Festspiele Mecklenburg-Vorpommern: Saxofone in der Abendsonne

© GEERT MACIEJEWSKI

Festspiele Mecklenburg-Vorpommern: Saxofone in der Abendsonne

Bis in die entlegensten Winkel bringen die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern klassische Musik. In diesem Sommer gibt es 130 Veranstaltungen an 69 verschiedenen Orten.

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Diese Ruhe! Diese Weite! Und dann noch die ganze Natur! Für kulturaffine Städter ist das Landleben manchmal kaum auszuhalten. Darum wurden die Sommerfestivals erfunden. Jottweedee Urlaub machen und trotzdem tolle Künstlerinnen und Künstler erleben, die man aus der Hauptstadt kennt, so funktioniert das Prinzip. Im Idealfall freuen sich auch noch die Menschen in den abgelegenen Städtchen und verschlafenen Dörfern, dass bei ihnen mal was anderes los ist als üblich.  

Seit mehr als drei Jahrzehnten haben die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern den Anspruch, das riesige Flächenland jeweils von Juni bis September bis in den hintersten Winkel mit klassischer Musik zu beschallen. Diesmal finden 130 Veranstaltungen in 92 verschiedenen Spielstätten an 69 Orten statt. Zum Beispiel im ehemaligen Kornspeicher Landsdorf.

Klassik im Kornspeicher

Noch mehr Idylle geht nicht, noch mehr Abgeschiedenheit aber auch kaum: Die Touristenströme rauschen an diesem Fleckchen Erde vorbei, nordwärts Richtung Ostsee, oder aber sie biegen schon vorher ab Richtung Mecklenburgische Seenplatte. Aber das Signum Saxophone Quartett macht hier Station. Die vier Herrn sind in diesem Jahr „artists in residence“ und prägen die Festspiele mit 23 Konzerten innerhalb von drei Monaten.

Der Kornspeicher Landsdorf ist seit 2015 Spielstätte der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern.

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Ihre Mission: Den Leuten vor Ohren führen, dass sich ihre Instrumente nicht nur für den Jazz eignen oder für Pop-Ballanden der 1980er Jahre. Sondern dass die Erfindung, die Adolph Sax 1841 vorstellte, bereits bei den Komponisten der Romantik Begeisterung auslöste. In Landsdorf spielen die vier ein Schlüsselwerk für ihre Formation, das Saxofonquartett von Alexander Glasunow, 1932 entstanden.

Wunderbar warm und füllig ist der Klang, symbiotisch das Zusammenspiel, wie bei einem Chor sind Sopran-, Alt, Tenor und Bass-Lage abgedeckt, mal klingen die Saxofone geschmeidig wie eine Streicherformation, dann wieder plappern sie los wie hibbelige Holzbläser.

Berührender Cello-Ton

Und die Signums haben sich Musikerfreunde und -freudinnen eingeladen, den Perkussionisten Alexej Gerassimez, der das Publikum mit einer hochvirtuosen Hommage an die Kleine Trommel begeistert, sowie – für Edward Elgars Klavierquintett – eine All-Star-Besetzung aus lauter hochkarätigen Solisten, die Konstantin Manaev mit seinem betörend schönen, tiefgründigen Cello-Ton emotional anführt.

Und wenn dann noch der Himmel aufreißt, nachdem er den ganzen Tag bleischwer über den Feldern gehangen hatte, und für einen Moment goldenes Abendsonnenlicht den ausverkauften Saal flutet, dann ist das Kammermusikglück perfekt.  

Organistin Iveta Apkalna, Violinistin Vineta Sareika und Kontrabassist Gunars Upatnieks in der Konzertkirche Neubrandenburg.

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Neben den vielen kleinen Sälen bespielen die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern natürlich auch große Hallen, das Orchester der Mailänder Scala beispielsweise tritt am 31. August auf dem Pferdegestüt Redefin auf, der Pianist Pierre-Laurent Aimard kommt mit den Rostocker Philharmonikern am 28. August in die Heilig-Geist-Kirche von Wismar.

