Mit 350 km/h von Las Vegas nach Los Angeles: Siemens bringt Verkehr auf die Schiene

© Computersimulation via picture alliance/dpa/Siemens Mobility

Mit 350 km/h von Las Vegas nach Los Angeles: Siemens bringt Verkehr auf die Schiene

Nach der chinesischen CRRC und der französischen Alstom ist Siemens Mobility der größte Hersteller von Schienenfahrzeugen, Signal- und Leittechnik.

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Die Autofahrer werden staunen, wenn der American Pioneer 220 (AP) an ihnen vorbeizischt. Mit 350 km/h rast der Zug in der Mitte der Autobahn in zwei Stunden von Los Angeles nach Las Vegas. Derzeit verbinden täglich 70 Flüge die beiden Städte, in ein paar Jahren fährt der AP 220 (Miles per hour) den Flugzeugen davon. „Wir freuen uns sehr darauf, das Projekt zu realisieren“, sagt Michael Peter, Chef von Siemens Mobility.

Die Schienenfahrzugsparte der Siemens AG hat den Zuschlag bekommen für das Prestigevorhaben. So schnell fahren bislang keine Züge in Amerika. „Die Besiedlung der USA erfolgte entlang der Bahnstrecken. Highspeed-Verbindungen zwischen großen Städten könnten eine neue Geschichte schreiben“, sagt Peter im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Michael Peter führt Siemens Mobility mit rund 40.000 Mitarbeitenden.

© AFP/Fassbender

Von Berlin-Siemensstadt aus steuert der Diplom-Ingenieur ein Unternehmen mit 40.000 Mitarbeitenden. Nach der chinesischen CRRC und der französischen Alstom ist Siemens Mobility der größte Hersteller von Schienenfahrzeugen, Signaltechnik und Digitalisierungssoftware. „Unser Markt wächst aufgrund des Kampfes gegen den Klimawandel und des Bevölkerungswachstums“, berichtet Peter. Reisen auf der Schiene schonen das Klima – sofern die Züge unter Strom stehen.

20.000 Triebwagen fahren in Europa noch mit Diesel auf Strecken ohne Oberleitung. Doch es gibt zunehmend Alternativen. „Auf kurzen Strecken bis 160 Kilometer haben Batteriezüge die Nase vorn, denn sie sind viermal so effizient wie Wasserstoffzüge. Diese wiederum eigenen sich auf langen Strecken bis 1000 Kilometer sehr gut“, erläutert der Siemens Manager.

Zum Beispiel für die Heidekrautbahn, die von Berlin-Karow in die Schorfheide fährt und ab Ende des Jahres einen Mireo Plus H Wasserstoffzug von Siemens einsetzt. Die Umstellung von Diesel auf grünen Wasserstoff reduziert jährlich den CO₂-Ausstoß um rund drei Millionen Kilogramm und spart 1,1 Millionen Liter Diesel, rechnet Siemens vor.

Auf der Heidekrautbahn von Berlin in die Schorfheide fährt ab Ende des Jahres der Siemens-Wasserstoffzug Mireo.

© Fotomontage / NEB-Siemens /Noack

Tesla mietet Batteriezug

Für einen Batteriezug hat sich das Tesla-Management in Grünheide entschieden. Bisher wurden die Beschäftigten mit Diesel zum Werk gefahren, nun wird auf Strom umgestellt. Siemens Mobility stellt per Leasing einen Batteriezug bereit, sodass die Tesla-Mitarbeitenden CO₂-frei in die Fabrik kommen. Das Mietmodell bietet sich an für kleine Stückzahlen und bringt Zeit: Die Ausschreibung für den Kauf eines Zugs dauert bis zu fünf Jahre, Mieten ist sofort möglich.

Im vergangenen Quartal verbuchte Siemens Mobility Aufträge über knapp sechs Milliarden Euro. Der Konzern baut Stadt- und U-Bahnen, Lokomotiven, Nahverkehrs- und Regionalzüge sowie Hochgeschwindigkeitsfahrzeuge wie den ICE. Dazu bietet Siemens Mobility Service und Instandhaltung.

Der Auftrag für zehn AP 220-Hochgeschwindigkeitszüge in den USA beinhaltet die Wartung über 30 Jahre. Anders als der Wettbewerber benötigt der neu entwickelte AP 220 keine zweite Lok und verursacht geringere Infrastrukturkosten (Tunnel und Brücken), weil der Zug leichte Höhenzüge fahren kann. Der AP 220 benötigt kein Getriebe und verbraucht 30 Prozent weniger Energie als vergleichbare Schnellzüge.

