Streit über Zurückweisungen an Grenzen: Merz plädiert für dreimonatigen Test – und ist offen für weiteren Migrationsgipfel

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Update Streit über Zurückweisungen an Grenzen: Merz plädiert für dreimonatigen Test – und ist offen für weiteren Migrationsgipfel

Nach dem gescheiterten Asylgipfel zeigt sich der Unionsfraktionschef offen für ein weiteres Spitzentreffen, beharrt aber auf seiner Forderung. Die FDP begrüßt die Gesprächsbereitschaft.

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Kommt Bewegung in den Streit um die Migrationspolitik? Nach dem gescheiterten Gipfel zwischen Bundesregierung und Union hat CDU-Chef Friedrich Merz der Ampelkoalition einen neuen Vorschlag unterbreitet. Gleichzeitig zeigte sich der Unionsfraktionschef offen für ein weiteres Spitzentreffen.

Ein Antrag von CDU/CSU im Bundestag für umfassende Zurückweisungen von Schutzsuchenden an allen deutschen Landgrenzen wurde am Donnerstag zunächst von der Mehrheit der Ampelkoalition zu weiteren Beratungen in die Ausschüsse verwiesen. SPD, FDP und Grüne positionierten sich mit den Stimmen der Linken gegen eine sofortige Abstimmung über den Vorstoß.

Zwei Tage nach dem Scheitern der Gespräche über schärfere Asylregeln machte Merz der Bundesregierung bei diesem Punkt ein neues Angebot. Er schlug am Donnerstag im Gespräch mit den Zeitungen der Funke Mediengruppe vor, umfassende Zurückweisungen Geflüchteter an den deutschen Grenzen ab Oktober für drei Monate zu testen.

Wenn Christian Lindner überzeugt ist, dass ein Gespräch auf Chefebene uns näher an eine echte Wende in der Asyl- und Migrationspolitik bringt, dann stehe ich selbstverständlich zur Verfügung.

Friedrich Merz, CDU-Chef und Unionsfraktionsvorsitzender

Zurückweisungen an den deutschen Grenzen seien „kurzfristig der einzig effektive Weg, um die irreguläre Migration nach Deutschland zu beenden“, sagte Merz. „Wenn es der Ampel so schwerfällt, das zu akzeptieren, dann schlage ich vor, dass wir diese Zurückweisungen ab dem 1. Oktober zunächst für drei Monate lang vornehmen.“ Allein die Signalwirkung dieser Maßnahme werde den Zustrom nach Deutschland in kürzester Zeit stark reduzieren.

Nach drei Monaten solle dann Bilanz gezogen werden, sagte Merz. Die Bundesregierung werde vielleicht dann erkennen, dass dies der richtige Weg sei.

Zugleich zeigte sich Merz nach einem Appell des FDP-Chefs offen für ein neues Treffen mit den Spitzen der Ampel – unter einer Bedingung. „Wenn Christian Lindner überzeugt ist, dass ein Gespräch auf Chefebene uns näher an eine echte Wende in der Asyl- und Migrationspolitik bringt, dann stehe ich selbstverständlich zur Verfügung“, sagte Merz weiter.

Er bleibe aber dabei, dass die Zahl der Menschen, die irregulär ins Land kämen, nur durch Zurückweisungen an der Grenze spürbar und sofort reduziert werden könne. „Diese Maßnahme muss im Mittelpunkt eines Gesprächs stehen“, ergänzte Merz.

Lindner hatte nach dem Scheitern der Migrationsgespräche zwischen Ampel und Union am Dienstag einen neuen Anlauf auf höchster Ebene gefordert. Merz solle mit Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und ihm selbst persönlich verhandeln, schrieb Lindner auf der Plattform X. „Die Absage der Union an den Asylgipfel darf nicht das letzte Wort sein.“ Er fügte hinzu: „Wir werden gemeinsam das Problem lösen.“ Deutschland brauche Kontrolle und Konsequenz bei der Migration.

Ich glaube, dass damit ein überparteilicher Schulterschluss näher rückt zur Lösung des Migrationsproblems.

Christian Dürr, Fraktionschef der FDP

FDP-Fraktionschef Christian Dürr forderte am Freitag mit Blick auf die Einschränkung der Migration eine gemeinsame Gestaltung der Regeln für Grenzkontrollen von Regierung und Union. „Es ist gut, dass Herr Merz gestern, nachdem wir einen Schritt gemacht haben, auch einen Schritt gemacht hat“, sagte der FDP-Politiker im Deutschlandfunk und spielte damit auf den Vorschlag von Merz zu neuen Gesprächen mit der Regierung an. „Das müssen wir zusammen hinkriegen“, fügte Dürr hinzu. „Ich glaube, dass damit ein überparteilicher Schulterschluss näher rückt zur Lösung des Migrationsproblems.“

Scholz hatte Merz am Mittwoch für den Abbruch der Gespräche scharf kritisiert und gleichzeitig betont, dass das Gesprächsangebot an die Union weiter bestehe.

