Wahlbotschaft aus Brandenburg: Bebende Herzen sind zu vielem fähig

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Wahlbotschaft aus Brandenburg: Bebende Herzen sind zu vielem fähig

Rechtes Chaos oder eine Regierung der demokratischen Mitte – darum ging es in Brandenburg, darum geht es im Bund. Sage, was du tust, und tue, was du sagst: Das entscheidet mehr denn je.

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Die Republik bebt. Herzen und politische Landschaft werden von Schockwellen erfasst und gebeutelt. Sachsen, Thüringen, jetzt Brandenburg – die Ränder fransen nicht mehr aus mehr, sie scheinen sich zu verhärten. AfD und BSW kommen der absoluten Mehrheit der Mandate gefährlich nahe. Wo soll das noch enden?

(Un)rechtes Chaos oder Regierung der demokratischen Mitte, nicht einmal Zuspitzung hilft vollends gegen die Extreme. Die Wählerinnen und Wähler wollen es so, gegen jeden Einspruch. Mehr noch, sie begehren dagegen auf. Darin liegt ein Teil der Verhärtung.

Und wo lässt sich die Abhilfe finden? In solchen Zahlen? 75 Prozent der SPD-Wählerinnen und Wähler im einstmals „roten Preußen“ sagen, dass sie zwar vom politischen Angebot der Partei nicht überzeugt sind, aber SPD wählen, um eine starke AfD zu verhindern. Wenn das der wichtigste Grund ist, ist es nur keiner, der auf Dauer trägt.

Dann die Herausforderung, die darin liegt, dass das Land geteilt ist. Im Gürtel rund um Berlin und im Westen ist die SPD stärker, gen Osten dominiert die AfD. Brandenburg wird so zur Folie für Überlegungen, wie sich die Demokraten das ganze Land zurückholen.

Wahlen als Aufschrei aus gequälten Seelen

An der Zustimmung zu den Extremen ändert einstweilen nicht einmal Wirtschaftswachstum etwas. Brandenburg steht doch gut da mit seinen zwei Prozent – aber nicht überall. Die Regionen fallen auseinander. Das bestimmt das Bild, und es passt auf die gesamte Republik.

Da muss Bundespolitik, Politik für die Republik, ansetzen. Denn daher kommt die krass unterschiedliche Beurteilung der Lage. AfD und BSW können diese Lage mit Verweis auf die Unterschiedlichkeit durchaus schlecht reden. Wenn dann noch Inflation und Arbeitsplatzsorgen hinzukommen, steht die Mehrheit. Sie ist eine gegen jeden Optimismus.

Die Lehre aus den Ländern der neuen deutschen demokratischen Republik, die in wenigen Tagen ihren 34. Geburtstag feiert, ist darum: Die Demokratie ist ultimativ herausgefordert. Und zwar auf allen politischen Ebenen.

Das Gemeinwesen wieder gemeinsam erleben

Wichtig wird jetzt mehrerlei. Einmal, die Wahlen auch als Aufschrei aus gequälten Seelen zu verstehen. Die Ängste sind real. Sie gehen nicht weg, sie müssen zu Konsequenzen führen. Dringend, in allen Bereichen der Politik, Innen, Außen, Wirtschaft.

Die Menschen sollen den Begriff Gemeinwesen wieder erleben und sich selbst als mitbestimmenden Teil empfinden können. Die Regierenden müssen das garantieren.

Und sie müssen absolut glaubwürdig im Reden und Handeln werden. Ein Beispiel: Wenn die Union beklagt, dass in den vergangenen Jahren so viele Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, dann muss sie sich dazu bekennen, dass es ihre Politik war, die das Problem hervorgerufen hat. Lösungsversuche, schonungslos selbstkritische, werden dann umso eher akzeptiert.

Vor allem: sich ehrlich machen

Für die SPD, Grüne und FDP wiederum gilt, dass sie sich ehrlich machen müssen, unter allen Umständen. Auch sie dürfen sich dabei nicht schonen. Was wollen sie noch leisten, was können sie noch gemeinsam schaffen?

Sage, was du tust, und tue, was du sagst – dem Leitspruch des SPD-Granden und vormaligen Bundespräsidenten Johannes Rau zu folgen, wird geradezu überlebensnotwendig. Wo doch schon die Mehrheit allein der SPD-Anhänger meint, dass Kanzler und Koalition ihrer Verantwortung nicht gerecht werden. Geschweige denn der Rest der Bevölkerung.

Zur schonungslosen Sicht auf sich und die Lage gehört ein letzter Blick auf Brandenburg. Und auf diese Lehre für die Einzelnen in Verantwortung: Erst das Land – und dazu dann die richtige Person. Der richtige Kandidat kann die Statik der Republik stärken, der falsche zu ihrer Erschütterung beitragen.

Bebende Herzen sind zu vielem fähig. Auch zum Allerbesten. Wenn sie mutig sind und unverzagt. Und noch ist ja nicht alles verloren. Zunächst endet nur dieses Wahljahr. In einem Jahr und einer Woche soll der neue Bundestag gewählt werden. Der kann ein ganz anderes, gefestigtes, stabiles Bild der Demokratie abgeben. Wollen wir hoffen.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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