Wegen Aufgabe als Außenministerin: Baerbock verzichtet auf erneute Kanzlerkandidatur

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Update Wegen Aufgabe als Außenministerin: Baerbock verzichtet auf erneute Kanzlerkandidatur

Statt in einer Kandidatur für die Grünen gebunden zu sein, wolle sie ihre Kraft angesichts der internationalen Krisen voll ihrer aktuellen Aufgabe widmen, erklärt Baerbock. Ist nun der Weg frei für Habeck?

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Annalena Baerbock will sich voll auf ihr Amt als Außenministerin konzentrieren und strebt keine erneute Grünen-Kanzlerkandidatur an.

Statt in einer Kanzlerkandidatur gebunden zu sein, wolle sie angesichts der internationalen Krisen ihre Kraft voll ihrer aktuellen Aufgabe widmen, erklärte die Grünen-Politikerin in einem Interview des US-Fernsehsenders CNN am Rande des Nato-Gipfels in Washington.

Die Welt ist offensichtlich eine ganz andere als zur letzten Bundestagswahl.

Annalena Baerbock, Bundesaußenministerin

„Die Welt ist offensichtlich eine ganz andere als zur letzten Bundestagswahl“, sagte Baerbock laut offizieller Übersetzung des Auswärtigen Amts in Berlin. „Im Lichte des russischen Angriffskriegs und nun auch der dramatischen Lage im Nahen Osten braucht es nicht weniger, sondern mehr Diplomatie. Sonst füllen die Lücke andere“, ergänzte sie.

Baerbock fügte in dem von der CNN-Journalistin Christiane Amanpour geführten Interview hinzu: „Daher bedeutet in diesen extremen Zeiten staatspolitische Verantwortung als Außenministerin für mich: Statt in einer Kanzlerkandidatur gebunden zu sein, meine Kraft weiterhin voll und ganz meiner Aufgabe zu widmen, Vertrauen, Kooperation und verlässliche Strukturen zu bilden – für und mit so vielen Partnern weltweit und in Europa, die darauf bauen.“

Habeck nun Favorit auf die Kanzlerkandidatur

Baerbock, die sich vor der Bundestagswahl 2021 mit dem heutigen Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck darauf geeinigt hatte, damals als Kanzlerkandidatin der Grünen anzutreten, versicherte zugleich: „Natürlich werde ich im Wahlkampf alles tun, um meine Partei zu unterstützen, wie ich es das letzte Mal auch getan habe.“

Baerbock versprach ihrer Bundestagsfraktion eine enge Zusammenarbeit mit Habeck. „Robert und ich gehen jetzt schon fast ewig gemeinsam durch dick und dünn und werden in den kommenden Wochen eng zusammenarbeiten“, schrieb Baerbock nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur in einer Nachricht an die Fraktion.

„Ohne Frage werde ich mich natürlich mit Verve in den grünen Wahlkampf reinhängen als Teil eines starken grünen Teams“, schrieb Baerbock. Sie befand: „Wir sind als Grüne gut aufgestellt, um 2025 gemeinsam zu einem Erfolg für uns zu machen.“ In den jüngsten Umfragen liegt die Partei allerdings nur bei elf Prozent.

Alles Weitere werden wir in den Gremien beraten und die richtigen Entscheidungen rechtzeitig verkünden.

Robert Habeck, Vizekanzler

Habeck reagierte am Rande seiner Sommerreise in Dortmund auf die Nachricht aus den USA. Er lobte Baerbocks Verdienste als Außenministerin. „Annalena Baerbock hat dafür gesorgt, dass Deutschland in den letzten Jahren ein Stabilitätsfaktor in der Außenpolitik gewesen ist und nach wie vor ist.“ Seine Parteifreundin mache einen hervorragenden Job.

Dass Baerbock ihre Entscheidung in einem TV-Interview in den USA bekannt gebe, „zeigt, wie tief sie in der Außenpolitik verankert ist“, sagte Habeck. Zu seinen eigenen Ambitionen für eine Kanzlerkandidatur äußerte sich der Vizekanzler ausweichend. „Alles Weitere werden wir in den Gremien beraten und die richtigen Entscheidungen rechtzeitig verkünden.“

Grünen-Chefs unterstützen Baerbocks Entscheidung

Die beiden Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour äußerten sich ebenfalls am Abend zur Entscheidung von Baerbock. „So ist Annalena Baerbock und so schätzen wir sie: mit Verantwortung für das Ganze und als Teamspielerin“, sagten die beiden Grünen-Vorsitzenden. „Ihre Entscheidung zeugt von großer Verantwortung für unser Land.“

Gerade jetzt brauche Deutschland eine engagierte Außenministerin. „Sie steht für eine Außenpolitik, die im Moment so sehr gebraucht wird, wie vielleicht noch nie.“ Zur Kanzlerkandidatur der Grünen äußerten sich Lang und Nouripour ausweichend: „Alles Weitere entscheiden wir zum gegebenen Zeitpunkt.“

Ich habe großen Respekt vor dieser Entscheidung.

