Wer kippt zuerst bei dem Schuldenbremse Spiel – Lindner oder Merz?

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Das Spiel mit der Schuldenbremse: Wer kippt zuerst – Lindner oder Merz?

Der Streit um die Schuldenregel im Grundgesetz wird heftiger. Union und FDP sperren sich, SPD und Grüne drängeln. Doch wie könnte die allseitige Blockade aufgelöst werden?

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Wird es immer einsamer um den Bundesfinanzminister und seine FDP? Bei der Frage, ob und wie die Schuldenbremse reformiert werden soll, wehrt sich Christian Lindner tapfer. Er will nicht. Die Schuldenbremse in ihrer aktuellen Form verteidigt er fast ohne Wenn und Aber. Wenn es nach ihm geht, soll das so bleiben bis zur Bundestagswahl.

FDP-Fraktionsvize Christoph Meyer hat unlängst im Tagesspiegel vom Alleinstellungsmerkmal seiner Partei bei dem Thema gesprochen. Die freidemokratische Partei als kleines gallischer Dorf im Widerstand gegen die Reformrömer, Lindner als der Asterix in der Schuldenbremsen-Debatte – so möchten sich die FDP und ihr Chef gerne darstellen.

Allerdings hat Lindner einen Partner in einem anderen Dorf, der gleichzeitig ein Gegner ist. Er heißt Friedrich Merz und denkt ebenfalls nicht daran, sich auf eine Reformdiskussion einzulassen. Allerdings rumort es deswegen in Merzens Partei. Alle Ministerpräsidenten der CDU sind für eine Reform, die einen mehr, wie Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner, andere weniger, wie Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer.

Keine Einigkeit in der Union

In der Unions-Fraktion im Bundestag herrscht keineswegs eine einheitliche Meinung. Klar ist aber, dass sich die Union nicht hergeben will, um der Ampelkoalition zu helfen, ihre Etatstreitigkeiten zu bereinigen. Bei Unions-Fraktionsvize Mathias Middelberg klingt das dann so: „Wenn besondere Situationen es erfordern, sind wir bereit, an außerordentlichen Lösungen mitzuwirken. Das haben wir mit dem Sondervermögen Bundeswehr bewiesen. Überdies muss man zugestehen, dass die Länder bei der Schuldenbremse eine besondere Problematik haben.“

Will heißen: Grundsätzlich wäre die Union schon kooperativ, hier oder da. Das Aber formuliert Middelberg so: „Nötig ist in jedem Fall zunächst, die durchaus vorhandenen Sparpotenziale im regulären Haushalt anzugehen. Dazu sind Grüne und SPD jedoch nicht bereit.“ Die Union stützt hier die FDP-Linie. Aber sie tut das nicht aus purer Zuneigung. Sie will vom Zwist in der Ampel profitieren. Gleichzeitig wachsen die internen Spannungen.

Letztlich läuft das Spiel mit der Schuldenbremse zwischen Union und FDP auf die Frage hinaus, wer zuerst umkippt: Merz oder Lindner. Die nächste Frage wäre allerdings, ob nicht beide gern kippen würden. Denn mittlerweile hat sich eine solch breite Front an Reformbefürwortern aufgebaut, die mehr oder weniger große Veränderungen an der Schuldenbremse angehen möchten, dass Widerstand zunehmend einsam wirkt.

Breite Phalanx

In der SPD und bei den Grünen ist die Neigung zu einer deutlichen Ausweitung der Verschuldungsmöglichkeiten vor allem des Bundes bekanntlich groß. Aber auch eine ganze Phalanx von Experten hat sich aufgebaut: die Wirtschaftsweisen, der Wissenschaftlerbeirat von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), die fünf führenden Wirtschaftsinstitute, das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft, gewerkschaftsnahe Ökonomen ohnehin – sie alle plädieren für Reformschritte.

Da ist es interessant zu beobachten, wie der Bundesfinanzminister in kleinen Schritten auf die Reformbefürworter zugeht. Seine generell skeptische Linie behält er zwar bei und betont die Vorteile der Schuldenregel im Grundgesetz, die er aktuell zum Beispiel als Inflationsbremse lobt. Aber sein „Nein“ ist nicht ganz rigoros. Er bereitet sich erkennbar auf Entgegenkommen vor.

