Noch Gewerkschaft oder schon blinder Aktivismus?: Verdi hat mit dem Kita-Streik in Berlin den Bogen überspannt

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Noch Gewerkschaft oder schon blinder Aktivismus?: Verdi hat mit dem Kita-Streik in Berlin den Bogen überspannt

Mit den Warnstreiks hat Verdi schon längst das Verständnis der Eltern verspielt. Mit der Idee für einen unbefristeten Erzwingungsstreik hat die Gewerkschaft jedes Maß verloren.

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Ja, die Lage in den Kindertagesstätten ist bescheiden. Die Belastung ist hoch, Mitarbeiter deshalb häufig krank, die bestmögliche pädagogische Arbeit kaum möglich. Und eine gute Bezahlung für jene, denen wir die Kinder anvertrauen, sollte selbstverständlich sein.

Es gibt viel zu tun, um die Bedingungen für die Erzieherinnen und Erzieher zu verbessern. Denn davon profitieren vor allem – die Kinder. Doch mit der Idee, per unbefristeten Erzwingungsstreik den Senat in die Knie zu zwingen, hat Verdi jedes Maß verloren. Rechtswidrig – wie nun das Arbeitsgericht befand.

Was Verdi fordert, ist durchaus richtig: „Bildung statt Aufbewahrung.“ Sie fordert einen konkreten Betreuungsschlüssel, wieviele Kinder von je einer Erzieherin betreut werden, wobei ausreichend Zeit für Vor- und Nachbereitung, Elterngespräche und Fortbildung berücksichtigt werden sollen.

Bei der weiteren Forderung wird es allerdings schon heikel: Um diese Fachkraft-Kind-Relation zu gewährleisten, sollen im Zweifel Betreuungszeiten verkürzt und Öffnungszeiten eingeschränkt, ja sogar die Eingewöhnung von Kindern verschoben werden dürfen.

Woher soll das Personal kommen?

Bereits hier dürften sich Eltern fragen: Geht’s noch Verdi? Eltern, die arbeiten und auch ihren Alltag bewältigen müssen, sollen ihre Kinder früher von der Kita abholen müssen, weil der Betreuungsschlüssel nicht mehr eingehalten werden kann? Das steht ihnen natürlich frei, allein des Kindes willen. Aber dass sie ihr Kind früher abholen sollen müssen, weil Fachkräfte verzweifeln, wenn sie ihrem pädagogischen Anspruch nicht mehr nachkommen können, geht zu weit.

Sicherlich sind Kitas besondere Orte, hier befinden sich Kinder in Obhut – und das staatlich geregelt. Und doch sind Kitas keine Märchenorte fernab der Realität, losgelöst von allem anderem. Der Fachkräftemangel ist in vielen Branchen und Bereichen längst ein Flächenbrand. Aber woher soll das Personal kommen, das nötig wäre, um Verdis Forderungen zu erfüllen? Es ist – so bitter das ist – schlicht nicht da und wird auch nicht so schnell kommen.

Verdis Verhalten ist auch aus anderem Grund nicht nur ernüchternd, sondern sogar erschreckend: Die Gewerkschaft hatte nach den zahlreichen Warnstreiks der vergangenen Monate offenbar jedes Gespür dafür verloren, ob sie auch Rückhalt in der Bevölkerung, bei den Eltern hat. Nein, den hat sie längst verloren.

Schlimmer wäre, wenn selbst bei Verdi Fachkräftemangel herrscht und niemand die rechtlichen Hürden und Fallstricke erkannt hat.

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Obendrein scheint Verdi jede Expertise abhandengekommen zu sein. Dass der unbefristete Erzwingungsstreik rechtswidrig sein dürfte, hat die Verdi offenbar gar nicht in Erwägung gezogen. Stattdessen war die Gewerkschaft völlig überrascht vom Urteil des Arbeitsgerichts, das den Ausstand untersagt hat.