Vom ICE 3neo liefert Siemens Mobility 90 Stück bis 2028 an die Bahn.

© Imago/Rüdiger Wölk

Hierzulande wollen Deutsche Bahn, Bund und Länder in diesem Jahr gut 16 Milliarden Euro in die Schieneninfrastruktur investieren. „Es ist mittlerweile klar erkannt worden, dass die Infrastruktur das Problem ist. Während der Europameisterschaft haben mehr als 400 ICE funktioniert, die Infrastruktur aber nicht“, sagt Peter.

Das Schienensystem sei in einem ähnlich schlechten Zustand wie vor drei Jahren, als die Ampel-Regierung an den Start ging. „Aber immerhin kommt jetzt Bewegung rein: Die Investitionen werden erhöht und die ersten Projekte aus Digitale Schiene Deutschland wurden vergeben.“ Auch an Siemens Mobility.

Bei der Mitte Juli begonnenen Komplettsanierung der sogenannten Riedbahn, die die Ballungsräume Rhein-Main und Rhein-Neckar verbindet, erneuert Siemens die Leit- und Sicherungstechnik, dazu gehören Relaisstellwerke, Weichen und Signale. Mehr als 3300 Balisen verlegt der Konzern zwischen den Gleisen. Das sind magnetisch gekoppelte Transponder, die beim Überfahren eine Nachricht an das Fahrzeug senden.

100Sekunden kann künftig der Abstand von U-Bahnen betragen

Die Riedbahn bekommt also ein digitalisiertes Zugsteuerungssystem (ETCS), mit dessen Hilfe sich die Kapazität der Strecke um knapp ein Drittel erhöht. Einen ähnlichen Effekt gibt es bei der Anwendung der Communication-Based Train Control (CBTC). Siemens Mobility ist Marktführer im Bereich ETCS und CBTC. In Berlin führt das Unternehmen in den nächsten sieben Jahren auf den U-Bahnlinien U5 und U8 die CBTC ein. Bislang beträgt der Zugabstand mindestens fünf Minuten, mit dem neuen teilautomatisierten System sind 100 Sekunden möglich.

„Wenn ich 30 Prozent im Service spare und 30 Prozent Energie, dann kann das Fahrzeug etwas teurer sein“, beschreibt Michael Peter den Ansatz, der sich von der Low-Cost-Strategie des Wettbewerbers Alstom unterscheidet. Der französische Konzern verhandelt seit Monaten über die Zukunft seiner deutschen Standorte.

Siemens zeigt Digitalisierungstools auf der Innotrans

Auf der Weltleitmesse Innotrans zeigt Siemens im September neben Zügen vor allem Digitalisierungstools: „Wir schaffen eine offene Softwarearchitektur mittels unser Siemens Xcelerator-Plattform, die von allen Teilnehmenden im Bahnsystem genutzt werden kann“, sagt Peter. „Überall im System bekomme ich die Informationen, die einen Mehrwert haben. Dazu schaffen wir etwa 100 Schnittstellen.“

Das betrifft etwa die automatische Kontrolle von Zugteilen oder auch Buchungsmodalitäten: Wenn ein Fahrgast den reservierten Sitz nicht nutzt, könnte im Ergebnis der Platz an einen anderen Fahrgast verkauft werden.

Ein anderes Beispiel für technologische Sprünge ist das digitale Depot in Dortmund. In einer 400 Meter langen Halle werden ICEs gewartet. „Wenn der Zug in die Halle fährt, liegen bereits alle Informationen darüber vor, was gemacht werden muss. Dazu setzen wir einen digitalen Zwilling, künstliche Intelligenz und hochautomatisierte Systeme ein“, erläutert Peter. In der Waschanlage checken Laservorhänge, ob die Bremsen intakt sind.

Der ICE ist das bekannteste Produkt des Konzerns. Von 2022 bis 2028 liefert das Unternehmen 90 ICE3neo an die Bahn. Vor ein paar Monaten machten Mängel Schlagzeilen. „Die Bodengruppen in sechs Zügen waren nicht perfekt geschweißt“, erzählt Peter. Die Qualitätssicherung habe den Fehler entdeckt. „Wir produzieren die Bodengruppen jetzt vorübergehend selbst in unserem Krefelder Werk“, berichtet Peter. Das ist eine Ausnahme. Der Großteil der bis zu 60.000 Teile, die in einem Zug verbaut werden, kommt im globalen Konzern auch künftig von Lieferanten.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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