„Die Großwetterlage befindet sich im Wandel“: Woher kommen die enormen Regenmengen in Deutschland?

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„Die Großwetterlage befindet sich im Wandel“: Woher kommen die enormen Regenmengen in Deutschland?

Die Unwetterlage in Süddeutschland geht auf feuchtwarme Luft vom Mittelmeer zurück. In Deutschland regnet es seit Anfang Mai vielerorts immer wieder ungewöhnlich stark.

Von Jan Kixmüller

Angesichts der extremen Niederschlagsmengen, die seit Freitag in Süddeutschland zu starkem Hochwasser geführt haben, stellt sich auch die Frage zum Zusammenhang mit dem Klimawandel. In Oberschwaben wurden sogar bis zu 160 Liter pro Quadratmeter gemessen. Die Wetterlage mit Dauerregen und Starkregen mit Überflutungen hält bereits seit Anfang des Monats an.

Aktuell ist es ein sogenanntes Vb-Tief , das feuchtwarme Mittelmeerluft nach Deutschland geschaufelt hat, die in den Staulagen der Mittelgebirge und Alpen für lang anhaltende Niederschläge sorgte.

Ausgerechnet „Orinoco“ war der Name des atlantischen Tiefs, das sich mit seinen Regenmassen in Mitteleuropa festgesetzt hatte – benannt nach dem viertwasserreichsten Fluss der Welt. Das daraus hervorgegangene Tief, das in Süddeutschland zu Dauerregen führte, trägt nun den Namen „Radha“.

Wer Warnungen der Klimaforscher jahrzehntelang nicht ernst nimmt und Politiker wählt, die den Klimaschutz verschleppen, darf sich dann nicht über Hochwasser wundern.

Stefan Rahmstorf, Klimaforscher

„Wer Warnungen der Klimaforscher jahrzehntelang nicht ernst nimmt und Politiker wählt, die den Klimaschutz verschleppen, darf sich dann nicht über Hochwasser wundern“, hatte Klimaforscher Stefan Rahmstorf (PIK) angesichts des Hochwassers im Saarland Mitte Mai auf X geschrieben.

Extremer Mai

Im gesamten Mai hatte es in Deutschland wie auch in Mittel- und Südeuropa wiederholt Wetterlagen mit extremen Niederschlägen gegeben. Im Saarland fielen am 17. und 18. Mai stellenweise über 100 Liter Regen an einem Tag – mehr als im gesamten April.

Überflutunen in Saarland, Kleinblittersdorf, im Mai dieses Jahres.

© dpa/Andreas Arnold

Die Niederschläge, die vor allem in Form von Gewittern, Starkregen und Hagelmassen fielen, waren nicht flächendeckend. Während es mancherorts drastische Überflutungen gab, blieb es andernorts weitgehend trocken. Hintergrund waren blockierte Tiefdruckgebiete, die sich eingekeilt zwischen Hochdruckgebieten relativ stationär ausbreiteten.

Immer wieder kam es auch über Deutschland zu sogenannten Grenzwetterlagen, bei denen Winde aus unterschiedlichen Richtungen aufeinander trafen und die aufsteigende Warmluft zu stundenlangen Schauern und Gewittern führte.

Eine Situation, die sich den ganzen Monat über wiederholte. Fast täglich gab es Meldungen über regionale Überschwemmungen in Deutschland, häufig war Bayern betroffen, aber auch in den östlichen Bundesländern und im Nordwesten gab es Überschwemmungen durch Starkregen. Mittlerweile zeigen die Niederschlagssummen für den Mai in zwei Dritteln des Landes positive Abweichungen, was durch die aktuellen Regenfälle noch mehr werden dürfte.

Rheinland-Pfalz, Beilstein: Die Mosel-Uferstrasse ist Mitte Mai wegen Überflutung gesperrt.

© dpa/Thomas Frey

Was lässt sich nun über die Rolle des Klimawandels bei dieser wochenlangen Regenperiode sagen? Hat die verlangsamte Verlagerung der Regengebiete etwas mit der Erwärmung zu tun? Für die Attributionsforschung, die den Zusammenhang einzelner Wetterereignisse mit dem Klimawandel untersucht, sind extreme Niederschläge schwieriger zuzuordnen als etwa Hitzewellen.

Regionalen Unterschiede bei Niederschlägen

Während bei Hitze global eine deutliche Zunahme der Wahrscheinlichkeit durch den Klimawandel zu beobachten ist, sind die regionalen Unterschiede bei Niederschlägen zu groß für eine einheitliche Bewertung, wie Attributionsforscherin Friederike Otto erklärt. 

Der Meteorologe Peter Hoffmann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) weist auf einen grundsätzlichen Zusammenhang der Entwicklung mit dem Klimawandel hin. „Stellt man derartige Witterungsverläufe in einen großräumigen und klimatologischen Kontext, wird deutlich: die Großwetterlage über Europa und dessen Variabilität befindet sich im Wandel“, sagte er dem Tagesspiegel.

Die Folge sei ein verstärktes Wechselspiel von Wetterextremen. Bisher übliche Westwindwetterlagen vom Nordatlantik hätten eine mäßigende Wirkung auf unser Wetter. In der Regel sei es dadurch im Norden Europas kühler und im Süden wärmer.

