Stress auf Fanmeile, Festnahme am Ku’damm: Türkische Fans in Berlin rasten bei Niederlande-Siegtreffer aus

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Update Stress auf Fanmeile, Festnahme am Ku’damm: Türkische Fans in Berlin rasten bei Niederlande-Siegtreffer aus

Im Berliner Olympiastadion unterlag die Türkei gegen die Niederlande, auch der türkische Präsident Erdogan war vor Ort. Fans zeigten den Wolfsgruß, auf der Fanmeile gab es Zusammenstöße.

Von

  • Daniel Friedrich Sturm

Während des brisanten EM-Viertelfinals zwischen der Türkei und der Niederlande ist es auf der Fanmeile in Berlin zu Auseinandersetzungen zwischen Fans beider Teams gekommen. Das bestätigte eine Sprecherin der Berliner Polizei.

Auslöser soll das entscheidende Tor zum späteren Endstand von 2:1 für die Niederlande in der 76. Minute gewesen sein. Beim Siegtreffer der Niederländer rannten Anhänger der Mannschaften aufeinander zu und mussten von Ordnern getrennt werden. Türkische Fans warfen Gegenstände und griffen Niederländer an. Sicherheitskräfte eines privaten Dienstleisters mussten einschreiten. Die Lage sei schnell unter Kontrolle gebracht worden, sagte eine Sprecherin der Polizei.

Auf dem Ku’damm in der City West versammelten sich einige Türkei-Fans. Die Verkehrsinformationszentrale meldete: „Aufgrund der Feierlichkeiten zur EURO2024 kommt es im Bereich Kurfürstendamm und Zoologischer Garten zu Verkehrseinschränkungen.“ Die Straßen mussten aber nicht für den Verkehr gesperrt werden. Es gab noch einen Autokorso, es fuhren hupende Autofahrer mit Türkei-Fahnen umher, wenige Böller flogen, es blieb weitgehend friedlich. Die Polizei nahm eine Person fest.

In der Neuköllner Hermannstraße holten Anwohner und Fans der türkischen Nationalmannschaft bereits kurz vor Abpfiff ihre Türkei-Fahnen von den Balkonen wieder ein. Ein türkisches Café, das ein großes Public Viewing angeboten hat, entfernte ebenfalls zeitnah seine Beflaggung – ebenso wie ein türkischer Supermarkt zwei Häuser weiter. Gäste des Public Viewings verließen vorzeitig das Café. Die Hermannstraße war an einem Samstagabend selten so ruhig.

Polizei beendete Fanmarsch wegen Wolfsgruß

Bis kurz nach dem Spiel sei der Einsatz weitgehend ohne besondere Vorkommnisse verlaufen. Es habe vereinzelte Festnahmen gegeben. Weil viele türkische Fußball-Anhänger fortlaufend den umstrittenen Wolfsgruß gezeigt haben, hatte die Polizei den Fanmarsch vor dem Spiel beendet. Grund waren laut Polizei „fortgesetzte politische Botschaften“.

Die türkischen Fans waren per Lautsprecherdurchsagen aufgefordert worden, sich individuell zum Stadion zu bewegen, sofern sie ein Ticket für das Spiel hätten, hatte es weiter geheißen.

Tausende Fans der türkischen Fußball-Nationalmannschaft zeigten dann während der Nationalhymne im Berliner Olympiastadion am Samstagabend den nationalistischen Wolfsgruß.

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Unmittelbar vor dem EM-Viertelfinale gegen die Niederlande formten die rot-weiß gekleideten Anhänger mit beiden Händen das viel diskutierte Symbol der Grauen Wölfe. Türkische Fußball-Ultras hatten im Vorfeld des Spiels zu der Aktion aufgerufen. Als Graue Wölfe werden die Anhänger der rechtsextremistischen Ülkücü-Bewegung bezeichnet, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Der türkische Nationalspieler Merih Demiral hatte sein zweites Tor im EM-Achtelfinale gegen Österreich am Dienstag mit dem Wolfsgruß gefeiert. Von der UEFA war er daraufhin für zwei Spiele gesperrt worden. 

Ein Anhänger des türkischen Teams zeigte sich im Stadion zudem mit einer Fahne, auf der drei Halbmonde auf grünem Grund zu sehen waren. Die Fahne, die auf das Osmanische Reich Bezug nimmt, gilt unter rechtsextremen Türken ebenfalls als beliebtes Symbol.

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Polizei hatte Fanmarsch vorzeitig beendet

Zuvor hatte die Berliner Polizei am Samstagnachmittag den Fanmarsch der türkischen Fußball-Anhänger Richtung Olympiastadion vorzeitig beendet. Grund war nach Angaben einer Polizeisprecherin das massenhafte Zeigen des Wolfsgrußes während des Umzugs durch den Berliner Westen. Der Fanmarsch sei keine politische Versammlung, um politische Botschaften zu äußern, müsse eine eigene Demonstration angemeldet werden, erklärte die Sprecherin.

Der Abbruch kam für viele türkische Fans völlig überraschend. Eine Begründung war von der Polizei zunächst nicht kommuniziert worden. Eigentlich hätte der Marsch vom Treffpunkt der türkischen Anhänger am Breitscheidplatz bis zum Bahnhof Charlottenburg führen sollen. Weil der Weg vom Breitscheidplatz zum Olympiastadion zu lang gewesen wäre, sollten die Fans von dort für das letzte Stück die S-Bahn nehmen.

