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Endlich am Ziel: Marc-André ter Stegen ist Deutschlands neue Nummer eins
Zwölf Jahre hat Marc-André ter Stegen vom FC Barcelona seit seinem Länderspieldebüt auf die Beförderung zu Deutschlands Nummer eins warten müssen. Sein Pech hieß Manuel Neuer.
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Marc-André ter Stegen kennt Uwe Kamps, seitdem er 15 oder 16 ist, sein halbes Leben also schon. Und obwohl beide bereits seit mehr als zehn Jahren nicht mehr zusammenarbeiten, ist der frühere Torwarttrainer von Borussia Mönchengladbach auch weiterhin eine wichtige Bezugsperson für ihn. Auch nach ter Stegens Wechsel aus seiner Heimatstadt Mönchengladbach zum FC Barcelona im Sommer 2014 ist der Kontakt nie abgerissen.
Beide schreiben sich weiterhin, telefonieren auch regelmäßig, und sollte sich Kamps, 60, einmal gefragt haben, ob sein fast drei Jahrzehnte jüngerer Schüler dessen nicht irgendwann überdrüssig werden könnte, dann muss er sich keine Sorgen machen. Ter Stegen hat am Donnerstag berichtet, dass ihm die aufmunternden Nachrichten von Kamps („Bleib dran. Das wird schon“) gerade in den Zeiten geholfen haben, die für einen ehrgeizigen Sportler wie ihn nicht einfach waren.
Am Donnerstagmittag, zwei Tage vor dem Nations-League-Spiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Düsseldorf gegen Ungarn (20.45 Uhr, live im ZDF), sitzt der Torhüter in Herzogenaurach auf dem Pressepodium, und er hinterlässt dabei den Eindruck eines Mannes, der nach langem Kampf endlich sein Ziel erreicht hat. Der 32 Jahre alte ter Stegen wirkt gelöst und trägt ein fast schon offensives Lächeln auf dem Gesicht.
Ter Stegen hat auf diesen Moment lange gewartet
Anfang dieser Woche hat Bundestrainer Julian Nagelsmann bekannt gegeben, dass er den Torhüter des FC Barcelona zur neuen Nummer eins der Nationalmannschaft und damit zum Nachfolger des zurückgetretenen Manuel Neuer befördert hat. „Natürlich war es ein anderes Gefühl“, sagt ter Stegen über seine Rückkehr nach Herzogenaurach. „Aber es hat sich nicht alles verändert. Ich möchte erfolgreich sein – das ändert sich nicht.“
Es gibt diese Momente, wo du darüber nachdenkst: Boah, das ist natürlich schon wieder ein Schlag gewesen. Machen wir uns nichts vor: Das ist auch frustrierend. Aber es hat sich gelohnt.
Marc-André ter Stegen, Nachfolger von Manuel Neuer als Deutschlands Nummer eins
Auf diesen Moment hat er lange gewartet. Für seinen Geschmack sogar ein bisschen zu lange. „Mein Anspruch war es immer, die Nummer eins zu sein“, erzählt ter Stegen. Aber es habe nun mal einen anderen Torhüter gegeben, „der es immer wieder geschafft hat, sich da vorzudrängeln“.
Der andere, das war Manuel Neuer, der einerseits den Ruf hatte, der beste Torhüter der Welt zu sein; der es andererseits aber auch zweimal – bei der WM 2018 und bei der Heim-EM in diesem Sommer – nach langwierigen Verletzungen erst auf den letzten Drücker geschafft hat, seinen Herausforderer wieder aus der Stammelf zu verdrängen.
Für ter Stegen waren das bittere und schmerzhafte Erfahrungen. „Es gibt diese Momente, wo du darüber nachdenkst: Boah, das ist natürlich schon wieder ein Schlag gewesen“, sagt er. „Machen wir uns nichts vor: Das ist auch frustrierend. Aber es hat sich gelohnt.“
Keiner aus dem aktuellen Kader von Bundestrainer Nagelsmann ist so lange Nationalspieler wie Marc-André ter Stegen. Mehr als zwölf Jahre liegt sein Debüt bereits zurück. Unmittelbar vor der EM 2012 war das, als die Deutschen der Schweiz in einem wilden Spiel mit 3:5 unterlagen.