„Diese Gegebenheiten werden gegenwärtig häufiger durchbrochen, denn der Westwindmotor unseres Wetters gerät durch den Klimawandel vor allem im Sommerhalbjahr öfter ins Stocken“, erklärt Hoffmann. An seine Stelle träten Wetterlagen, die früher seltener waren und durch einen großräumigen Transport von Luftmassen über Breitengrade hinweg gekennzeichnet sind.

Tiefdruckgebiete auf abweichendem Kurs

„Die Zugbahnen der Tiefdruckgebiete nehmen dabei einen abweichenden Kurs nach Norden oder Süden und beeinflussen damit, wo es regnen kann“, sagt der Klimaforscher. Ströme die Luft aus südwestlichen Richtungen nach Norden, kann es im Sommer bei uns in Deutschland über Tage und Wochen sehr heiß werden.

Im Gegenzug steige die Neigung zu intensiveren Starkniederschlägen, wenn kalte Luftmassen weit nach Süden bis in den Mittelmeerraum vordringen. Dort können sie Tiefdruckgebiete auslösen, die auf ihrem Weg nach Norden viel Regen zu uns bringen. 

Überflutungen in Kleinblittersdorf am 19. Mai im Saarland.

© dpa/Andreas Arnold

„Dies geschieht insgesamt deutlich langsamer als bei Westwindwetterlagen und verstärkt so die Wahrnehmung von beständigeren Witterungsperioden“. Regengebiete, die sich sonst über das ganze Land erstrecken, bleiben dann regional begrenzt. Sie können dann in kritischen Lagen zu gefährlichen Potenzierung der Regenmengen führen, beispielsweise wenn sich Regentiefs über Mitteleuropa festsetzen, wie nun aktuelle in Süddeutschland oder auch bei der Ahrflut vor drei Jahren.

Überschwemmte Straßen in Bayern bei Babenhausen.

© dpa/Jason Tschepljakow

Auch ZDF-Meteorologe Özden Terli hatte die wiederholten Unwetter der vergangenen Wochen mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht. Das Unwettertief, das die Überschwemmungen im Saarland verursachte, war zwischen zwei Hochs eingeklemmt und bewegte sich daher sehr langsam. Es gab nur wenig Wind, der das Tief wegtransportieren konnte. „Die Zugbahn ist schon ungewöhnlich, normalerweise kommen die Tiefs vom Westen, dieses aber von Süden. Auch diese Veränderung in den Strömungen, also wie Tiefs ziehen, ist auch auf die globale Erhitzung zurückzuführen“, sagte er der „Saarbrücker Zeitung“.

Terli verweist auf mehrere wissenschaftliche Studien, die diesen Zusammenhang belegen. „Es hängt mit dem Jetstream, also extrem starken Windströmungen in acht bis zwölf Kilometern Höhe, zusammen“, der zum Zeitpunkt des Dauerregens im Saarland nicht vorhanden war, das Tief also kaum zog.

Außerdem sei zu beobachten, dass der Jetstream häufiger mäandert, wodurch Luftmassen dorthin gelangen, wo sie normalerweise nicht hingelangen. Das kann wochenlang passieren, Wetterlagen wiederholen sich dann immer wieder, wie Anfang April, als warme Luftmassen aus Südeuropa nach Deutschland gelangten.

In der Klimaforschung wird ein grundsätzlicher Zusammenhang zwischen höheren Temperaturen und höheren Niederschlägen gesehen. Wärmere Meere verdunsten tendenziell mehr Wasser. Hinzu kommt ein Effekt bei steigender Lufttemperatur: Mit jedem Grad mehr kann die Luft sieben Prozent mehr Wasserdampf aufnehmen. Das zusätzliche Wasser in der Luft komme dann vor allem bei starken Regenfällen wieder herunter. „Hohe Temperaturen an der Meeresoberfläche geben zusätzliche Feuchtigkeit an die Atmosphäre ab“, so die stellvertretende Direktorin des europäischen Klimaprogramms Copernicus, Samantha Burgess. 

News Bilder des Tages Starkregen sorgt in Saarbrücken in der Saar für Hochwasser am Samstag, 18. Mai 2024.

© IMAGO/BeckerBredel/IMAGO/BeckerBredel

Gewittrige Wetterlagen in Mitteleuropa sind meist mit Feuchtigkeit aus dem Mittelmeerraum verbunden, wie der Klimaforscher Karsten Haustein von der Universität Leipzig betont. Durch den derzeit immer noch rekordwarmen Nordatlantik erhalte auch das Mittelmeer eine zusätzliche Erwärmung. Im April waren vor allem die nördliche Adria, die Ägäis und das Schwarze Meer wärmer als üblich, im Mai auch das westliche Mittelmeer. 

Zur Hochwasserlage im Saarland Anfang Mai haben nun Wissenschaftler des DWD eine Analyse vorgelegt. Demnach hat das Tief „Katinka“ zwischen dem 16. und 19. Mai 2024 für anhaltende Niederschläge gesorgt, die die Flüsse Blies, Mosel und Saar über die Ufer treten ließen. Dabei fiel stellenweise das ein bis eineinhalbfache der mittleren Monatssumme für den Mai – bezogen auf den Referenzzeitraum 1991-2020 – in lediglich gut 18 bis 24 Stunden.

„An manchen Stationsreihen wurden neue Allzeit-Rekorde erreicht“, so die Forschenden des DWD. Ganz unbekannt ist den Meteorolog:innen eine solche Wetterlage allerdings nicht. Sie verweisen zum Beispiel darauf, dass sie in ähnlicher Form schon einmal im Mai 1970 aufgetreten war. 

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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