Interview mit Felix Magath zur EM: „Musiala und Wirtz müssen zeigen, dass sie sich auch gegen internationale Spitzenleute durchsetzen können“

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Interview mit Felix Magath zur EM: „Musiala und Wirtz müssen zeigen, dass sie sich auch gegen internationale Spitzenleute durchsetzen können“

Felix Magath traut dem deutschen Team bei EM viel zu, auch wenn er bislang nur von den Spaniern voll überzeugt ist. Zudem setzt der Ex-Hertha-Trainer hinter den Aufstieg von Maximilian Mittelstädt noch ein Fragezeichen.

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Felix Magath, wie sehen Sie die ersten drei Auftritte des deutschen Teams bei der EM?
Was soll ich sagen? Der Zeitgeist ist ja so, dass man eine Leistung beurteilt und diese dann in die Zukunft fortschreibt. Man hat das jetzt wieder an der Entwicklung in dieser Vorrunde gesehen. Nach der ersten Partie war die Begeisterung da, nach der zweiten war man dann etwas ernüchtert. Und jetzt kommen wir nach der dritten Partie so langsam zur Realität.

Dann müsste ja, nach Ihrer Rechnung, die Kurve der Deutschen im Achtelfinale weiter nach unten gehen?
Toni Kroos hat gesagt, dass halt die Mentalität entscheidend sein wird, wie letztendlich das Ergebnis dieses Turniers ausfällt. Und die deutsche Mannschaft hat aus meiner Sicht nach wie vor die Möglichkeit, das Turnier zu gewinnen. Aber wir müssen uns schon noch insgesamt von der Leistung her steigern. Und wir können nicht nur wie gegen Schottland gegen Mannschaften, die sehr passiv spielen und uns spielen lassen, gut aussehen. Sondern wir müssen uns eben auch gegen Mannschaften durchsetzen, die sich wehren und die selbst aktiv mitspielen.

Es ist davon auszugehen, dass der nächste deutsche Gegner aktiv mitspielen wird und gewinnen möchte. Kann nicht sein, dass das deutsche Team eine Eigendynamik entwickelt und durch die K.o.-Spiele rauscht, oder?
Nein, das ist nicht ausgeschlossen. Aber das ist auch nach meiner Beobachtung der Aspekt, dass die deutsche Mannschaft jetzt bei diesem Turnier einen sehr harmonischen Eindruck macht. Man hat nicht das Gefühl, dass irgendeiner unzufrieden oder anderer Meinung ist, sondern man hat das Gefühl, da ziehen alle an einem Strang.

Was hat Ihnen denn gut gefallen bei den der deutschen Mannschaft bisher?
Der Bundestrainer hat im März durch die Hereinnahme von Toni Kroos und von drei jungen Stuttgarter Spielern die Struktur der Mannschaft verändert, was zu 100 Prozent richtig war. Und jetzt kommt es darauf an, dass Toni Kroos, der diese Mannschaft führt, in die Lage versetzt wird, das Spiel auch nach vorne zu machen. Vorne haben wir eben mit Musiala und Wirtz zwei außergewöhnliche Talente. Und die müssen jetzt bei diesem Turnier zeigen, dass sie schon in der Lage sind, sich auch gegen internationale Spitzenleute durchzusetzen. Dann haben wir eine Chance, Europameister zu werden.

Bei mir hätte Füllkrug von Anfang an gespielt.

Felix Magath

Hätten Sie etwas anders gemacht als Julian Nagelsmann? Die Startaufstellung war auch im dritten Spiel die gleiche wie in den ersten beiden Spielen. War es clever, Niclas Füllkrug erst so spät einzuwechseln?
So was kann eben nur der Trainer beantworten, der verantwortlich ist, er trifft die Entscheidung. Bei mir hätte Füllkrug von Anfang an gespielt, für Kai Havertz wahrscheinlich. Aber das Schöne am Fußball ist ja, dass es keine Wahrheit gibt, aber alles richtig sein kann. Also das, was Nagelmann gemacht hat, kann zu 100 Prozent richtig sein.

