Sitzvolleyballer Lukas Schiwy: „Es geht darum, ein Vorbild zu sein“

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Sitzvolleyballer Lukas Schiwy: „Es geht darum, ein Vorbild zu sein“

Vor dem Paralympics-Auftakt am Freitag gegen Brasilien spricht Lukas Schiwy über die Sichtbarkeit von Sitzvolleyball, Topfavorit Iran und was er für die Teilnahme an den Spielen opfert.

Von Monja Nagel

Herr Schiwy, Sie sind vollberuflich Unternehmensberater – und spielen im Sitzvolleyball in der Nationalmannschaft. Wie lässt sich das vereinbaren?
Der Job, den ich ausübe, ist zeitintensiv und alles andere als nine-to-five. Für den Sport trainierte ich vor den Paralympics an sechs Tagen pro Woche plus Trainingslager und Turniere. Es ist eine Herausforderung, beides unter einen Hut zu bekommen. Mein Umfeld leidet darunter und weiß, ich bin nicht verfügbar. Aber wenn man es möchte, dann kriegt man es hin, und ich bin mir bewusst, wofür ich es mache.

Wofür denn?
Auf der einen Seite aus egozentrischen Gründen. Ich will die Ziele erreichen, die ich mir gesetzt habe – im Idealfall eine Medaille bei den Paralympics. Auf der anderen Seite gibt es eine soziale Ebene, mit der ich mich identifiziere. Es geht darum, ein Vorbild zu sein für andere Menschen mit oder ohne Behinderung. Zu zeigen, dass die Behinderung kein lebensbestimmender Faktor ist und man sich auch mit Handicap im Job und Sport frei entfalten kann. Diese Außenwirkung ist mir wichtig.

Nach Rio und Tokio fahren Sie zum dritten Mal zu den Paralympischen Spielen. Spielt Nervosität noch eine Rolle?
Es ist immer eine große Sache und ein Lebenstraum, der sich verwirklicht. Ich bin sehr aufgeregt, zumal ich in Rio wenig Einsatzzeit auf dem Feld hatte und einfach den Vibe aufnehmen konnte. Die Spiele habe ich aus Spielerperspektive gesehen, aber wenig zum Erfolg des Teams beigetragen. In Tokio fehlten dann die Zuschauer. Jetzt in Paris kommt alles zusammen. Ich bin fester Bestandteil des Kaders und die Anreise ist nicht weit, sodass Freunde und Familie zuschauen kommen. Ich bin der Typ, der da nervöser wird, aber fahre zuversichtlich nach Paris.

Was sind die Ziele der Mannschaft in Paris?
Unser Ziel ist das Halbfinale. Zugegeben, um Gold mitzuspielen wäre ein großer Traum, aber realistischer wäre es, um Bronze zu kämpfen. Russland als eine der Topnationen wurde ausgeschlossen, wodurch unsere Chancen steigen. Aber wir sind auf Augenhöhe mit Brasilien, den Kasachen und Ägyptern. Bei den Spielen kann immer alles passieren.

Der Iran gewann das Turnier in Rio und Tokio. Wie realistisch ist eine weitere Goldmedaille des Landes?
Sehr realistisch. Die Iraner machen das alle hauptberuflich, werden gut gepusht, haben einen sehr guten Ligabetrieb und spielen auf Weltklasseniveau. Da kommen wenige Mannschaften überhaupt nur in die Nähe.

Wieso nicht?
Die Voraussetzungen sind nicht gegeben – und die hängen immer von den finanziellen Mitteln ab. Wenn du es aufziehst wie im Iran, mit mehreren Ligen und einer geldlichen Absicherung für die Athleten, dann würden wir auch in Deutschland auf einem ganz anderen Niveau spielen können. Das ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht machbar.

Wie häufig kommt die deutsche Mannschaft zusammen?
Das ist unterschiedlich. Vor den Paralympics jetzt so viel wie möglich, aber das ist nicht immer drin. Wir haben alle nur 30 Urlaubstage pro Person und müssen schauen, dass wir die nicht überschreiten. Geschätzt kommen wir in 2024 auf dreißig bis vierzig Tage. Sind halt viele Wochenendlehrgänge, von Freitagabend nach der Arbeit bis Sonntagnachmittag.

Für Ihren Leistungssport nehmen Sie Urlaubstage?
Ja, das ist das Opfer, das wir erbringen.

Sie treten mit einem erfahrenen Team in Paris an – der ältester Spieler ist 52 Jahre. Ist das normal im Sitzvolleyball?
Das Durchschnittsalter im Sitzvolleyball ist wirklich alt. Es ist eine sehr technische Sportart, in der Fitness nicht über jeden Zentimeter entscheidet, sondern man viel mit guter Technik kompensieren kann und Spielverständnis über Situationen entscheidet. Also kann man den Sport recht lange ausüben und gerade ältere und erfahrenere Spieler können auf Topniveau mithalten.

Und wo siehen Sie sich in diesem Team?
Ich hatte mal die Rolle des Vize-Kapitäns, die ist jetzt aber ungeklärt. Da müssen wir vor dem ersten Spiel nochmal ran. Wenn ich mich selbst einschätzen müsste, würde ich sagen, ich bin für die gute Stimmung verantwortlich. Ich bin selten schlecht gelaunt und versuche immer, die Leute mitzuziehen. Wie der Klebstoff zwischen den wichtigen Positionen.

Und was wünscht sich „der Klebstoff“ persönlich für die Paralympics?
Ich wünsche mir friedliche Spiele. Friedlich bezogen auf den sportlichen Wettkampf, aber auch das Zusammentreffen vor Ort. Das Terrorrisiko in Paris ist hoch. Ansonsten erwarte ich einen fairen Wettkampf und einen schönen Austausch mit den anderen Sportlern, den anderen Nationen. Die Spiele sind eine kulturelle Begegnungsstätte, wo man sich einfach kennenlernt und neue Eindrücke sammelt. Für den Sitzvolleyball wünsche ich mir Sichtbarkeit. Wenn man an den Para-Sport denkt, dann bitte nicht nur an Leichtathletik, sondern auch an die Sportarten, die sonst hinten runterfallen.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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