16.375 Fälle im Jahr 2023 : Bericht zu sexualisierter Gewalt gegen Kinder entfacht Debatte um Vorratsdatenspeicherung

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Update 16.375 Fälle im Jahr 2023 : Bericht zu sexualisierter Gewalt gegen Kinder entfacht Debatte um Vorratsdatenspeicherung

2023 sind mehr Fälle von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche bekannt geworden. Auch im Netz nimmt die Strafverfolgung zu, doch Politik und Polizei streiten über Ermittlungsmethoden.

Wie kann effektiv und grundrechtskonform Kinderpornografie im Internet geahndet werden? Über diese Frage streiten gerade Polizei und Politik.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP), Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und das Bundeskriminalamt sind sich einig: Es braucht eine neue rechtskonforme Regelung für eine anlasslose Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten der Telekommunikation aus. Es widerspricht: das von der FDP-geführte Justizministerium.

Hintergrund ist die Zahl der bekanntgewordenen Fälle der sexualisierten Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Diese ist im vergangenen Jahr gestiegen – auf 16.375 Fälle bei Kindern. Das ist ein Anstieg von 5,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im gleichen Zeitraum wurden zudem 1.200 Straftaten aktenkundig, bei denen es zu sexualisierter Gewalt gegen Jugendliche kam.

Auch die Zahl der Fälle, in denen es um Darstellungen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder ging, nahm um 7,4 Prozent auf rund 45.000 Fälle zu. Da die Polizei bei dieser Art von Straftaten von einem großen Dunkelfeld ausgeht, ist das alleine jedoch noch kein alarmierender Befund, wie im Bundeslagebild Sexualdelikte zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen 2023 festgehalten wird.

Was ist die anlasslose Speicherung von Kommunikationsdaten?

Um die Aufklärungsquote bei kinderpornografischen Inhalten im Internet zu erhöhen, tritt das Innenministerium, BKA und GdP für eine anlasslose Speicherung von IP-Adressen ein.

Bei solch einer Speicherung werden Kommunikationsdaten wie IP-Adressen ohne den Verdacht auf eine Straftat bei den Providern gesichert. Liegt eine Straftat vor – wie der Aufruf einer Webseite mit verboten, kinderpornografischen Inhalten – können die Ermittlungsbehörden die Nutzer identifizieren.

Das BKA argumentiert, dass es zahlreichen Fälle gibt, in denen sich nach Hinweisen vor allem aus den USA kein potenzieller Tatort in Deutschland ermitteln lasse. Grund dafür sei die in Deutschland ausgesetzte Mindestspeicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten – speziell IP-Adressen.

Wir brauchen daher auch eine Pflicht zur Speicherung von IP-Adressen bei den Anbietern, um Täter zu identifizieren

Nancy Faeser, Innenministerin, bei der Vorstellung des Bundeslagebilds zu Sexualdelikten an Minderjährigen.

Kommunikationsdaten, die zu den Täterinnen und Tätern führen könnten, seien bei den Providern nicht mehr vorhanden, sagte auch der stellvertretende GdP-Vorsitzende Alexander Poitz dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Wir müssen die Täter identifizieren, bekommen dazu aber nicht die richtigen Möglichkeiten. Vor allem aus Opfersicht ist das kein haltbarer Zustand.“

Wegen rechtlicher Unsicherheiten war die alte Regelung zur Speicherung seit 2017 nicht mehr genutzt worden.

Justizministerium widerspricht – und liefert Zahlen

Um Ermittlungen im Bericht der internetbasierten Kriminalität zu erleichtern, hatte sich Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im April dieses Jahres auf das Quick-Freeze-Verfahren geeinigt. Bei diesem Verfahren werden Daten erst dann gespeichert, wenn ein Verdacht auf eine Straftat erheblicher Bedeutung besteht. Die Abstimmung innerhalb der Bundesregierung zu diesem Vorhaben dauert noch an.

87 ProzentAufklärungsquote im Bereich der Kinderpornografie nach der aktuellen polizeilichen Kriminalstatistik.

Für die GdP ist das der falsche Weg. „Mit dem momentan vom Bundesjustizministerium favorisierten Quick-Freeze-Verfahren ist keine Verbesserung zu erwarten, im Gegenteil“, sagte Poitz zum RND. Es brauche eine „praxistaugliche Mindestspeicherung von IP-Adressen“.

Das Bundesjustizministerium widerspricht dieser Darstellung. In der Regel würden die Provider Daten zumindest für einige Tage speichern, etwa zu Abrechnungszwecken oder zur Gewährleistung eines sicheren Betriebs, schreibt eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums auf Anfrage. „Das gilt auch für IP-Adressen.“ Bei der Telekom würden IP-Adressen beispielsweise für sieben Tage gespeichert werden.

Auch deshalb läge die Aufklärungsquote im Bereich der Kinderpornografie bei mehr als 87 Prozent, schreibt die Sprecherin weiter. Diese Zahl solle weiter gesteigert werden. Unter anderem eben durch das „Quick-Freeze-Verfahren“.

Laut Justizministerium soll das Gesetz die Hürde für den Zugriff auf Provider-Daten senken. So sollen Daten bereits in einem frühen Ermittlungsstadium eingefroren werden können. Konkret soll die Staatsanwaltschaft bei Hinweisen aus dem Ausland ohne eine „Einzelauswertung der übermittelten Daten“ in die Lage versetzt werden, eine „Sicherungsanordnung“ von wichtigen Providerdaten zu erlassen.

Für das FDP-geführte Justizministerium ist die massenhafte, anlasslose Speicherung von IP-Adressen hingegen eine „pauschale Überwachungsmaßnahme“. Die IP-Adresse sei der „Schlüssel zu meinem digitalen Tagebuch“, schreibt eine Sprecherin. „In einem liberalen Rechtsstaat ist es nicht richtig, die Telekommunikationsanbieter zu einer massenhaften und anlasslosen Speicherung dieser Schlüssel zu verpflichten.“ (Mit dpa)

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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