Winfried Kretschmann, Baden-Württembergs Ministerpräsident

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der sich schon vor einigen Wochen für Robert Habeck als Kanzlerkandidat ausgesprochen hatte, lobte Baerbocks Entscheidung. „Ich habe großen Respekt vor dieser Entscheidung“, sagte Kretschmann dem Tagesspiegel. Baerbock führe ihr Amt mit Stärke und Weitblick. „Unser Land darf sich glücklich schätzen, in den Krisen dieser Zeit eine solch verantwortungsbewusste und versierte Außenministerin zu haben“, sagte Kretschmann.

Parteilinke fremdelt mit Habecks Stil

Habeck bemüht sich intern seit Monaten um die Unterstützung seiner Partei für eine Kanzlerkandidatur. Erst am Wochenende forderte er nach Tagesspiegel-Informationen bei einem Treffen des Realo-Flügels der Grünen in Berlin-Kreuzberg vehement den Posten für sich.

Doch in seiner Partei gibt es auch viele Bedenkenträger, die eine Kandidatur angesichts der schwachen Umfragewerte für die Grünen kritisch sehen und stattdessen lieber von einer Spitzenkandidatur sprechen wollen.

Zudem fremdeln vor allem viele Parteilinke mit Habecks Stil. Er sei zu wenig Teamplayer und binde die Partei zu kaum in seine Entscheidungen ein, heißt es immer wieder. Zudem gehe er zu leichtsinnig mit der Programmatik der Partei um und schließe zu rasch Kompromisse. Seine Unterstützer sehen in Habeck dagegen einen Brückenbauer und Kommunikator, der auch viele Menschen im bürgerlichen Milieu anspreche.

Annalena Baerbock lässt Robert Habeck den Vortritt.

© AFP/Ralf Hirschberger

Dass entweder Baerbock oder Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck die Grünen in den nächsten Bundestagswahlkampf führen würden, ist seit Längerem klar.

In Baerbocks Umfeld hieß es noch im Frühjahr, man wolle am vor zweieinhalb Jahren vereinbarten Verfahren zur Kandidatenaufstellung festhalten. Im September 2022 hatte der Vorstand entschieden, dass die Partei-Basis bei einer Urwahl entscheiden solle, falls es mehrere aussichtsreiche Kandidaten geben sollte.

Grüne wollten Hängepartie vermeiden

Doch eine Hängepartie, womöglich öffentlich ausgetragen, wollte man gerne vermeiden. Spitzen-Grüne hofften stets, dass die beiden früheren Parteichefs sich gütlich einigen würden.

Hätte Baerbock auf der Kandidatur bestanden, wäre ein Machtkampf mit Habeck kaum vermeidbar gewesen. Das wirft die Frage auf: Wie viel Ärger, wie viel politisches Kapital ist so ein Kampf wert? Und das gerade bei einer Partei, die in den Umfragen derzeit nur zwischen 11 und 13 Prozent rangiert?

Derzeit scheint abwegig, dass der nächste Kanzler ein grünes Parteibuch haben könnte. Aber es gibt ja noch ein übernächstes Mal. Und Baerbock ist mit 43 Jahren jung für eine Politikerin – vielleicht erklärt auch das den Verzicht.

Grünen-Fraktionschefs loben Baerbocks Entscheidung

Die Co-Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Bundestag, Britta Haßelmann lobte Baerbocks Entscheidung. „So ist Annalena Baerbock. Verantwortung für das Ganze, eine Teamspielerin durch und durch. Das wissen wir alle und das schätzt unsere Partei so an ihr“, schrieb Haßelmann auf X. „Sie zeigt große Verantwortung, in dieser krisenhaften Zeit und Weltlage ihr Engagement voll und ganz der Außenpolitik zu konzentrieren.“

Katharina Dröge, die die Grünen-Bundestagsfraktion mit Haßelmann gemeinsam führt, äußerte sich ähnlich. „Ich bin sehr froh, dass wir eine Außenministerin haben, die in sehr schwierigen Zeiten & bei allen wichtigen Fragen – von der Ukraine bis Nahost – international so hohes Vertrauen genießt“, schrieb Dröge auf X. „Es ist eine sehr verantwortungsvolle Entscheidung, in dieser Zeit der Außenpolitik Stabilität und Priorität zu geben. Und danke dafür, dass Teamplay für Dich so wichtig ist.“

Die Union begrüßte Baerbocks Ankündigung. „Die Grünen haben drängendere Probleme, als die Frage einer Kanzlerkandidatur zu klären“, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, der Zeitung „Rheinische Post“.

Es handle sich um eine „konsequente Entscheidung“, sagte Frei. „Ich hoffe, dass bei der Ministerin die Einsicht wächst, dass ihre Partei nicht länger Politik gegen den erklärten Willen der Mehrheit der Bürger betreiben sollte.“ (mit dpa, Reuters)

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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