Keine Angst vor fanatischen Abtreibungsgegnern: So helfen Beratungsstellen Frauen

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Der Bundestag diskutiert einen Gesetzentwurf, der Schwangere vor „Gehsteigbelästigung“ vor Beratungsstellen und Kliniken schützen soll. Betroffene erzählen, wie schlimm es ist – und ob das Gesetz genügt.

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Am Mittwoch wird im Bundestag ein Gesetzentwurf diskutiert, der Schwangere vor Belästigung schützen soll. In Deutschland ist der Schwangerschaftsabbruch noch immer rechtswidrig, unter bestimmten Voraussetzungen jedoch straffrei. Dazu gehört, dass die schwangere Person sich vor einer Abtreibung beraten lassen muss.

Diesen Umstand nutzen radikale Abtreibungsgegner, um Schwangere mit Abtreibungswunsch vor den Beratungsstellen geradezu zu belästigen. Regelmäßig halten sie Mahnwachen oder Demonstrationen vor diesen Einrichtungen ab. Diese sogenannte „Gehsteigbelästigung“ belastet nicht nur Schwangere, sondern auch das Beratungspersonal.

Besonders schlimm sei die Situation in Pforzheim, erzählt Gudrun Christ, Geschäftsführerin des Pro-Familia-Landesverbands Baden-Württemberg. Seit 2018 stünden zweimal im Jahr Abtreibungsgegner jeweils 40 Tage lang vor der Beratungsstelle. „Die Demonstranten halten Schilder hoch, Kreuze und Flyer, sie singen und beten laut“, berichtet Christ.

Einige Frauen drehen um und kommen nicht zur Beratung, wenn sie sehen, dass vor dem Eingang Demonstranten stehen.

Gudrun Christ, Pro-Familia-Landesverband Baden-Württemberg

Sie kämen insbesondere von der Organisation „40 Days for Life“, einer christlichen Bewegung aus den USA. Diese hält vor allem während der Fastenzeit und im Herbst 40 Tage lang täglich Mahnwachen vor Beratungsstellen ab.

Es seien meistens fünf bis sechs Leute, manchmal auch zwölf, aber selten mehr, sagt Christ. „Es ist offensichtlich, dass sie sich organisieren und ich vermute, dass sie angehalten sind, nicht mit uns zu sprechen.“ Darüber hinaus seien es kleinere fundamentalistische Gruppierungen und andere Gegner der Selbstbestimmung der Frau.

„Es geht ihnen darum, unsere Besucherinnen zu beeinflussen und ihnen ein schlechtes Gewissen zu machen“, sagt sie. Die Beratung sollte aber anonym stattfinden können und einen Schutzraum bieten. „Einige Frauen drehen um und kommen nicht zur Beratung, wenn sie sehen, dass vor dem Eingang Demonstranten stehen.“

Nicht nur für die Schwangeren sei es eine Belastung, sondern auch für die Angestellten und andere Besucher. „Zu Pro Familia kommen auch Familien mit Kindern, für die ist der Anblick extrem verstörend.“ Für Christ ist klar: Das Gesetz ist schon lange überfällig.

100 Meter Abstand von Beratungsstellen

Die Mahnwachen in Pforzheim finden im Wahlkreis der parlamentarischen Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast, statt. „Das ist eine unerträgliche Situation, die wir künftig beenden“, sagt sie.

Der neue Gesetzentwurf, der am Mittwoch im Bundestag diskutiert wird, soll die Situation entschärfen. Er soll schwangeren Personen den ungehinderten Zutritt zu Beratungsstellen und Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen ermöglichen und sämtliche Mahnwachen, Demos oder andere Störaktionen auf einen Mindestabstand von 100 Metern verbannen.

Katja Mast, Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, spricht angesichts der Protestierenden von einer „unerträglichen Situation“.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Verboten wird, Schwangere zu behindern, die Beratungsstelle zu betreten, ihnen die eigene Meinung aufzudrängen, sie unter Druck zu setzen, unwahre Behauptungen zu äußern oder sie anderweitig zu beeinflussen. Ein Verstoß wird mit einem Bußgeld von bis zu 5000 Euro geahndet.

„Das Gesetz ist ein klares Stopp-Signal an alle fundamentalen Abtreibungsgegnerinnen und Abtreibungsgegner, die meinen ratsuchende Frauen und Mitarbeitende einschüchtern zu wollen“, sagt Mast.

Endlich bereiten wir den als ‚Mahnwachen‘ getarnten Einschüchterungsversuchen ein Ende.