Ebenfalls in Wismar, aber open air am Hafen, ist bereits am 27. Juli der Singer-Songwriter Max Mutzke zu erleben, denn Intendantin Ursula Haselböck hat das stilistische Spektrum des Festivals Richtung Crossover und Jazz erweitert. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Nachwuchsförderung: In der Reihe „Junge Elite“ kann das Publikum Newcomer kennenlernen. Gleichzeitig investieren die Festspiele damit in die Zukunft: Wenn sie dann nämlich zu international gefragten Stars herangereift sind, kommen die einst Unterstützten aus Dankbarkeit weiterhin gerne nach Mecklenburg-Vorpommern.

Inniger Dialog: Organistin Iveta Apkalna und Violinistin Vineta Sareika in der Konzertkirche Neubrandenburg.

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Ein echtes Gipfeltreffen ist dagegen der Abend, den die Starorganistin Iveta Apkalna zusammen mit Vineta Sareika, der neuen Konzertmeisterin der Berliner Philharmoniker, und dem philharmonischen Kontrabassisten Gunars Upatnieks in der Konzertkirche von Neubrandenburg gibt. Die Kombination der Instrumente ist exzentrisch, das Programm steckt dementsprechend voller Überraschungen: Im Arrangement von Schumanns „Kanonischen Stücken“ kann Upatnieks zeigen, was für eine zarte Seele sein wuchtiges Instrument hat, während die Geigerin in der Chaconne des italienischen Barockmeisters Tomaso Vitali den hohen Kirchenraum mühelos mit ihrer leuchtenden Ausdruckskraft ausfüllt. Ebenso witzig wie brillant ist das Capriccio des 1955 geborenen Franzosen Naji Hakim, eine skurrile Salonmusik, bei der Iveta Apkalna und Vienta Sareika im Stil der Golden Twenties durch Charleston, Tango und Samba-Melodien fetzen.

Orgel trifft Kontrabass und Geige

Außergewöhnlich ist auch die Location: Wie 80 Prozent der Gebäude innerhalb der mittelalterlichen Stadtmauer fiel auch die gotische Marienkirche dem Großbrand zum Opfer, der wenige Tage vor Kriegsende Neubrandenburg verwüstete. Erst nach der Wende wurde ein Wiederaufbau möglich, der finnische Architekt Pekka Salminen schuf für die stehengebliebenen Außenmauern ein neues Innenleben: Spektakulär in diese Konzertkirche, die Foyerbereiche sind in strengem Sichtbeton ausgeführt, in der Halle dagegen harmonieren helles Holz und anthrazitfarbenen Sitzbezüge bestens mit dem roten Backstein. Auf ein Gewölbe wurde verzichtet zugunsten einer flachen Akustikdecke, die dafür sorgt, dass der Nachhall für Konzerte ideal ist, obwohl der extrem hohe, relativ schmale Raum wenig Möglichkeiten zur Schallbrechung bietet.

Am wichtigsten Jubilar des Kulturjahres 2024 kommen die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern natürlich nicht vorbei: Schließlich wurde Caspar David Friedrich vor 250 Jahren in Greifswald geboren. Von seinem 1824 entstandenen Gemälde „Das Eismeer“ hat sich der Komponist Christian Jost zu einem Orchesterwerk inspirieren lassen, das am 27. Juli im Greifswalder Dom uraufgeführt wird, vom Signum Saxofon Quartett und dem Züricher Kammerorchester unter der Leitung von Daniel Hope.

Tags darauf erklingt es dann ein weiteres Mal, an einem Ort, der Symbolwert hat für die Festspiele, in Ulrichshusen nämlich. Im Herbst 1993 meldete sich beim Festspielgründer Matthias von Hülsen, der damals noch hauptberuflich als Kinderarzt arbeitete, ein energischer Herr, der ebenfalls einen Adelstitel trug und unbedingt eine Renaissance-Ruine zum ländlichen Kulturort aufwerten wollte. Helmuth von Maltzahn gelang das Kunststück: Kaum war das eingestürzte Dach der riesigen Scheune repartiert, fand ein erstes Konzert statt. Seitdem ist Ulrichshusen ein Kraftzentrum der Festspiele. Allein in diesem Sommer gibt es zehn Mal die Gelegenheit, hier, in the middle of nowhere zwischen Malchiner See und Müritz, hochkarätige Klassik zu erleben.  

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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