40Länderspiele hat ter Stegen seit seinem Debüt 2012 bestritten.
Dass der damalige Bundestrainer Joachim Löw in Ermangelung einiger Routiniers eine wild zusammengewürfelte Elf aufgeboten hatte, spielte bei der Bewertung von ter Stegens Debüt später allenfalls eine nachrangige Rolle. Glänzen konnte er nicht. Vielmehr gab das Spiel gewissermaßen den Ton für die Frühphase seiner Länderspielkarriere vor. Es war ein ziemlich schriller.
Bei seinen ersten drei Einsätzen im DFB-Team kassierte ter Stegen gleich zwölf Gegentore, und so hat sich irgendwann in den Köpfen des Publikums der Eindruck verfestigt, dass dieser junge Mann ganz bestimmt ein außerordentlich begabter Torhüter sei, die Nationalmannschaft aber eben nicht unbedingt sein Ding.
„Am Ende musst du beweisen, dass du der Beste bist“, sagt ter Stegen. „Ich möchte als derjenige gesehen werden, der immer seine Leistung bringt, auf den man sich absolut verlassen kann.“ Tatsächlich hat er selbst jetzt noch ein bisschen gegen die alten Vorbehalte anzukämpfen. Dabei ist seine sportliche Vita über alle Zweifel erhaben. Nur sieben Torhüter haben mehr Länderspiele für das DFB-Team bestritten als er (40), und alle sieben waren zumindest zeitweise die klare Nummer eins der Nationalmannschaft. Das war ter Stegen bisher nie.
Beim FC Barcelona ist er jetzt Kapitän
„Er hat das immer sportlich genommen“, sagt Joshua Kimmich, der neue Kapitän der Nationalmannschaft, sei seiner Verantwortung für das Team stets gerecht geworden. Deshalb freue er sich, „dass für ihn jetzt die Tür aufgeht und er Fußball-Deutschland zeigen kann, wie gut er ist“. Denn noch immer, so zumindest ist Kimmichs Gefühl, werde hierzulande „ein bisschen unterschätzt, was er in Barcelona über Jahre geleistet hat“.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass er den Job ohne Zweifel sehr gut ausführen und der Mannschaft ganz viel Qualität und auch Charakter auf dem Platz geben wird.
Mittelstürmer Niclas Füllkrug
Nach mehr als 400 Pflichtspielen ist ter Stegen seit dieser Saison sogar Kapitän des renommierten Klubs, mit dem er fünfmal die spanische Meisterschaft gewonnen hat, fünfmal den nationalen Pokal und einmal die Champions League. In der vorvergangenen Saison, seiner wohl stärksten in Spanien, wurde er sogar zum besten Spieler der Primera Division gewählt – zum besten Spieler wohlgemerkt, nicht nur zum besten Torhüter.
Die Beförderung zu Deutschlands neuer Nummer eins, „hat er sich verdient, muss man wirklich sagen“, findet Kimmich. Und Mittelstürmer Niclas Füllkrug sagt: „Ich bin mir ziemlich sicher, dass er den Job ohne Zweifel sehr gut ausführen und der Mannschaft ganz viel Qualität und auch Charakter auf dem Platz geben wird.“
Als Marc-André ter Stegen im Alter von zehn, elf Jahren vom Feld ins Tor wechselte, da war Oliver Kahn sein großes Vorbild. Aber von dem hat er sich zeitig emanzipiert.
Kahn war ein klassischer Linientorwart, der sich vor allem auf seine überragenden Reflexe verlassen hat. Ter Stegen ist – wie auch Neuer – ein Vertreter der neuen Schule: gut mit dem Fuß, offensiv in der Verteidigung und dem Gegner im Idealfall dadurch immer einen Zug voraus. Trotzdem kommt es am Ende darauf an, möglichst oft zu null zu spielen. Marc-André ter Stegen, dem das in 40 Länderspielen 11-mal gelungen ist, sagt: „Das ist der große Fokus und die große Kunst des Torwartspiels.“
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de