Was die aktuellen Nationalspieler betrifft, kennen sie ja einen ganz gut. Maximilian Mittelstädt hat bei Hertha 2022 unter ihrer Regie den Klassenerhalt geschafft, seit einer Saison ist er in Stuttgart und nun schon Teil des Stammpersonals bei Nagelsmann. Überrascht sie dieser steile Auftritt?
Der Wechsel zum VfB Stuttgart hat ihm offensichtlich gutgetan, weil er den ganzen Ballast abgeschüttelt hat und sich in Stuttgart entwickeln konnte. Aber man sollte vorsichtig sein. Eine gute Saison bei einem sehr guten Verein reicht noch nicht, um wirklich im internationalen Fußball Fuß zu fassen.

Wenn ein Spieler immer nur gelobt wird und immer nur Zuspruch bekommt, egal ob er was schlecht macht, dann befürchte ich, dass der Spieler das nicht ganz richtig einsortieren kann.

Felix Magath

Die Stimmung im Team scheint gut zu sein, sagten Sie ja …
Das kann ich nicht abschließend beurteilen, ich sehe das nur im Fernsehen. Und ich bin nicht derjenige, der glaubt, dass man halt immer nur mit guter Laune und gut zureden Leistung erzeugen kann.

Sagt der Trainer, der für seine Härte bekannt ist …
Ich glaube nicht, dass man mit Lockerheit außergewöhnliche Leistungen erzeugen kann. Wenn jemand eine gut sortierte Mannschaft zusammen hat, kann der natürlich mit guter Stimmung die Leistungsfähigkeit, die da ist, herausholen. Ich bin der festen Überzeugung, dass ein Spieler Respekt vor der Aufgabe haben muss. Und das bedeutet, dass man die Situation richtig einschätzt. Nur mit Respekt macht man auch genug. Wenn ein Spieler aber immer nur gelobt wird und immer nur Zuspruch bekommt, egal ob er was schlecht macht, dann befürchte ich, dass der Spieler das nicht ganz richtig einsortieren kann.

Ist das bei Nagelsmann der Fall? Lobt der Bundestrainer zu viel?
Ich bin kein Psychologe und ich möchte auch kein Amateurpsychologe sein. Ich erzähle mal eine kleine Geschichte: Es ist ein paar Jahre her, da wurde der Tennisspieler Pete Sampras gefragt, was er von seinem Trainer gelernt habe. Sampras, damals die Nummer eins der Welt, antwortete: „Demut“. Sie müssen Demut vor der Aufgabe haben. Dann machen Sie es auch gut. Wenn Sie keine Demut haben, dann könnte es schwierig werden.

Wer hat denn bislang genug Demut gezeigt bei dieser EM?
Die einzigen, die überragend gespielt haben, waren für mich die Spanier. Da ist Potenzial und das scheint zum richtigen Zeitpunkt auch da zu sein.

So eine Europameisterschaft könnte etwas Verbindendes haben. Oder ist es doch ein sportlicher Wettkampf, indem Miteinander eine kleinere Rolle spielt?
Ich kann es nicht beurteilen, weil ich kein Politiker bin. Ich will auch keiner werden. Aber wenn ich es im Fußball beurteile, dann stelle ich halt fest, dass Nebensächlichkeiten und Kleinigkeiten aufgebauscht werden ohne Ende. Dadurch verliert man den Überblick. Was ist denn eigentlich wirklich wichtig? Das ist eben bei unserer Gesellschaft so wie im Fußball, das wird immer schwerer.

Wird zu viel in die EM hinein interpretiert, letztlich ist es ja nur ein Sportevent?
Ich habe nie was anderes als Fußball gemacht, auch bevor es Beruf wurde. Für mich ist ein Spiel vergleichbar mit dem Leben. So beurteile ich das. Ich habe in einem Spiel, wenn ich eben mit zehn anderen zusammenspiele, ständig die Situation, dass ich Entscheidungen treffen muss. Ich kann mich ängstlich entscheiden, kann mich offensiv entscheiden, nicht risikoreich. Ich kann versuchen, Risiko zu vermeiden. Und die Entscheidungen habe ich ständig. Das ist wie im richtigen Leben, wenn man Chancen hat, dann muss man die Chancen auch sehen und packen.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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