Schwächelnde Konjunktur: Steigen die Arbeitslosenzahlen weiter?

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Schwächelnde Konjunktur: Steigen die Arbeitslosenzahlen weiter?

Normalerweise sinkt die Zahl der Arbeitslosen vor der Sommerflaute im Juni – in diesem Jahr nicht. Woran liegt es?

Von

  • Oliver Holtemöller
  • Anja Bauer
  • Holger Schäfer

Erst war es Corona, dann der Krieg in der Ukraine: Die Zahl der Arbeitslosen ging im Juni in den vergangenen Jahren nicht so zurück, wie das in der langjährigen Beobachtung üblich ist – oder sie stieg sogar an. Auch in diesem Jahr steht in der Juni-Statistik eine Steigerung statt einer satten Reduzierung vor der Sommerflaute zu Buche. Diesmal ist es aber kein Sondereffekt, sondern schlicht die schwache Konjunktur, die dem deutschen Arbeitsmarkt immer mehr die Luft nimmt.

„Die Schwäche am Arbeitsmarkt hält weiter an“, sagte die Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur, Andrea Nahles bei der Verkündung der Juni-Zahlen. Aber wie lange noch? Auf diese Frage antworten drei Experten. Alle Folgen unserer Serie „3auf1“ finden Sie hier.

Arbeitsmarkt reagiert verzögert auf konjunkturelle Schwankungen

Die deutsche Wirtschaft befindet sich seit einiger Zeit im Abschwung. Der einzige Bereich, in dem zuletzt noch ein Stellenzuwachs zu beobachten war, sind die öffentlichen Dienstleister. Mittlerweile zeigt die Konjunktur zwar erste Erholungstendenzen, aber der Arbeitsmarkt reagiert nur verzögert auf konjunkturelle Schwankungen.

Frühindikatoren signalisieren für die Beschäftigungsdynamik noch keine Besserung. Hinzu kommt, dass die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen nach wie vor hoch ist und außerordentlich viele Beschäftigte betroffen sind. Somit dürfte sich der Anstieg der Arbeitslosenzahlen zunächst fortsetzen. Die Arbeitslosenquote wird aber nur leicht steigen. Erst wenn die Konjunktur in der zweiten Jahreshälfte angesichts der wieder steigenden Reallöhne Tritt fasst, kann sich auch die Arbeitslosigkeit stabilisieren.

Keine Trendwende in Sicht

Die konjunkturelle Lage verbessert sich im Moment nur langsam, und dementsprechend ist auf dem Arbeitsmarkt noch kein Aufwind zu verspüren.

Das IAB-Arbeitsmarktbarometer bewegt sich seit knapp einem Jahr im neutralen Bereich um die 100 Punkte, wobei die Erwartungen für die Beschäftigung optimistischer sind als für die Arbeitslosigkeit. Die Komponente, die einen Ausblick auf die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in den nächsten drei Monaten gibt, lag auch im Juni im pessimistischen Bereich. Eine Trendwende hin zum Abbau der gestiegenen Arbeitslosigkeit ist daher noch nicht in Sicht.

Insgesamt ist also auch in diesem Jahr mit einem Anstieg der Arbeitslosenzahlen zu rechnen. Die IAB-Prognose geht von einem Plus von etwa 120.000 Personen (±70.000) aus.

Für eine Trendwende bräuchte es mehr konjunkturellen Schwung. Aber auch Maßnahmen, die die Transformation begleiten und helfen Personen länger im Job zu halten bzw. die Arbeitslosigkeit schneller zu verlassen, dürften positive Impulse setzen.

Mangelnde Einstellungsbereitschaft

Die Anzahl der Erwerbstätigen ist trotz konjunktureller Flaute gegenwärtig noch stabil und könnte im Jahresdurchschnitt 2024 sogar leicht steigen. Ein Grund: Viele Unternehmen beschäftigen derzeit Arbeitnehmer, die sie nicht voll auslasten können, weil sie sich für kommende demografische Knappheiten rüsten. Bei fortgesetzter Konjunkturschwäche wird das aber nicht länger durchzuhalten sein.

Ohnehin sieht es bei der Entwicklung der Arbeitslosigkeit weniger erfreulich aus. Für den Jahresdurchschnitt ist mit einem Anstieg um 170.000 auf knapp 2,8 Millionen zu rechnen. Das ist zwar weit von historischen Höchstständen entfernt, aber dennoch der höchste Wert seit 2015. Dabei ist trotz Meldungen über Personalabbau von Entlassungen wenig zu sehen. Die steigende Arbeitslosigkeit erklärt sich vielmehr aus der abnehmenden Einstellungsbereitschaft, während gleichzeitig viele Zuwanderer auf den Arbeitsmarkt drängen. Eine Trendwende bei der Arbeitslosigkeit wäre somit erst bei einer konjunkturellen Belebung und besseren Rahmenbedingungen für Unternehmen möglich.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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