In dem Antrag, den CDU/CSU am Donnerstag in den Bundestag eingebracht hatten, forderte die Unionsfraktion einem bericht der Nachrichtenagentur KNA zufolge, auch Menschen „an den Binnengrenzen zurückzuweisen, die in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder des Schengen-Raums bereits Aufnahme gefunden haben oder die einen Asylantrag auch in einem Staat, aus dem sie einreisen wollen, stellen können“. Dies sei „zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und zum Schutz der inneren Sicherheit in Deutschland“ nötig.

Solche umfassenden Zurückweisungen seien rechtlich zulässig und praktisch möglich, argumentierte die Union. Deutschland habe eine Ausnahmesituation nach europäischem Recht erreicht. „Wir müssen etwas tun, um die irreguläre Migration nach Deutschland möglichst zu stoppen, jedenfalls deutlich zu reduzieren. Und dafür wäre das einzig probate Mittel Zurückweisungen an der Grenze“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Thorsten Frei (CDU), in einer teils hitzig geführten Debatte.

Vertreter der Ampel erklärten, für mehr Zurückweisungen sorgen zu wollen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verwies darauf, in dieser Woche Grenzkontrollen an allen deutschen Landgrenzen angeordnet zu haben. Am Dienstag hatte die Regierung zudem verstärkte Zurückweisungen durch schnellere Verfahren für Schutzsuchende angekündigt, für die eigentlich ein anderes EU-Land zuständig ist.

„Wir handeln, um die Sicherheit in Deutschland weiter zu stärken“, sagte Faeser. Die Union warf der Ampel erneut vor, dass die geplanten Schritte nicht zu mehr Zurückweisungen führen würden.

Wenn die Opposition jetzt nicht mitmacht, dann muss versucht werden, mit dem, was innerhalb der Koalition konsensfähig ist, eine Regelung zu präsentieren, die zur Lösung beiträgt.

Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte vor dem neuen Angebot von Merz gesagt, die Ampelkoalition sei in der Pflicht, das Zuwanderungsproblem allein zu lösen. „Wenn die Opposition jetzt nicht mitmacht, dann muss versucht werden, mit dem, was innerhalb der Koalition konsensfähig ist, eine Regelung zu präsentieren, die zur Lösung beiträgt“, sagte Steinmeier der Agentur dpa zufolge während seines Ägypten-Besuches.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (3.v.r.) am Mittwoch beim Besuch der Nekropole von Sakkara, südlich von Kairo.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Weil die Regelung der Migrationsfrage die Menschen in Deutschland umtreibe, sei es „mit Blick auf den Zustand unserer Demokratie gut, wenn die Parteien der demokratischen Mitte eine gemeinsame Lösung präsentieren könnten“. Er wolle von Kairo aus nicht bewerten, wer die Verantwortung dafür trage, dass dies nun nicht gelinge, sagte Steinmeier.

Die Vorsitzenden von Jusos und Grüner Jugend, Philipp Türmer und Svenja Appuhn, kritisierten in einem gemeinsamen Gastbeitrag für den „Tagesspiegel“ den Asylkurs der Ampel und warfen SPD, Grünen und FDP vor, auf den islamistischen Anschlag von Solingen mit einem „Überbietungswettbewerb“ über weitere Einschränkungen des Asylrechts reagiert zu haben.

Richterbund wirft FDP Blockadepolitik vor

Der Bundestag beriet am Donnerstag erstmals über das Asyl- und Sicherheitspaket, das die Regierung nach dem mutmaßlich islamistischen Messer-Anschlag von Solingen vorgelegt hatte. Damit erfülle der Staat „das fundamentale Versprechen (…), für Freiheit und Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu sorgen“, sagte Faeser im Parlament.

Aus der Gewalttat von Solingen mit drei Toten müssten die notwendigen Konsequenzen gezogen werden, sagte Faeser. „Das tun wir mit dem heutigen Gesetzespaket.“ Sie stellte aber zugleich klar, dass es „hundertprozentige Sicherheit in einem freien, offenen Staat“ nicht geben könne.

Der Deutsche Richterbund warf der FDP vor, Investitionen in die Sicherheitsbehörden zu blockieren. „Das Sicherheitspaket der Ampel ist ein Sicherheitspäckchen geworden, in dem die wirksamste Maßnahme fehlt“, sagte Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

„Leider blockiert die FDP bislang den Vorschlag von Grünen und SPD, gemeinsam mit den Ländern massiv in besser aufgestellte Sicherheitsbehörden und in einen wehrhaften Rechtsstaat zu investieren“, sagte Rebehn. Der Schlüssel zu mehr Sicherheit liege jedoch in einer besseren Rechtsdurchsetzung. Vielfach überforderte Behörden und überlastete Gerichte könnten mit ihren wachsenden Aufgaben immer weniger Schritt halten.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert ebenfalls mehr Geld für innere Sicherheit. „Wer mehr Polizisten auf der Straße sehen will, muss die großen Digitalprojekte der Polizeien sofort umsetzen“, denn dadurch würden Kräfte freigesetzt, sagte der GdP-Bundesvorsitzende, Jochen Kopelke, der dpa. „Wir benötigen zusätzlich mehr Bereitschaftspolizisten und schweres Gerät für das, was da noch kommt.“

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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