Beunruhigende Mutationen gesammelt: Das macht das aktuelle Vogelgrippe-Virus so gefährlich

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Beunruhigende Mutationen gesammelt: Das macht das aktuelle Vogelgrippe-Virus so gefährlich

Virologen haben das H5N1-Virus untersucht, das derzeit in den USA in Milchkühen grassiert und bereits auf vier Menschen übergesprungen ist. Offenbar passt es sich immer mehr an Säuger, auch Menschen, an.

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Er gilt seit Jahren als Top-Experte für Influenzaviren, insbesondere die Vogelgrippe H5N1: der Virologe Yoshihiro Kawaoka. Jetzt hat seine Forschungsgruppe von der Universität von Wisconsin-Madison die aktuell in Milchkühen auf US-Farmen kursierenden H5N1-Viren untersucht und beunruhigende neue Eigenschaften der Erreger entdeckt, die es zum „Säugetier“-Virus machen – und damit auch die Wahrscheinlichkeit eines neuen menschlichen, womöglich pandemischen Virus erhöhen.

2011 geriet Kawaoka weltweit in die Schlagzeilen mit Experimenten, in denen der Virologe H5N1-Viren im Labor gentechnisch veränderte und die mutierten Viren dann in Frettchen zirkulieren ließ. Er wollte herauszufinden, welche Mutationen die Erreger befähigen könnten, irgendwann auf Säugetiere und vor allem den Menschen überzuspringen. Denn wer die „pandemieauslösenden“ Mutationen kennt, hätte ein Frühwarnsystem zur Hand.

Kritik statt Dank

Doch anstatt Applaus ernteten Kawaoka und sein niederländischer Kollege Ron Fouchier, der ähnliche Experimente durchgeführt hatte, heftige Kritik. Eine hitzige Debatte entbrannte, in denen ihm und anderen Virologen vorgeworfen wurde, das nächste Pandemie-Virus im Labor heranzuzüchten oder gar Bioterroristen eine „Bauanleitung“ für gefährliche Viren zu liefern. Dem öffentlichen Druck zufolge mussten die Forscher die „gain-of-function“-Experimente einstellen, in den folgenden Jahren prüften Komitees jeden Versuchsentwurf, nur wenige wurden noch genehmigt.

Vogelgrippe-Viren (goldbraun) in einer Kultur von Hundezellen.

© imago/UIG

Inzwischen hat es das Virus selbst, ganz ohne Laborunterstützung, in diverse Säugetierarten geschafft. Es vermehrt sich längst nicht mehr nur in Vögeln, sondern auch in Robben, Füchsen, Katzen, Mäusen und vielen anderen Säugetierarten, zuletzt auch massenhaft in Milchkühen auf US-Farmen. Mindestens 138 Herden in zwölf Bundesstaaten sind betroffen. Und auch vier Menschen, allesamt Farmarbeiter, wurden infiziert. Jetzt hat Kawaoka die H5N1-Viren aus diesen Kühen isoliert und deren besondere Eigenschaften im Labor untersucht, mit Infektionsexperimenten bei Mäusen und Frettchen.

Wie sich das Virus verändert hat

Demnach hat sich das Virus offenbar so verändert, dass es auch an eine neue Andockstelle auf Zellen binden kann, eine bestimmte Form des Sialinsäure-Rezeptors. Dieses „Einfallstor“ für das Virus befindet sich sowohl in den Milchdrüsen von Mäusen und den Eutern von Kühen, als auch auf vielen Zellen in den oberen Atemwegen des Menschen. Normalerweise binden Vogelgrippe-Viren bevorzugt an sogenannte „2,3-verknüpfte“ Sialinsäuren, doch H5N1 kann nun auch „2,6-verknüpfte“ Sialinsäure-Rezeptoren ansteuern. Letztere nutzten etwa jene Influenza-Viren, die 1957 und 1968 Grippepandemien beim Menschen auslösten, die sogenannte „Asiatische Grippe“ bzw. die „Hongkong-Grippe“.

Das Virus hat einen weiteren Schritt hin zum Säuger gemacht.

Stephan Pleschka, Justus-Liebig-Universität Gießen

Diese neue Präferenz für 2,6-verknüpfte Sialinsäure-Rezeptoren habe man bei den bisherigen H5N1-Viren bis jetzt nicht beobachtet, sagte Stephan Pleschka, Leiter der Arbeitsgruppe Influenzavirusforschung an der Justus-Liebig-Universität Gießen dem „Science Media Center“. Das Virus habe offenbar „einen weiteren Schritt hin zum Säuger gemacht“. Wichtig sei jetzt zu untersuchen, „ob das Virus auch im Gewebe und nicht nur in den hier genutzten Experimenten an 2,6-Sialinsäuren bindet und wie sich das bei verschiedenen Säugern – inklusive des Menschen – verhält“.