Da wäre zum einen die Friedenspflicht, denn es gibt bereits einen weiterhin gültigen Tarifvertrag, der eine Zulage und Entlastungen für Auszubildende regelt. Weder hat Verdi den Vertrag gekündigt, noch sind Kündigungsfrist und Vertrag abgelaufen. Es gab nicht mal eine Schlichtung. Trotzdem wollte Verdi einfach einen Tarifvertrag verhandeln und drohte mit unbefristetem Erzwingungsstreik.

Von Friedenspflicht wollte Verdi offenbar nichts wissen – oder wollte es wider besseres Wissen nicht? Noch schlimmer wäre, wenn selbst bei Verdi Fachkräftemangel herrscht und niemand die rechtlichen Hürden und Fallstricke erkannt hat.

Und dann gibt es das Streikrecht. Es ist im Grundgesetz garantiert. Das sichert aber dem Land Berlin auch die Koalitionsfreiheit als Arbeitgeber zu. In Artikel 9 heißt es dazu: „Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.“

Verdi wusste sehr genau, was passiert, wenn Berlin sich auf Verhandlungen für einen Nebentarifvertrag nur für seine Kitas und außerhalb der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) einlässt: Dass Berlin nämlich aus der TdL fliegt.

Verdi hinterlässt einen Trümmerhaufen

Wir erinnern uns: Im Jahr 2000 entschied sich Rot-Rot-Grün für eine Hauptstadtzulage in Höhe von 150 Euro für seinen öffentlichen Dienst. Die TdL wertete das als Verstoß gegen den Tarifvertrag der Länder und drohte bei einem weiteren Verstoß mit Berlins Ausschluss. Genau das wäre passiert, hätte sich der Senat auch nur auf Verhandlungen über Verdis fixe Tarifidee eingelassen. Deshalb entschied das Arbeitsgericht, dass das Streikrecht die Koalitionsfreiheit nicht überwiegt.

Verdi hinterlässt mit seinem Vorgehen einen Trümmerhaufen an Enttäuschungen und falschen Versprechungen. Die Gewerkschaft hat ihren Mitgliedern und der Öffentlichkeit suggeriert, was nicht machbar ist. Sie verstieg sich völlig losgelöst von der Realität in Maximalforderungen, für die man, gerade als Eltern, Verständnis haben kann, die jedoch kaum erfüllbar sind.

Verdi muss sich fragen lassen: Ist das noch Gewerkschaft oder schon blinder Aktivismus? Auf jeden Fall befindet sich Verdi da in einem gefährlichen Trend, der schon häufiger zu beobachten war, sei es in der Politik, bei Klimaaktivisten oder linken Gruppen. Die Stichworte sind: der gescheiterte Mietendeckel, das gekippte Vorkaufsrecht, die Idee, Wohnungsunternehmen zu enteignen, oder der Versuch, die Bundesregierung mit Hungerstreik und Klebeblockaden zu beeinflussen. Hehre Motive, aber fernab realistischer Einschätzungsgabe und Machbarkeitshorizonte, am Ende Populismus von links.

Verdi sollte sich jetzt ganz schnell sammeln, sich mit dem Senat an einen Tisch setzen und ernsthaft über machbare Wege verhandeln. Mit den Warnstreiks hat die Gewerkschaft schon genug Porzellan zerschlagen. Nicht wenige Eltern wechseln bereits vermehrt von den landeseigenen Kitas, auf die sie sich wegen der Streiks nicht verlassen konnten, zu freien Trägern.

Ohnehin stehen regulär Gespräche über den Kita-Rahmenvertrag mit allen Trägern an. Sie alle wollen bessere Bedingungen. Nur so kann die Gewerkschaft Vertrauen zurückgewinnen und zeigen, dass sie für Eltern und Kinder ein verlässlicher Partner und für Beschäftigte ein ernst zu nehmender Vertreter ist. Aktivismus gegen alle Regeln und mit dem Kopf durch die Wand hilft dabei nicht. Aber: Der schwarz-rote Senat muss jetzt auch liefern und Angebote für spürbare Verbesserungen machen.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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