherchieren, die unter Berliner Adressen gemeldet waren – Berufsbeschreibung inklusive.

Ich stieß auf unzählige Namen. Schon damals, das zeigen die Daten, war es im Prenzlauer Berg ein ziemliches Kommen und Gehen. Auch die Berufe belegen den Wandel: etwa durch Hinweise auf „Kolonialwarenbesitzer“ und „Telegraphie-Arbeiter“. Frauen tauchen oft nur als „verwitwet“ auf.

Auf der in Frakturschrift verfassten, immer wieder schwer zu entziffernden Seite stolperte ich über einen besonderen Namen: Walter Prüfke. Im Jahr 1937 ist er als „Partei-Angestellter“ vermerkt. Doch in den folgenden Jahren wird es konkreter – und grausig: „Walter Prüfke, SA-Führer“.

Es war nicht schwer, die Lebensdaten Prüfkes herauszufinden: Geboren 1908 in Berlin, dann SA-Brigadeführer und Mitglied des Reichstags, gefallen in Breslau im Jahr 1942. Soweit jedenfalls vermelden es Online-Quellen.

Klar ist: Die Biografie Prüfkes war von Gewalt geprägt. Bevor er in der NSDAP Karriere machte, fiel er als politischer Schläger auf, der zusammen mit seinem Bruder politische Gegner tyrannisierte.

Er hatte eine Waffe unter den Dielen versteckt

Gemeinsam wurden beide im Jahr 1931 wegen Mordes vor Gericht gestellt, doch Prüfke entging einer Verurteilung und setzte seine Karriere fort. In den Gerichtsprotokollen lässt sich nachlesen, dass er unter den Dielenbrettern seiner Wohnung eine Schusswaffe versteckt hielt. Das einzige von ihm erhaltene Bild übrigens geht auf diese Episode vor Gericht zurück. Denn im Rahmen der Polizeiermittlungen wurde die Schlägertruppe um Heinz Prüfke fotografiert.

Trotz oder wohl eher wegen seines Radikalismus begann Prüfke, in der Hierarchie der SA aufzusteigen. 1938 wurde er in Adolf Hitlers „Liste des Führers zur Wahl des Großdeutschen Reichstags“ aufgenommen. Online-Darstellungen, er sei Mitglied des Reichstags gewesen, aber sind falsch. Das Abgeordnetenhandbuch des Reichstags zeigt: Auf der Liste, die mit Adolf Hitler, Rudolf Heß und Hermann Göring beginnt, steht Prüfke an Stelle 1398. Auf diesem Rang aber zog er nicht in den Reichstag ein. Dennoch verdeutlicht diese Platzierung seine Bedeutung. Im Berliner Adressbuch ist er ab 1939 als „SA-Führer“ gelistet.

Dann wurde er Brigadeführer der SA

1940 wurde Prüfke zum Brigadeführer der SA ernannt: ein Generalsrang und die dritthöchste Position in der Organisation. Zwischen 1933 und 1945 erreichten lediglich 336 Personen diesen Rang.

Auch in der Berliner Stadtpolitik mischte Prüfke mit. Im Jahr 1938, das zeigen die „Verhandlungsberichte über die Beratungen mit den Ratsherren der Reichshauptstadt“, taucht er als Bezirksbeirat für den Prenzlauer Berg auf. Laut Protokoll wurde Prüfke „von dem Gauleiter des Gaues Berlin, Herrn Reichsminister Dr. Goebbels“ höchstpersönlich in diese Funktion berufen.

Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs kämpfte Prüfke als Leutnant und starb 1942 in Breslau, heute Wroclaw, aufgrund von Verwundungen.

Als Kind, das in Berlin aufwuchs, ahnte ich natürlich nichts von der düsteren Geschichte um Walter Prüfke. Die Stolpersteine in unserer Straße empfand ich immer als wichtigen Versuch, der Opfer zu gedenken.

Besonders berührt hat mich dabei ein ganz besonderer Stein. Vor unserem Nachbarhaus am Volkspark Friedrichshain wird durch ihn an Georg Stolt erinnert, ein kommunistischer Politiker, der von der SA verschleppt und ermordet wurde. Nach meinen Recherchen nun sehe ich diesen Stein in einem etwas anderen Licht. Ist es nicht merkwürdig, dass wir uns an die Opfer der SA erinnern, doch über den im Nachbarhaus – meinem Kindheitshaus – lebenden Täter, den SA-General, kein Wort verlieren?

Es ist wichtig, die Opfer zu ehren. Aber was ist mit den Tätern? Was ist mit den Menschen, die die Verbrechen begangen haben? Sicher: Walter Prüfke war keiner der prominentesten Nazi-Verbrecher. Aber er gehörte zweifellos zur politischen Elite des Regimes.

Wie geht man um mit der Tatsache, dass im eigenen Zuhause ein kleines grausames Kapitel dieser Geschichte mitgeschrieben wurde? Wie erinnert man an den Nachbarn, der ein Nazi war?

Würde es helfen, einen Stolperstein für den Täter zu setzen? Womöglich ist es einfacher, ausschließlich der Opfer zu gedenken, als sich der schwierigen Wahrheit zu stellen, dass eben nicht nur die Opfer, sondern auch die Täter unter uns waren.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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