Zu hart, zu schnell: Bei SPD und Grünen wächst der Unmut über den Asyl-Kurs

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Zu hart, zu schnell: Bei SPD und Grünen wächst der Unmut über den Asyl-Kurs

Seit dem islamistischen Messerattentat von Solingen verschärft die Ampel im Eiltempo Asylgesetze. Inzwischen mehren sich bei Grünen und SPD jedoch die kritischen Stimmen.

Von

  • Daniel Friedrich Sturm

Im Getöse des tobenden Bundestags feiert Olaf Scholz seine Erfolge: „Wir haben die größte Wende im Umgang mit der irregulären Migration zustande gebracht“, ruft der Bundeskanzler über die Zwischenrufe von AfD und Union hinweg und zählt auf: mehr Befugnisse für die Polizei bei Abschiebungen, eine Verlängerung der Abschiebehaft, weniger Einspruchsmöglichkeiten, Reduzierungen für Asylbewerber-Leistungen, Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten und der Grenzkontrollen.

Von seiner eigenen Fraktion und den Liberalen erhält der Kanzler dafür am Mittwochmorgen in der Generaldebatte viel Beifall. Doch in den Reihen dazwischen, wo die Grünen Platz nehmen, applaudieren an dieser Stelle nur einige wenige Abgeordnete. Viele andere bleiben still.

Es passt ins Bild. Die Verschärfung der Migrations- und Asylpolitik der Ampel in den vergangenen Wochen seit dem islamistischen Messerattentat von Solingen tragen die Grünen ungewohnt geräuschlos mit. Groß scheint die Furcht, kurz vor der Brandenburg-Wahl wieder als ideologischer Bremsklotz dazustehen. Außenministerin Annalena Baerbock und Vizekanzler Robert Habeck haben der Partei einen realpolitischen Kurs vorgegeben. Doch inzwischen zeigen sich erste Risse.

In einem offenen Brief fordern bereits rund 1500 Grünen-Mitglieder die Parteispitze auf, zurückzufinden zu einer „Asylpolitik, die auf Schutz und Integration setzt, anstatt auf Abschottung und Kriminalisierung“. Konkret kritisiert die Basis etwa, dass die Grünen in der Regierung Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien ermöglichen.

Außenministerin Annalena Baerbock und Vizekanzler Robert Habeck stimmen sich in Migrationspolitik momentan eng ab.

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„Wir erleben gerade einen Wettbewerb der inhumanen Schäbigkeit“, sagte Mit-Initiator Enad Alatweel dem Tagesspiegel. Er freut sich, dass sein Brief innerhalb weniger Stunden so viel Unterstützung erfahren hat. Mit Canan Bayram hat den Brief sogar eine Bundestagsabgeordnete der Grünen unterzeichnet.

Doch es sind nicht nur die Abschiebungen, die viele Grüne kritisieren. Die jüngsten Vorschläge von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) werden immer offener kritisiert: „Ich halte die stationären Grenzkontrollen für falsch. Grenzregionen werden zerrissen, die Bundespolizei überfordert und es wird lediglich ein Sicherheitsgefühl erzeugt, aber keine faktische Sicherheit“, sagt etwa der Grünen-Abgeordnete Julian Pahlke, dessen niedersächsischer Wahlkreis in der Nähe der niederländischen Grenze liegt.

Dieses wahllose Hinausfeuern von „immer noch mehr“ verunsichert Menschen in unserem Land.

Grünen-Politiker Julian Pahlke kritisiert das Tempo der Asylverschärfungen.

Das Tempo, mit dem seit Solingen der Asylkurs verschärft wird, schockiert viele Grüne. „In dieser kurzen Zeit ist eine so ausreichende Prüfung, wie es eigentlich notwendig wäre, nicht möglich“, kritisierte etwa Fraktionschefin Katharina Dröge den Zeitplan des sogenannten Sicherheitspakets, in dem unter anderem die Sozialleistungen für Dublin-Flüchtlinge gekürzt und Urlaube von Asylbewerbern verboten werden sollen. Trotzdem stimmte ihre Fraktion zu, dass der Gesetzentwurf bereits am Donnerstag in den Bundestag kommt.

Dass neben dem Sicherheitspaket nun auch noch über Asyl-Schnellverfahren in Grenznähe gesprochen wird, verärgert zahlreiche Grüne. Innenministerin Faeser habe einen Vorschlag vorgelegt, „der erst mal ihre Sicht wiedergibt“, sagt Pahlke.