Frettchen gelten als bevorzugtes Tiermodell für die Untersuchung von Influenza-Viren.

© San Francisco Chronicle via Getty Images/San Francisco Chronicle/Hearst Newspapers via Getty Images

Wie es zu dieser Weiterentwicklung des Virus hin zu einem höheren Infektionspotenzial auch für menschlicher Zellen kam, ist offen. Womöglich spielt es eine Rolle, dass die Zellen im Euter von Kühen beide Typen von Einfallstoren haben, sowohl die 2,3-, als auch die 2-6-Sialinsäure-Rezeptoren. Die von Kawaoka geäußerte Vermutung, die neuen Mutationen und Eigenschaften von H5N1 seien in den Kühen auf den US-Farmen entstanden, müsse erst noch verifiziert werden, sagt Stephan Ludwig, Direktor am Institut für Molekulare Virologie der Universität Münster.

Bisher geringes Risiko für die Bevölkerung

Trotzdem H5N1 neue Eigenschaften hinzugewonnen hat, die dem Virus ein Überspringen auf den Menschen erleichtern könnten, zeigen die Experimente auch „sehr deutlich, dass dieses H5N1-Virus bisher nicht die Eigenschaften besitzen, um für die Bevölkerung sehr gefährlich zu werden“, so Martin Schwemmle vom Institut für Virologie der Uniklinik Freiburg. „Das H5N1-Risiko für die Bevölkerung kann daher nach wie vor als gering eingestuft werden.“

Das Forschungsteam infizierte auch Frettchen mit dem H5N1-Virus aus den US-Kühen. Diese dem Marder verwandte Säugetierart wird seit jeher in der Infektionsforschung verwendet, weil sich insbesondere Influenzaviren in den Tieren recht ähnlich verhalten wie im Menschen. Die Experimente ergaben zwar, dass sich das Virus über Tröpfcheninfektion beim Ausatmen oder Husten auf Frettchen in Nachbarkäfigen übertragen kann, aber nur „ineffizient“: Lediglich eines von vier exponierten Tieren steckte sich an, schreibt Kawaokas Team im Fachblatt „Nature“.

Zwar reagierte das Immunsystem der Frettchen auf die Infektion und bildete Antikörper, das Virus war aber nicht in der Lage, sich so stark zu vermehren, dass Erreger im Nasenabstrich der Tiere nachweisbar gewesen wären. Genauso verhielten sich die H5N1-Viren, die von der US-Seuchenbehörde CDC von einem der vier Vogelgrippe-Infizierten, einem texanischen Farmmitarbeiter, isoliert und ebenfalls in Frettchen-Experimenten getestet wurden.

Ein verändertes Enzym

Kawaokas Team stieß bei ihren Untersuchungen noch auf eine weitere Besonderheit der H5N1-Viren, ein verändertes Enzym, die „Polymerase Basic 2“ (PB2). Es ist für die Vermehrung der Viren unerlässlich. In der Vergangenheit hatten Kawaoka und andere Forschende herausgefunden, dass eine bestimmte Mutation, die einen wichtigen Baustein des Enzyms verändert, die Fähigkeit der Viren zum Überleben und Vermehren in Menschen erleichtert.

2006 bekam Yoshihiro Kawaoka von der University of Wisconsin-Madison für seine Forschungen am Vogelgrippe-Virus in Berlin den Robert-Koch-Preis, 2011 gerieten seine Experimente dann in die Kritik. Seitdem sind Bilder von ihm rar. Dieses stammt aus dem Jahr 2006.

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Zwar fanden sie die Mutation nicht im Erbgut der aus Kühen isolierten Vogelgrippe-Viren, sehr wohl aber trugen jene Viren die charakteristische PB2-Veränderung, die den texanischen Farmmitarbeiter infiziert hatten. Erklärt das womöglich, warum bislang nur wenige Menschen von H5N1 infiziert wurden, also vielleicht nur solche, die zufällig jene Viren „erwischt“ hatten, die die PB2-Mutation trugen?

Die ersten Schritte Richtung Mensch hat das Vogelgrippe-Virus also bereits unternommen. Welche nützlichen Mutationen es derzeit, während die Epidemie auf den US-Farmen weiter um sich greift, hinzugewinnt, ist allerdings offen.

Kawaokas Experimente seien daher „genau die Art von Experimenten, die jetzt gemacht und erweitert werden müssen“, meint Virologe Ludwig. Wären die Versuche, für die Kawaoka und andere Forscher 2011 „zu Unrecht sehr in Verruf gerieten, weil sie Übertragungsexperimente mit genetisch veränderten H5N1-Viren durchgeführt hatten, nicht gestoppt, sondern weitergeführt worden, wüssten wir vielleicht heute schon mehr über die Eigenschaften, die eine Übertragbarkeit bedingen.“ (mit smc)

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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