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Arsenal-Buchfestival in Kiew: Ein Stück Normalität im Krieg

Arsenal-Buchfestival in Kiew: Ein Stück Normalität im Krieg

© The International Book Arsenal Festival

Arsenal-Buchfestival in Kiew: Ein Stück Normalität im Krieg

Die zweite Kriegsausgabe des Kiewer Buchfestivals fand wieder im Vorkriegsformat statt. Warum ausgerechnet Bücher und Kultur die gebeutelten Ukrainer stärken.

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Wer dieser Tage in die Ukraine fährt, kommt am Thema Verlust nicht vorbei. Da sind die Meldungen von gefallenen Ukrainern – unter ihnen auch immer wieder Schriftsteller, Dichter und Journalisten. Tägliche Luftangriffe auf zivile Gebäude und die Energieinfrastruktur nehmen alle Ukrainer gleichermaßen ins Visier.

Eine Woche vor dem Start des zwölften Kiewer Buch-Arsenals traf es eine der größten Druckereien der Ukraine, „Factor Druk“ in Charkiv, für etwa dreißig Prozent des gesamten Buchdrucks in der Ukraine verantwortlich. Der Schmerz über den Verlust von sieben Menschen, die dort arbeiteten, und 50.000 Büchern saß zu Festivalbeginn allen in den Knochen.

Und so ist das zentrale Ausstellungsstück des größten internationalen Kultur- und Buchfestivals der Ukraine in diesem Jahr ein Tisch mit verkohlten Büchern des Verlags Vivat. Es sind Exemplare der Bücher, die extra für die Buchmesse gedruckt und mit dem Angriff zerstört wurden.

Der Geruch verbrannten Papiers liegt in der Luft. Ein fünfjähriger Junge fragt seinen Vater, was es damit auf sich hat. „Das sind verbrannte Bücher, die von einer russischen Rakete zerstört wurden”, antwortet er ihm ohne Umschweife.

Luftschutzräume und Generatoren

Hinzu kommt tägliche Ungewissheit: Nicht nur mussten ausreichend Luftschutzräume für Zehntausende Besucher bereitgestellt werden, die im Falle eines Luftalarms alle schnell über ausgezeichnete Fluchtwege Schutz suchen müssen. Seit Monaten müssen sich die Einwohner Kiews nahezu täglich auf unvorhersehbare Black-outs einstellen.

Doch am Ende geht alles gut. Festival-Direktorin Yuliia Kozlovets zeigt sich erleichtert: „Es war nicht leicht für den historischen Bau, ein ehemaliges Waffenarsenal, eine Notversorgung mit Generatoren zu organisieren.” Nun wurde es gar nicht gebraucht.

Mehr als hundert Verlage

Der Aufwand hat sich gelohnt: 35.000 Besucher zur zweiten Kriegsausgabe. Im vergangenen Jahr waren es noch 28.000. Mehr als einhundert Verlage präsentierten sich, hinzu kamen 160 Veranstaltungen. Mit dabei war auch das Literaturfestival „5. Charkiv” mit einem eigenen Programm. Die Stadt an der Front ist auch weiterhin das Zentrum des Buchdrucks in der Ukraine, trotz trotz ständigen Beschusses.

War die Stimmung im vergangenen Jahr noch ausgewogen zwischen Ungewissheit und Schrecken, aber auch Hoffnung und Aufbruch, macht sich der andauernde Kriegsalltag mit all seinen Verlusten bemerkbar: „Es herrscht weniger Freude, als es normalerweise auf dem Festival sein könnte. Es gibt viel Schmerz und viel Trauer, und auf der anderen Seite spiegelt dies auch unser Leben jetzt wider”, meint Kozlovets. „Nicht nur Freude ist eine Quelle der Kraft, sondern auch das Teilen der Trauer.”

Ein Statement, dass die Kultur existiert

„Letztes Jahr war das Festival wie ein Statement, dass wir existieren, dass die Kultur existiert, und dass wir trotz allem weitermachen,” meint Oksana Karpiuk, Kuratorin des Fachprogramms. „Aber dieses Jahr ist es anders. Es ist, als wäre der Krieg etwas Alltägliches in deinem Leben, das im Hintergrund abläuft, und du versuchst, dich anzupassen.”

Kuratiert wurde das Leitthema „Leben an der Grenze” vom Leiter des PEN-Ukraine und Philosophen Volodymyr Yermolenko. Yermolenko, der regelmäßig die Front-Städte besucht und als Freiwilliger hilft, hat das zum zentralen Thema des Literaturfestivals gemacht: „Es geht einerseits darum, geografisch sehr nah an den russischen Truppen zu sein, am Abgrund zu leben.” Aber es gehe auch um eine existenzielle Grenze, „wie die Grenze zwischen Leben und Tod, die Grenze zwischen Gegenwart und Zukunft, das Verständnis, dass man vielleicht keine Zukunft hat.”

Am Rande der Ressourcen

„Viele Besucher sagen, diese Metapher trifft genau, was wir alle gerade fühlen, weil wir alle irgendwie am Rande unserer Ressourcen leben”, meint Kozlovets. „Es geht auch um die Ukraine als Territorium, das die Grenze der demokratischen Welt oder des demokratischen Europa bildet, und sie verteidigt.”

Im dritten Kriegsjahr ist diese Frontlinie, die die Ukrainer auch von ihren Mitbürgern in den besetzten Gebieten trennt, verstärkt ins Bewusstsein gerückt. Neben den Soldaten und den Bewohnern der Frontstädte, rückt das Schicksal der Ukrainer ins Zentrum, die derzeit künstlich von ihrem Land getrennt wurden. Es kommen Jugendliche zu Wort, die deportiert und zurückgeholt wurden, Menschen, die die Besatzung erlebten, aber auch die verpixelte Videonachricht einer Widerstandskämpferin gegen die Besatzer.

Olena Huseinova, Kuratorin des Literaturprogramms sieht die Rolle der Literatur gerade darin, diese Erfahrungen aufzugreifen und zu vermitteln: „Im letztes Jahr hieß es oft, die Kluft ist so groß, dass die Menschen einander nicht verstehen können. Und ich glaube aber, das ist eine große Illusion – die Rolle von Autoren ist es, diese Kluft zu überbrücken.”

Schreiben, um das Erlebte zu verstehen

Dass der Krieg die Ukrainer prägt, macht sich auch an den Neuerscheinungen bemerkbar. „ Die Erfahrung, an der Front zu Kämpfen, regt zum Schreiben an. Denn Schreiben ist die einzige Möglichkeit, das Erlebt zu verstehen. Deshalb haben wir so viele Erstautoren, die sich nie als Schriftsteller gesehen haben, und die jetzt mit dem Schreiben angefangen haben.”

Das letzte Wort haben die gefallenen Dichter, deren Gedichte zu musikalischer Begleitung vorgelesen werden: Unter ihnen sind die 37-jährige Schriftstellerin, Dichterin und Dokumentarin von Kriegsverbrechen, Victoria Amelina, die selbst bei einem Raketenangriff in Kramatorsk getötet wurde, und des 33-jährige Lyrikers Maksym „Dali” Krywzow, dessen erster Gedichtband „Gedichte aus der Schießscharte” kurz vor seinem Tod im Januar erschien. Es wurde vom ukrainischen PEN als einer der besten Gedichtbände des Jahres gelistet. „Keine Angst“, heißt es noch im Klappentext.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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