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Doch schon vor Erreichen des Bahnhofs erklärte die Polizei den Marsch für beendet. Während einige Minuten lang über Lautsprecher noch von polizeilicher Seite bekannt gegeben wurde, dass die türkischen Anhänger bis zu den S-Bahnen begleitet würden, hieß es nun plötzlich, der Marsch sei vorzeitig abgebrochen. Die Fans sollten sich zügig von der Fahrbahn auf die Gehwege begeben.

Bereits kurz nach Beginn des Fanmarsches hatte die Polizei diesen für kurze Zeit gestoppt, weil zunehmend der Wolfsgruß gezeigt worden war. Die Polizei habe die Fans aufgefordert, den Marsch nicht für politische Meinungsäußerungen zu nutzen, teilte die Behörde auf der Plattform X mit.

Dem Fanmarsch voran lief ein großer, schwarz gekleideter Block organisierter Fußball-Ultras.

Mindestens 4500 Menschen bei türkischem Fanfest

Am Nachmittag hatten sich zunächst tausende Anhänger des türkischen Nationalteams rund um den Breitscheidplatz versammelt und ein Fanfest gefeiert. Rund 4500 Fans waren nach Polizeiangaben gegen 16 Uhr vor Ort, bei anhaltendem Zustrom. Der Verkehr rund um den Platz kam zum Erliegen, Tauentzien- und Budapester Straße wurden gesperrt. Auch die umliegenden Restaurants waren voller türkischer Fußballfans, freie Tische Mangelware. Großer Jubel brandete auf, als ein niederländischer Fan auf eine Laterne kletterte und mit der türkischen Flagge wedelte.

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Der Wolfsgruß war bereits beim Fanfest ständig präsent. Immer wieder reckten Dutzende Anhänger ihre Finger in den Himmel und formten das Symbol der Grauen Wölfe.

Auf dem Plakat eines Fans waren die Wörter „UEFA Mafia“ zu lesen. Eingebettet war der Schriftzug in zwei Hände, die den Wolfsgruß formen. Dazwischen war der türkische Halbmond zu sehen. Angespielt wurde mit dem Plakat offenbar auf die vom europäischen Fußballverband UEFA verhängte Sperre für Merih Demiral. Das Plakat wurde viel fotografiert und von Fans wiederum mit dem Wolfsgruß kommentiert.

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Die Sorge vor einer Eskalation und Ausschreitungen besonders nach dem Spiel ist groß. Rund 3000 Beamte sind laut Polizei rund um das Spiel im Einsatz. Von einer Hochrisikopartie ist die Rede.

Auch der türkische Präsident Erdogan ist vor Ort

Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan besuchte das Spiel am Sonnabend. Im dunklen Anzug und mit roter Krawatte saß der 70-Jährige am Samstagabend zusammen mit seiner Ehefrau Emine im Olympiastadion auf der Tribüne. Erdogan war erst kurz vor Anpfiff in der Hauptstadt gelandet und sollte unmittelbar nach dem Spiel wieder zurückfliegen. Für den Kurzbesuch habe er extra seine geplante Reise nach Aserbaidschan abgesagt, wie die Deutsche Presse-Agentur (DPA) aus informierten Kreisen erfuhr.

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Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt (SPD) wollte ebenfalls an dem Spiel teilnehmen und Erdogan begrüßen, wie er auf Tagesspiegel-Anfrage bestätigte. Zuerst hatte die „Berliner Morgenpost“ berichtet.

Hinter Erdogan auf der Tribüne saß zudem der frühere deutsche Fußball-Nationalspieler Mesut Özil. Der 35-Jährige hatte zuvor mit einem Bild bei Instagram für Aufsehen gesorgt und die aufgeladene Wolfsgruß-Debatte weiter angeheizt. Er teilte ein Foto des umstrittenen Jubels von Merih Demiral. Versehen war es mit einer Anfeuerung für die Türkei. Özil hat, wie auf Fotos zu sehen ist, sogar einen Grauen Wolf tätowiert.

Türkischer Teammanager: Erdogan-Besuch hat nichts mit Wolfsgruß-Debatte zu tun

Laut dem türkischen Teammanager Hamit Altintop hat der Erdogan-Besuch nichts mit der Wolfsgruß-Debatte zu tun. „Das war schon vorher abgesprochen, dass unser Staatschef zu diesem Spiel kommen wollte. Das hat mit dem Vorfall oder der Entscheidung der UEFA gar nichts zu tun“, sagte der ehemalige Bundesligaprofi bei MagentaTV. 

Die Debatte um den Wolfsgruß-Eklat bezeichnete Altintop als unfair. Spuren habe die Diskussion bei seinem Team nicht hinterlassen, sagte der frühere Bundesligaprofi des FC Schalke 04 und von Bayern München. „Trotzdem ist es unfair, weil man die Geschichte und Kultur der Türkei nicht kennt.“

Nach Altintops Ansicht habe es sich um „Falschinformationen in der Presse“ gehandelt, Politiker hätten dies „teilweise“ ausgenutzt. Konkretisieren konnte der ehemalige Nationalspieler diese Aussagen nicht. „Wir sind alle erwachsen genug, um mal einen Historiker dazuzuholen und die Türkei besser kennenzulernen“, empfahl Altintop und verwies auf die jahrtausendelange Geschichte des Landes. „Im Nachhinein wurde so eine Riesenblase daraus gemacht“, fand er. 

Etwa 200.000 Menschen mit türkischen Wurzeln leben in der deutschen Hauptstadt. Bereits am Freitagabend hatten Fans die türkischen Spieler bei ihrer Ankunft im Hotel Ritz Carlton am Potsdamer Platz mit dem Wolfsgruß empfangen. (mit dpa)

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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