Lindners Vorschläge

An drei Stellschrauben des aktuellen Systems würde der FDP-Chef drehen. Zum einen hat er sich dafür offen gezeigt, die im Koalitionsvertrag schon vereinbarte Veränderung der Konjunkturkomponente in der Schuldenbremse ins Auge zu fassen. Damit könnten bei mauer Konjunktur – wie jetzt – etwas mehr Schulden gemacht werden, allerdings würde der Kreditspielraum in wirtschaftlich besseren Phasen schrumpfen.

Zweitens schlägt Lindner neuerdings vor, die Tilgung von Notlagenkrediten zu verschieben, wenn Deutschland unter eine Schuldenquote von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts rutscht, also die in der Euro-Schuldenregel eigentlich als Obergrenze vorgesehene Quote. Derzeit liegt die Bundesrepublik bei etwa 64 Prozent. In künftigen Etats würde es dann mehr Spielraum geben, denn die ersten Tilgungen sind bisher für 2028 vorgesehen.

Christian Lindner bereitet sich offenbar auf ein leichtes Entgegenkommen bei der Schuldenbremse vor.

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Lindners Begründung für das Aufweichen der Grundgesetzvorgabe lautet, dass die Tilgung der Notlagenkredite dann nicht mehr dringlich ist, wenn sie in der Schuldenquote nicht mehr sichtbar seien. Zwölf Milliarden Euro pro Jahr würden dann für Investitionen oder die Finanzierung der Bundeswehr frei.

Spätere Tilgung

Zwar verlangt das Grundgesetz, dass die Notlagenkredite „binnen eines angemessenen Zeitraums“ zurückgeführt werden müssen. Aber das ist eine weiche Klausel, und die frühere schwarz-gelbe Regierung in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel hat dabei weitaus lockerere Fristen beschlossen als die vormalige schwarz-rote Bundesregierung, die den Beginn der Tilgung auf 2028 gelegt hat.

Mit dem Vorschlag, das Unterschreiten der 60-Prozent-Quote zum Maßstab zu machen, nimmt Lindner indirekt einen Reformvorschlag der Wirtschaftsweisen auf. Die sind der Meinung, dass sich der Bund unterhalb dieser Quote generell eine höhere „Normalverschuldung“ erlauben könnte als die bisher möglichen 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Lindner nimmt für sich in Anspruch, dass sein in diese Richtung weisender Plan ohne Verfassungsänderung möglich wäre – also einfacher umgesetzt werden könnte.

Das dritte Schrittchen hat der Finanzminister am Montag bei einer Veranstaltung in seinem Ministerium angedeutet. Da sprach er das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse vom vorigen November an und hielt dem Zweiten Senat in Karlsruhe vor, er habe die Folgen für eine „gängige Staatspraxis“ nicht mitbedacht.

Hart und pragmatisch zugleich

Lindner meint damit den Hilfsfonds, mit dem die Schäden der Ahrtalflut über Jahre hinweg abgetragen werden. Wie in anderen Fällen einer begrenzten regionalen Notlage wurde dafür ein Topf mit Kreditermächtigungen gefüllt. Nach dem Karlsruher Urteil geht das nicht mehr ohne Weiteres und macht auch jährliche Notlagenerklärungen nötig. Lindner war so zu verstehen, dass er sich hier eine Änderung vorstellen kann.  

Kurzum: Der Finanzminister spielt einerseits gern den harten Max, wenn es um die Reform der Schuldenbremse geht. Andererseits ist er durchaus pragmatisch und füttert in kleinen Dosen Reformwillen in die Diskussion ein.

60Prozent Schuldenquote vom Bruttoinlandsprodukt sehen derzeit die EU-Regeln für die Mitgliedsstaaten maximal vor.

Dass er durchaus zu einem unkonventionellen Umgang mit der Schuldenbremse fähig ist, hatte er zudem schon 2022 gezeigt: Das Sondervermögen Bundeswehr zur Umgehung der Schuldenbeschränkung im Grundgesetz hat er immer gern als seine Idee bezeichnet.

Dieser Nebenhaushalt, zusammen mit der Union mit Zweidrittelmehrheit im Bundestag beschlossen und in der Verfassung verankert, sollte allerdings einmalig sein. Ob das auch für ein weiteres Aufstocken gilt, wird die weitere Etatdebatte zeigen.

