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Schutzraum in Bonbonfarben: Die Fotografien des jungen US-Stars Tyler Mitchell

Schutzraum in Bonbonfarben: Die Fotografien des jungen US-Stars Tyler Mitchell

© Tyler Mitchell

Schutzraum in Bonbonfarben: Die Fotografien des jungen US-Stars Tyler Mitchell

Mit gerade 23 Jahren lichtete er Beyoncé für das Titelbild der „Vogue“ ab. Nun hat Tyler Mitchell seine erste deutsche Soloschau bei C/O Berlin.

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So nett kann eigentlich niemand sein. Auf der Bühne des Delphi-Kino sitzt Tyler Mitchell und spricht entspannt über seine Reise nach Berlin. Schnitzel habe er gegessen und sein Idol, den Fotografen Wolfgang Tillmans, getroffen, das mache ihn glücklich. Dabei ist Mitchell selbst ein Star: 2018 fotografierte er Beyoncé für das Cover des „Vogue“-Magazins, als erster Schwarzer Künstler überhaupt. Ein Jahr später wurde eines der Porträts in die Smithsonian National Portrait Gallery in Washington aufgenommen. Mitchell befand sich mit gerade einmal 24 Jahren an einem ersten peak seiner Karriere als Künstler und Modefotograf.

Es ist ihm, das ließ sich während seines Berliner Talks mit Christoph Ahmend von der „Zeit“ leicht feststellen, kein bisschen zu Kopf gestiegen. Der US-Amerikaner, in Atlanta geboren und inzwischen im New Yorker Stadtteil Brooklyn zu Hause, grüßt im Publikum seine Mutter, die aus den Staaten mitgekommen ist und nun im Kino sitzt, und erzält über die Ausstellung „Tyler Mitchell. Wish This Was Real“ bei C/O Berlin. Es ist Mitchells erste institutionelle Soloschau in Deutschland. Eröffnet wurde sie mit einem DJ-Set, rund 3000 Gäste drängelten sich zur Vernissage im und um das Amerika-Haus.

Chanel und Street Credibility

Jetzt ist es ruhiger, doch immer noch tummelt sich ein junges, weltläufiges Publikum in den Räumen mit den überwiegend großformatigen Abzügen, die die vergangenen zehn Jahre umspannen. Mitchell agiert auf der Höhe der Zeit, mit den ästhetischen Regeln von Social Media und Modewelt verfährt er so lässig, wie es nur ein Künstler seiner Generation kann: Chanel und street credibility verbinden sich zu einer visuell unschlagbaren Melange.

„Atlanta“, ein Motiv für das „i-D Magazin“ von 2021, legt seine Strategie offen. Auch wenn die Mädchen in ihren Chanel-Jacken wie zufällig aufgenommen wirken, gibt es nicht einen Kratzer an ihrem Single-Speed-Rad – in dessen Pedale sie mit ihren feinen Sling Pumps auch nie treten würden. Die Logos an den Turnschuhen jener Jugendlichen, die auf dem Foto „Motherland Skating“ (2019) durch eine Siedlung fahren, wirkt so betont absichtslos ins Bild gesetzt, dass sich zwischen Werbung und Momentaufnahme kein Unterschied machen lässt. Mitchells Werk ist unzweifelhaft vom Hochglanz geprägt.

Ein Sacko für Zwillinge

Doch sein Universum reicht weit über Mode und Schönheit hinaus. Es führt auf ein Rugbyfeld und an ein Flussufer, wo Mitchell seltsam unbewegte Picknick-Szenen arrangiert, die ursprünglich mit einer weißen Kulturgeschichte verknüpft sind. Der junge Fotograf besucht Schwarze Menschen, um zu dokumentieren, mit welchen familiären Erbstücken sie sich in ihrem Zuhause umgeben, und er porträtiert Zwillinge – unaufgeregt und höchst sensibel, wenn er zwei Männer mit jeweils einem Arm in ein sandfarbenes Sacko schlüpfen lässt. Die beiden teilen sich ein Kleidungsstück und sind dadurch aufeinander angewiesen.

Schutzraum in Bonbonfarben: Die Fotografien des jungen US-Stars Tyler Mitchell

Tyler Mitchell, „Untitled (Sisters on the Block)“ von 2021.

© Tyler Mitchell

Den Anfang der Ausstellung macht das titelgebende Video „Wish This Was Real“. Ein Clip mit Ambiente-Musik, in dem vier Schwarze Jungs ferngesteuerte Mini-Autos lenken oder mit Nerf-Guns aufeinander zielen. Dass sie eher aufs College statt in den Kindergarten gehören – geschenkt bei der spielerischen Selbstvergessenheit, der man gebannt zuschaut. Bis zwei von ihnen eine große, gelbe Gliederkette halten und ein anderer versucht, Luft unter der Frischhaltefolie zu bekommen, die sein Gesicht bedeckt. In solchen Momenten entpuppt sich Black Lives Matter als pure Utopie.

Was Tyler Mitchell im artifiziellen, bonbonfarbenen Schutzraum der Kunst formuliert, ist weiter Wunschdenken. Die Wassergewehre im Video erinnern an den 12-jährigen Tamir Rice, der 2014 in Cleveland von der Polizei getötet wurde, weil er mit einer Softair-Pistole in der Öffentlichkeit hantierte. Zwei Jahre zuvor war Trayvon Martin in Florida von einem Bürgerwehr-Mitglied erschossen worden, der den afroamerikanischen Teenager „verdächtig“ fand.

Experimente mit Stoff und Spiegel

Mitchell, der 2017 mit einem Bachelor of Arts an der Tisch School of the Arts der New York University abschloss, entstammt dem bildungsbürgerlichen Milieu. Atlanta, wo er aufgewachsen ist, gilt als Schwarze Kulturhauptstadt, Übergriffe der Polizei finden so gut wie nicht statt. Dennoch geben seine Bilder eine Ahnung davon, wie tief die Angst vor rassistisch motivierter Gewalt wurzelt; dass man sie aufsaugt und verinnerlicht, auch ohne konkrete Bedrohung. Die Botschaft von allgegenwärtiger Willkür und Gefährdung schreibt sich ein, sie ist latent wirksam.

Auch dass die „Vogue“ ganze 130 Jahre nach ihrer Erstausgabe den ersten Schwarzen Fotografen überhaupt mit einem Titelbild beauftragt, hinterlässt ein zwiespältiges Gefühl. Doch in Mitchell brodelt es nicht. Seine Interpretation des „New Black Vanguard“, die vom Schriftsteller Antwaun Sargent gewählte Bezeichnung für eine zwischen Kunst und Mode balancierenden Bildproduktion Schwarzer Fotografen und Fotografinnen, vollzieht sich reflektiert und subtil. Mit klugen Einschüben kunsthistorischer Ikonografie, die Mitchell natürlich kennt.

Seine jüngsten Werke bei C/O Berlin experimentieren mit Stoffen und Spiegeln, in der Mitte des Ausstellungsraums legt er mit der Installation „Altars/Acres“ (Altäre/Felder) Vorbilder des Künstlers offen: Rashid Johnson, Gordon Parks, Grace Wales Bonner, Carrie Mae Weems – und Toni Morrison. Interessant ist aber noch eine Erfahrung, die man selbst zwischen dem faszinierenden Werk von Tyler Mitchell macht: Wie es ist, als Weiße in einer freien, von Glück und Zugewandtheit erfüllten Welt schlicht nicht vorzukommen.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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