Eine Position, zwei Profile: Havertz und Füllkrug konkurrieren um den Platz im Sturm

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Eine Position, zwei Profile: Havertz und Füllkrug konkurrieren um den Platz im Sturm

Platzhirsch oder Herausforderer? Die Rollen in der Nationalelf sind klar verteilt. Nur im Sturm nicht – weil Kai Havertz und Niclas Füllkrug gänzlich unterschiedliche Stärken haben.

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Tiefer Körperschwerpunkt, den Hintern weit rausgeschoben, eine flotte Drehung um die eigene Achse. Kai Havertz orientierte sich an einem der historisch Besten auf seiner Position. Bei Gerd Müller sah der Bewegungsablauf im Strafraum oft ähnlich aus, und meistens waren die Verteidiger in solchen Situationen chancenlos.

Am vergangenen Wochenende, beim letzten Testspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft vor der Europameisterschaft, war es nicht anders. Havertz‘ Torschuss zum zwischenzeitlichen 1:1 war für Griechenlands Torhüter Odisseas Vlachodimos nicht zu halten. Der Ball war noch leicht, aber entscheidend abgefälscht worden.

Gerd Müller hätte wahrscheinlich keine fremde Hilfe benötigt. Aber Gerd Müller bleibt im deutschen Fußball eben unerreicht. Erst recht für jemanden wie Kai Havertz, der – so der allgemeine Tenor – ja sowieso kein richtiger Mittelstürmer ist. Tatsächlich ist Havertz im Mittelfeld geboren und aufgewachsen. Aber die Deutung, dass er als falscher Neuner nur eine Notlösung sei, löst bei ihm inzwischen nur noch ein müdes Lächeln aus.

Als Mittelstürmer hat Havertz den FC Chelsea vor drei Jahren zum Titel in der Champions League geschossen, und als Mittelstürmer hat er mit 13 Toren in der abgelaufenen Saison maßgeblich dazu beigetragen, dass der FC Arsenal in der Premier League bis zum letzten Spieltag noch Chancen auf den Meistertitel hatte. „Ich bin ein Spieler, der offensiv fast alle Positionen spielen kann“, sagt Havertz. Auch die des Mittelstürmers.

Das wird er auch am Freitag tun, wenn die Deutschen im Eröffnungsspiel der EM auf Schottland treffen. Wie die Startelf der Nationalmannschaft dann aussehen wird, ist längst ein offenes Geheimnis. Im Grunde hat Bundestrainer Julian Nagelsmann seinen Kader bereits im März in zwei Gruppen unterteilt: in Platzhirsche und Herausforderer. Das gilt auch für die einzige Position im Sturm – wobei es sich dabei noch am ehesten um einen Sonderfall handelt.

Wucht von der Bank. Niclas Füllkrug ist von Bundestrainer Julian Nagelsmann aktuell eher als Joker vorgesehen.

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Denn mit Kai Havertz und Niclas Füllkrug stehen Nagelsmann zwei Startelfkandidaten mit zwei verschiedenen Profilen zur Verfügung. Je nach Gegner passt mal der eine, mal der andere besser. „Grundsätzlich ist es schon gut, zwei unterschiedliche Stürmertypen zu haben“, sagt Niclas Füllkrug, Mittelstürmer des Champions-League-Finalisten Borussia Dortmund. „Für den Trainer ist das eine gute Situation.“

Wenn Kai performt, hat er ein bisschen die Nase vorne. Aber er muss performen.

Bundestrainer Nagelsmann über das Duell Havertz gegen Füllkrug

Für ihn wiederum ist die Situation im Moment nicht ganz so gut. Denn Füllkrug, 31 Jahre alt und erst in fortgeschrittenem Alter zu Nationalmannschaftsehren gelangt, muss vorerst mit der Rolle des Herausforderers des sechs Jahre jüngeren Havertz vorliebnehmen.

„Die Rollenverteilung ist klar“, hat der Bundestrainer schon eine Woche vor dem EM-Auftakt in München gesagt. Natürlich sei die Rangfolge nicht in Stein gemeißelt. Man müsse schon seine Leistung bringen: „Wenn Kai performt, hat er ein bisschen die Nase vorne. Aber er muss performen.“ Trotzdem werde Füllkrug „reichlich Einsatzzeiten kriegen und für Tore und Furore sorgen können“.

Wucht von der Bank

Nagelsmann hat jedem seiner Spieler zeitig mitgeteilt, zu welcher der beiden Gruppen er gehört und was er bei der EM von ihm erwartet. „Natürlich habe ich auch meine Meinung beziehungsweise mein Gefühl kundgetan“, hat Füllkrug über das Perspektivgespräch mit seinem Vorgesetzten gesagt. „Aber erst mal bin ich da in einem Angestelltenverhältnis, weil der Trainer am längeren Hebel sitzt und die Entscheidung trifft.“ Ihm jedenfalls sei klar, „für welche Situation ich dabei bin und gebraucht werde“.

Der Dortmunder ist eher als Havertz der klassische Mittelstürmer, einer, der sich im gegnerischen Strafraum mit Lust ins Getümmel stürzt, der Wucht und Kopfballstärke ins Spiel bringt. Paradoxerweise sind es gerade diese Fertigkeiten, die ihn in Nagelsmanns Augen für die Rolle des Jokers prädestinieren. „Ein Fülle hätte uns heute gutgetan, mit seiner Wucht und seiner Kopfballstärke“, hat der Bundestrainer nach dem 0:0 im Testspiel gegen die Ukraine gesagt.

In sechzehn Länderspielen hat Füllkrug elf Tore erzielt. Zehnmal kam er von der Bank, in jeder zweiten Partie traf er als Joker. „Ich habe bei der Nationalmannschaft bewiesen, dass ich wenig Zeit brauche, um in Aktion zu kommen“, sagt er selbst. „Ich habe viele gute Jokereinsätze gehabt.“

Hätte Füllkrug dem Bundestrainer gegenüber erkennen lassen, dass er mit der ihm zugedachten Aufgabe hadert, dann hätte das im Zweifel sogar seine EM-Teilnahme gefährdet. Der Dortmunder akzeptiert seine Rolle. „Kai hat meine maximale Unterstützung. Ich wünsche ihm jedes Tor, das er nur machen kann“, sagt Füllkrug. „Jokerrolle? Startelfspieler? Ich glaube, dass das für das erste Spiel ziemlich klar sein wird. Aber es war seltenst so, dass die Startelf aus dem ersten Spiel das ganze Turnier gespielt hat.“

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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