Eine Kommission als Lösung?

Und die gegenseitige Blockade zwischen Merz und Lindner – wie könnte die enden? Möglicherweise dadurch, dass das Thema auf eine andere Ebene geschoben wird. Nach dem Karlsruher Urteil kam schnell die Idee auf, eine Bund-Länder-Kommission einzurichten, welche sich um die Folgen des Urteils kümmert – also eine Reform der Schuldenbremse vorbereitet. Vor allem Landespolitiker waren dafür, nicht zuletzt Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) assistiert von Malu Dreyer (SPD) in Rheinland-Pfalz. Die Unions-Granden in den Ländern dürften nichts dagegen haben.

Doch in welcher Zusammensetzung könnte eine solche Kommission arbeiten? Die eine Möglichkeit wäre das reine Exekutivformat – praktisch eine Kooperation zwischen der Bundesregierung, geführt aus dem Kanzleramt, mit der Ministerpräsidentenkonferenz. Den Chefinnen und Chefs der Länder könnte das behagen, sie könnten sich hier zügig einen größeren Spielraum herausholen (bisher gesteht das Grundgesetz ihnen keine regelmäßige „Normalverschuldung“ zu). Lindner könnte weiterhin bremsen, was den Bund betrifft.

Außen vor wäre dann Merz als führender Oppositionspolitiker. Aus Sicht der Union im Bund wäre eine Kommission der beiden Kammern, Bundestag und Bundesrat, daher wohl die bessere Lösung. Ein Kanzler Merz (und darauf arbeitet der CDU-Chef ja hin) müsste nach den aktuellen Umfragen entweder mit SPD oder Grünen als Hauptpartnerin regieren. Beide würden in Koalitionsverhandlungen die Reform der Schuldenbremse verlangen. Kippt also Merz nicht vor der Wahl, muss er nach der Wahl Zugeständnisse machen.

Eine der nächsten Regierungsbildung vorgelagerte Schuldenbremsen-Kommission könnte dem CDU-Chef wie dem FDP-Chef die Angelegenheit erleichtern. Sie könnten weiterhin grundsätzlich harte Linien vertreten, dabei aber auch pragmatische Lösungen einbringen und akzeptieren – so wie mit umgekehrter Zielrichtung SPD und Grüne mehr erreichen könnten als in einem Dauerstreit bis zur Wahl. Am Ende könnte ein Kompromiss stehen, der allen die Gesichtswahrung erlaubt.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

Comments (6)
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  • LenaMüller

    Es scheint, als ob Lindner und Merz in ihrem Starrsinn gefangen sind und keine Kompromisse in Betracht ziehen. Die Diskussion über eine Reform der Schuldenbremse wird dadurch unnötig blockiert. Vielleicht sollten sie sich ein Beispiel an den ministerpräsidenten der CDU nehmen und zumindest eine offene Debatte zulassen.

  • LenaMüller

    Wer wird wohl letztendlich nachgeben – Lindner oder Merz? Wie denken Sie, wird die Blockade um die Schuldenbremse gelöst werden können?

    • JuliaSchmidt

      Lindner und Merz werden sich wohl beide beharrlich zeigen und keine Zugeständnisse machen. Es bleibt abzuwarten, ob ein Kompromiss durch externe Kräfte erzwungen werden muss.

  • Anna_Müller

    Wer wird wohl letztendlich nachgeben müssen in dieser hitzigen Debatte – Lindner oder Merz? Gibt es überhaupt einen Kompromiss in Sicht?

  • SabineMüller

    Ich finde, dass es an der Zeit ist, dass sowohl Lindner als auch Merz ihre starre Haltung aufgeben und sich konstruktiv an einer Reform der Schuldenbremse beteiligen sollten. Die Uneinigkeit in der Union und der Widerstand der FDP erschweren eine vernünftige Lösung des Problems. Es wäre wünschenswert, wenn die Politiker über ihren eigenen Schatten springen würden und im Sinne des Gemeinwohls handeln würden.

  • LenaMaus97

    Wer wird deiner Meinung nach letztendlich nachgeben müssen – Lindner oder Merz?