Katja Mast, parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion

„Ich setze mich seit Jahren für einen wirksamen Schutz für Schwangere ein, die in einer schwierigen Situation Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen oder Einrichtungen aufsuchen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen“, erklärt sie weiter. „Endlich bereiten wir den als ‚Mahnwachen‘ getarnten Einschüchterungsversuchen ein Ende.“

Das Kabinett hat den Gesetzentwurf von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) bereits im Januar beschlossen, nun diskutiert ihn der Bundestag. „Wir stärken die Rechte von Schwangeren und die Selbstbestimmung der Frau“, sagt Paus. „Hier hat Meinungsfreiheit ihre Grenzen – auch im Sinne des Schutzes des werdenden Lebens, der durch die ergebnisoffene Schwangerschaftskonfliktberatung gewährleistet wird.“

Meinungsfreiheit oder Versammlungsfreiheit – was wiegt mehr?

Der kritische Punkt bei Gehsteigbelästigung sei, dass verschiedene Rechte miteinander im Konflikt stünden, erklärt Céline Feldmann vom Deutschen Juristinnenbund. Die Proteste der Abtreibungsgegner seien von der Meinungsfreiheit und der Versammlungsfreiheit gedeckt – Artikel 5 und 8 im Grundgesetz.

„Beide genießen in unserer Demokratie einen hohen Rang und können nur bedingt eingeschränkt werden“, sagt Feldmann. Auf der anderen Seite stünden Persönlichkeitsrechte – des Personals und insbesondere die reproduktive Selbstbestimmung von schwangeren Personen – sowie die Berufsfreiheit. „Das ist eine sehr komplexe verfassungsrechtliche Prüfung.“

Derzeit herrscht eine erhebliche Rechtsunsicherheit für Betroffene und Vollzugsbehörden.

Céline Feldmann, Deutscher Juristinnenbund

Landesrechtlich gebe es bereits Möglichkeiten, Versammlungen vor Beratungsstellen und Praxen zu verbieten oder nur in gewissem Abstand zu erlauben. „Sowohl Vollzugsbehörden als auch die Rechtsprechung bewerten Gehsteigbelästigung sehr unterschiedlich. Derzeit herrscht also eine erhebliche Rechtsunsicherheit für Betroffene und Vollzugsbehörden“, sagt Feldmann. Deshalb sei es sehr wichtig, dass das neue Gesetz eine bundeseinheitliche Regelung einführt, die Rechtssicherheit schafft und konkretisiert, was erlaubt ist und was nicht.

Ein schranktürgroßes Marienbild

Auch vor der Pro-Familia-Beratungsstelle in Frankfurt am Main stehen zweimal im Jahr für 40 Tage Demonstrierende, berichtet Heike Pinne, Geschäftsführerin des Landesverbands Hessen. „Die stehen da und beten im Chor oder singen die ganze Zeit, andere beten auf Knien Rosenkränze. Sie haben Plakate und ein schranktürgroßes Marienbild dabei.“

„Unserer Wahrnehmung nach schwillt der Gesang jedes Mal an, wenn jemand die Beratungsstelle betritt oder verlässt“, sagt Pinne. Die Gebete seien so laut, dass sie in den Büroräumen bei geöffneten Fenstern zu hören seien. Das strenge vor allem die Angestellten an, und auch sie werden beim Betreten oder Verlassen des Gebäudes ungefragt „bebetet“.

Die Angestellten von Pro Familia informieren die Schwangeren bei der Terminvereinbarung über die Mahnwachen. Manche entschieden sich daraufhin für eine Telefon- oder Videobesprechung. Pinne kritisiert: „Das schränkt in manchen Fällen die Wahlfreiheit der Betroffenen ein – denn sie haben ja ein Recht auf persönliche Beratung.“

Das ist eine einschüchternde Szenerie.

Heike Pinne, Pro-Familia-Landesverband Hessen

„Einzelne, die trotzdem persönlich zur Beratung gekommen sind, haben sich anschließend nicht mehr rausgetraut. Da mussten wir dann nach Alternativen suchen“, erzählt Pinne. „Das Personal verlässt die Räumlichkeiten erst später und manchmal stehen sie dann noch im Dunkeln und singen und beten mit Kerzen. Das ist eine durchaus einschüchternde Szenerie.“

Pinne ist froh, dass das Gesetz endlich kommen soll. Sie wünscht sich allerdings, dass das Gesetz klarer und eindeutiger formuliert wäre. „Ich befürchte, dass man sich lange darüber streiten wird, ob das, was die Menschen vor unserer Tür tun, unter die Kriterien fällt, die im Gesetz beschrieben sind.“

Auch die Juristin Céline Feldmann sieht in der konkreten Ausführung noch Verbesserungspotenzial. „Das Gesetz wird nicht allen Gegebenheiten gerecht“, sagt sie. Zwar finde sie es gut, dass verbotene Handlungsweisen explizit aufgelistet werden, doch kritisiert sie einzelne Tatbestandsmerkmale.

