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Die Fortsetzung der EM mit anderen Mitteln: So plant Bundestrainer Nagelsmann den Umbruch
Joshua Kimmich wird Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, Marc-André ter Stegen die neue Nummer eins. Sonst soll sich weniger ändern, als man vermuten könnte.
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Ein bisschen wirkt die EM immer noch nach. Als Julian Nagelsmann, der Bundestrainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, zum ersten öffentlichen Auftritt der neuen Saison erscheint, muss er sich erst einmal entschuldigen. Er ist eine Viertelstunde zu spät. Der Grund, so heißt es, sind leichte Probleme mit den öffentlichen Verkehrsmitteln.
Nagelsmann selbst war davon nur mittelbar betroffen. Einige seiner Spieler waren verspätet im neuen alten Quartier in Herzogenaurach eingetroffen. Doch bevor der Bundestrainer zu seiner ersten Pressekonferenz vor den Nations-League-Spielen gegen Ungarn und Holland aufbrach, wollte er seinem Team noch „ein paar wichtige Dinge“ mitteilen.
Zum Beispiel, wer künftig in der Nachfolge des zurückgetretenen Ilkay Gündogan neuer Kapitän der Nationalmannschaft ist.
Die Wahl ist – nicht allzu überraschend – auf Joshua Kimmich, 29, gefallen, der nicht nur schon lange im Ruf steht, heimlicher Kapitän seiner Teams zu sein, sondern inzwischen auch der Spieler mit den meisten Einsätzen (91 Länderspiele) in Nagelsmanns Kader ist. Der Münchner, so der Bundestrainer, sei „ein sehr logischer Nachfolger“ für Ilkay Gündogan.
Exakt 58 Tage sind seit Nagelsmanns letztem öffentlichen Auftritt vergangen. Anfang Juli, wenige Stunden nach der Niederlage gegen Spanien und dem EM-Aus, saß er in Herzogenaurach, um Bilanz zu ziehen und zugleich in die Zukunft zu blicken. Bei der Bilanz kamen ihm die Tränen, beim Blick in die Zukunft wirkte er forsch und optimistisch.
Seitdem hat sich einiges verändert. Vier Spieler haben im Laufe des Sommers ihren Rücktritt aus der Nationalmannschaft erklärt. Nach Toni Kroos, der schon vor dem Turnier das Ende seiner Karriere erklärt hatte, werden auch Kapitän Gündogan, dessen Stellvertreter Manuel Neuer und Thomas Müller künftig nicht mehr für das Team auflaufen. Vier Spieler, die laut Nagelsmann „eine große Historie beim DFB hatten und eine tragende Rolle bei der EM“.
451Länderspiele haben Neuer, Kroos, Müller und Gündogan bestritten
Die Weltmeister von 2014 sind jetzt offiziell Geschichte. Einige von ihnen sind zwar weiterhin aktiv, nicht mehr aber für die Nationalmannschaft, der dadurch eine Menge Erfahrung wegbricht. Kumuliert sind es 56 Jahre im Nationalteam und insgesamt 451 Länderspiele – mehr, als der gesamte Kader für die beiden anstehenden Spiele aufweist.
So logisch wie die Beförderung von Joshua Kimmich zum neuen Kapitän, so logisch ist auch der Aufstieg von Marc-André ter Stegen zur neuen Nummer eins. Der Torhüter des FC Barcelona hatte sich lange mit der Rolle des Ersatzmannes hinter Manuel Neuer abfinden müssen.
Kroos fehlt als Ordnungsfaktor
Deutlich komplizierter ist die Neuaufstellung im zentralen Mittelfeld. Mit Kroos und Gündogan sind dem Bundestrainer in diesem Mannschaftsteil gleich zwei Spieler weggebrochen, die bei der Europameisterschaft zur Stammbesetzung gehörten. Vor allem die Reaktivierung von Toni Kroos für das Heim-Turnier hatte einen positiven Einfluss auf das Auftreten des Teams. Er war der entscheidende Ordnungsfaktor im deutschen Team.
Angesichts dessen überragender Qualität hat Nagelsmann „gar nicht die Idee, dass ein Spieler Toni eins zu eins ersetzen kann“. Für die Rolle im defensiven Mittelfeld kommen neben dem Neu-Dortmunder Pascal Groß der Münchner Aleksandar Pavlovic und Angelo Stiller infrage. Keiner von ihnen kann es – was Erfahrung und Erfolge angeht – mit Kroos aufnehmen. Und trotzdem sagt Nagelsmann: „Unser Spiel wird sich minimal ändern.“
So massiv die Einschnitte in den Kader durch die Rücktritte der vier Routiniers waren, so minimalinvasiv will der Bundestrainer selbst nun eingreifen. Nach der positiven Resonanz auf die Aufritte bei der EM geht es ihm darum, die Fortschritte zu verstetigen; er werde daher jetzt auch nicht jeden Monat zehn neue Spieler einladen.
„Wir wollen die EM rund machen“, sagt Nagelsmann zu seiner Personalpolitik, die für die anstehenden Länderspiele eher defensiv daherkommt. Mit dem Stuttgarter Stiller hat er nur einen Neuling berufen. Dazu kommen dessen Teamkollege Alexander Nübel sowie Aleksandar Pavlovic, die kurz vor der EM noch aus dem Kader gestrichen wurden. Alle anderen Spieler waren bereits bei der Heim-EM dabei.
Es braucht nun keine Revolution mehr, lautet die unterschwellige Botschaft des Bundestrainers an sein Team. Das Pflänzchen namens Nationalmannschaft sei zwar immer noch zart, sagt Julian Nagelsmann, aber „es ist ein Pflänzchen mit viel Potenzial, um zu wachsen“.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de