„Diese Vorschläge werfen aber mehr Fragen auf, als Antworten“, sagt er und warnt vor den Folgen der rasanten Verschärfungen: „Dieses wahllose Hinausfeuern von „immer noch mehr“ verunsichert Menschen in unserem Land. Wir müssen auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Blick behalten.“

Parteijugend attackiert den Kurs der Ampel scharf

Auch Misbah Khan, Innenpolitikerin der Grünen, warnt davor, dass die Ampel sich nicht länger von der Union treiben lassen dürfe. CDU und CSU hätten das Problem des Terrorismus in ein Migrationsproblem umgedeutet: „Dieser Vereinfachung wurde zu lange Folge getragen“, sagte sie dem Tagesspiegel. Es sei überfällig, zu einer „ernsthaften Sicherheitsdebatte“ zurückzukehren.

Noch müssen sich Kanzler und Vizekanzler wohl keine Sorgen um eine Mehrheit für ihren Asylkurs machen. Mehr als 40 Stimmen Mehrheit hat die Ampel, doch der Druck steigt. Denn auch bei der SPD-Linken beobachtet man die Schritte der Regierung genau: „Wichtig ist, dass wir europäisch abgestimmt in Eintracht mit unseren Nachbarn handeln und das ganze rechtssicher ausgestalten“, sagte Sebastian Roloff, Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Fraktion, dem Tagesspiegel.

Unverhohlen scharf attackieren die Jugendverbände von SPD und Grünen den Kurs der Ampel: „Die aktuelle Asyldebatte ist reflexhaft und falsch“, kritisiert die Vorsitzende der Grünen Jugend, Svenja Appuhn, gemeinsam mit Juso-Chef Philipp Türmer. Ihr Vorwurf: Die Ampel lasse sich von Rechtsaußen zu „immer neuen Abschottungsideen“ treiben.

Svenja Appuhn, Bundessprecherin Grüne Jugend, kritisiert gemeinsam mit Philipp Türmer den Kurs der Ampel.

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Sie fordern die Ampel dagegen auf, einen neuen Ansatz einer „menschlichen und gerechten europäischen Asylpolitik“ zu verfolgen. Die jüngste Entscheidung der Innenministerin, Grenzkontrollen auszuweiten, kritisieren Türmer, Appuhn und Stolla scharf: „Zur Lösung des Problems politischen Islamismus in Deutschland wird die Abschottung nichts beitragen.“

In der konservativeren Fraktionsspitze der SPD versucht man dagegen die Wogen zu glätten, indem man vor allem das Handeln von CDU-Chef Friedrich Merz kritisiert. „Die Regierungskoalition hat effektive und rechtssichere Vorschläge vorgelegt, die irreguläre Migration in unserem Land weiter einzudämmen“, sagte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Dirk Wiese dem Tagesspiegel. Bedauerlicherweise hätten sich CDU und CSU „erneut aus der Verantwortung gestohlen. Wenn es darauf ankommt, schlägt sich Friedrich Merz in die Büsche.“

Die Vorschläge der Ampel-Koalition würden Zurückweisungen an den deutschen Grenzen und die Dublin-Regeln besser durchsetzen, sagte Wiese. Es sei sehr schade, dass dies nicht mit der oppositionellen Union beschlossen werden könne.

Man werde die Vorschläge „mit oder ohne die Union“ zeitnah auf den Weg bringen. Dazu zählten Regelungen der bis Juni 2026 umzusetzenden Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) bereits jetzt vorzuziehen und umzusetzen. Es sei „erschreckend, wie leichtfertig die Union mit ihren Maximalforderungen bereit war, den europäischen Zusammenhalt zu untergraben“, sagte Wiese.

Ähnlich äußert sich Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD). „CDU/CSU haben auf Maximalforderungen beharrt, die weder mit unserem Grundgesetz, noch mit den EU-Vorgaben und internationalen Vereinbarungen in Einklang zu bringen sind“, sagte Maier dem Tagesspiegel. Die Bundesregierung habe „eine grundlegende Neuausrichtung der Flüchtlingspolitik vollzogen“. Der Bundestag berate bereits über die Kürzung von Asylleistungen für Dublinfälle.

Es gehe um „effektive und pragmatische Schritte, um irreguläre Migration zu verhindern“, sagte Maier. Die konsequente Zurückweisung und die Möglichkeit von Prüfverfahren schon an der deutschen Grenze sei aus Sicht von Ländern und Kommunen ein guter Vorschlag. Der GEAS-Kompromiss für ein gemeinsames europäisches Asylsystem dürfe nicht durch nationale Alleingänge gefährdet werden. Das zielt auf die Forderungen der Union. „Das weitere Drehen an der populistische Schraube durch die CDU ist verantwortungslos“, sagt Maier.

Noch taugt Merz als Blitzableiter für den Ärger in den Ampel-Parteien. Doch nach dem Ende der gemeinsamen Gespräche dürfte auf die Spitzen von SPD und Grünen bald noch mehr Vermittlungsarbeit warten.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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