So muss etwa der schwangeren Person mit Absicht ein Hindernis bereitet werden. „Der Zusatz ‚mit Absicht‘ verlangt einen erhöhten Vorsatz. Dadurch werden nicht alle Einzelfälle erfasst, obwohl sie störend sein können“, sagt Feldmann. Sie fordert: „Der Zusatz sollte gestrichen werden.“

Garantie für eine ärztliche Versorgung

Die Proteste der Abtreibungsgegner beschränken sich nicht allein auf Beratungsstellen, sie finden auch vor Kliniken statt, die Abtreibungen durchführen. Dies gilt als einer der Gründe, warum immer weniger Praxen Abtreibungen durchführen wollen. In Deutschland muss laut dem Sicherstellungsauftrag die ärztliche Versorgung gewährleistet werden. Dazu zählt auch die Versorgung von Schwangeren, die eine Abtreibung vornehmen möchten. Diese ist jedoch nach wie vor nicht überall gegeben.

Eine Demonstration zum Internationalen Frauentag fordert die Gleichberechtigung und mehr Rechte von Frauen, die sexuelle Selbstbestimmung und protestiert gegen sexuelle Gewalt an Frauen und patriarchale Strukturen.

© Imago/IPON

Zur besseren Übersicht stellen die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung oder die Bundesärztekammer eine Liste aller Einrichtungen zur Verfügung, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Gelistet sind knapp 380 Einrichtungen. Verglichen mit den circa 19.000 deutschlandweit praktizierenden Frauenärzt:innen sind es also weniger als zwei von 100.

Das Ziel sollte die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs sein.

Céline Feldmann, Deutscher Juristinnenbund

In Bayern listet die Bundesärztekammer zum Beispiel nur zwölf Praxen auf, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen – vier davon in München. Im Vergleich dazu sind es allein in Berlin 25.

„Das neue Gesetz zur Gehsteigbelästigung ist nur ein erster Schritt, der defizitären Versorgungslage entgegenzuwirken“, sagt Feldmann. „Das Ziel sollte die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs sein.“ Solange Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich Unrecht darstellen, sähen sich die „selbsternannten Lebensschützer:innen“ im Recht.

Zusätzlich müsse der Schwangerschaftsabbruch entstigmatisiert werden. „Ich begegne wirklich häufig stereotypen Vorstellungen, die in jeder Gesellschaftsschicht und in jedem Alter anzutreffen sind.“ Viele dächten vor allem an vermeintlich unverantwortliche, junge Menschen. Dabei seien es zum Beispiel auch Personen, die bereits Kinder haben.

„Es ist noch viel Aufklärungsarbeit nötig“, sagt die Juristin. Wichtig sei vor allem, das Thema in der Gesellschaft miteinander zu besprechen und sich auf einer möglichst sachlichen Ebene zu begegnen. (mit jb)

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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  • AnnaSchreibt74

    Manche Frauen trauen sich nicht mehr aus der Beratungsstelle, wenn diese von Demonstranten belagert wird. Es ist wichtig, dass Gesetze geschaffen werden, um Schwangere vor solcher Belästigung zu schützen. Die psychische Belastung für die Betroffenen und das Beratungspersonal sollte ernst genommen werden.

  • Anna Müller

    Es ist wichtig, dass Schwangere geschützt werden vor derartigen Belästigungen. Jeder sollte das Recht auf Beratung und Entscheidungsfreiheit haben, ohne von Fanatikern bedrängt zu werden. Hoffentlich kann das Gesetz effektiv dazu beitragen, die Situation zu verbessern.

  • Martina Müller

    Keine Angst vor fanatischen Abtreibungsgegnern! Ich finde es wichtig, dass Schwangere vor Belästigung geschützt werden, damit sie frei und unbeeinflusst Beratung in Anspruch nehmen können. Es ist traurig, dass solche radikalen Gruppen Frauen in einer ohnehin schwierigen Situation zusätzlich belasten. Hoffentlich wird das Gesetz ihnen Einhalt gebieten.

  • Susanne Müller

    Wie können Schwangere in Pforzheim sich trotz der Belästigungen durch Abtreibungsgegner sicher und geschützt fühlen? Gibt es konkrete Maßnahmen, um sie zu unterstützen?

    • Svenja Schneider

      Um Schwangere in Pforzheim trotz der Belästigungen durch Abtreibungsgegner sicher und geschützt zu fühlen, ist es wichtig, dass lokale Organisationen und Beratungsstellen kooperieren und gezielte Unterstützung anbieten. Konkrete Maßnahmen könnten sein: Begleitung von Schwangeren zum Beratungstermin, Sicherheitspersonal vor Ort, Informationskampagnen über Rechte und Unterstützungsangebote sowie enge Zusammenarbeit mit der Polizei, um die Sicherheit der Betroffenen zu gewährleisten.