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Was sich ändern ließe: Debatte ums Bürgergeld für Ukraineflüchtlinge – ein Faktencheck

Was sich ändern ließe: Debatte ums Bürgergeld für Ukraineflüchtlinge – ein Faktencheck

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Was sich ändern ließe: Debatte ums Bürgergeld für Ukraineflüchtlinge – ein Faktencheck

Kein Bürgergeld mehr für ukrainische Wehrpflichtige, oder sogar für alle neu Ankommenden aus dem Land? So heißt es von Union und FDP.

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Mit markigen Worten hat Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) ein Thema gesetzt: „Es passt nicht zusammen, davon zu reden, die Ukraine bestmöglich zu unterstützen und im gleichen Atemzug fahnenflüchtige Ukrainer zu alimentieren.“

Das sagte Stübgen im Vorfeld der anstehenden Innenministerkonferenz, deren Vorsitzender er ist, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Damit ist das Thema Bürgergeld einmal mehr in der Debatte.

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai legte nach: Er spricht sich dafür aus, allen Menschen, die neu aus der Ukraine kommen, kein Bürgergeld mehr zu zahlen, sondern sie über das Asylbewerberleistungsgesetz zu versorgen. Was steckt hinter den Ideen?

Warum bekommen Geflohene aus der Ukraine Bürgergeld?

Als Russland im Februar 2022 die Ukraine überfiel, war schnell klar, dass viele Flüchtlinge in die EU kommen würden. Die EU-Staaten entschieden sich, die sogenannte Massenzustromrichtlinie zu aktivieren. Das bedeutet bis heute, dass die Geflohenen aus der Ukraine ohne Einzelfallprüfung einen Aufenthaltsstatus bekommen, auch um die Asylbehörden zu entlasten.

Die Ampelkoalition hat dann entschieden, die Menschen ins Grundsicherungs-System einzugliedern. Sie bekamen damals Arbeitslosengeld II, mittlerweile Bürgergeld. Das ließe sich aber auch anders regeln, wenn die Politik wollte.

Könnte es Sonderregeln für wehrpflichtige Ukrainer geben?

Deutschland kann nicht einfach entscheiden, wehrpflichtigen Ukrainern keinen Schutz gewähren zu wollen. „Auf europäischer Ebene wurde die klare Entscheidung getroffen, dass die Menschen aus der Ukraine einen Aufenthaltsstatus bekommen müssen. Daran kann Deutschland alleine überhaupt nichts ändern, auch nicht speziell für Wehrpflichtige“, sagt Constanze Janda, Professorin für Sozialrecht an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer.

Es passt nicht zusammen, davon zu reden, die Ukraine bestmöglich zu unterstützen und im gleichen Atemzug fahnenflüchtige Ukrainer zu alimentieren.

Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) 

In der Folge könne den Menschen auch nicht einfach das Bürgergeld gestrichen werden. „Es ist rechtlich nicht möglich, dass der Staat jemandem gar nichts gibt, in der Hoffnung, dass er sich dann von selbst wieder in sein Herkunftsland bewegt. So dürfen die Behörden aus guten Gründen noch nicht einmal mit ausreisepflichtigen Menschen verfahren, deren Asylantrag abgelehnt wurde.“ 

Auch Tim Husemann, Professor für Rechtswissenschaften an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit, hält von Stübgens Vorstoß nichts. „Das ist ein Vorschlag auf Stammtisch-Niveau“, sagt er. Husemann benennt ein weiteres aus seiner Sicht unüberwindbares Problem: „Der deutsche Staat müsste dann feststellen, ob jemand überhaupt wehrpflichtig ist. Das hängt ja keineswegs nur am Alter, es gibt schließlich auch Menschen mit Krankheiten oder Behinderungen.“ Es sei nicht vorstellbar, dass am Ende der deutsche Gesetzgeber entscheide, wer in der Ukraine wehrpflichtig sei oder nicht.

Bedeutet das, dass Stübgens Vorschlag aus Sicht der Fachleute substanzlos ist? Nicht zwangsläufig. „Es ist theoretisch denkbar, auf europäischer Ebene zu erreichen, dass den Menschen kein einheitlicher Schutzstatus mehr gewährt wird“, sagt Janda. „Dann könnte man entscheiden, ihnen keinen Schutz mehr zuzugestehen und hätte in der Folge die Möglichkeit, sie in die Ukraine abzuschieben. Das ist aber nicht mehr als ein theoretisches Gedankenspiel und aus meiner Sicht politisch nicht denkbar.“

Muss es das Bürgergeld sein?

Bei der Frage, ob die Menschen aus der Ukraine Bürgergeld bekommen oder nach Asylbewerberleistungsgesetz versorgt werden, hat die Regierung Handlungsspielraum. Es wäre rechtlich möglich, dass beispielsweise die neu eintreffenden Ukrainer keinen Bürgergeldanspruch mehr bekommen. Die Alternative wäre dann, die Menschen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu versorgen.

Was sich ändern ließe: Debatte ums Bürgergeld für Ukraineflüchtlinge – ein Faktencheck

Geflüchtete aus der Ukraine stehen nach ihrer Ankunft auf einem Bahnsteig am Messebahnhof Laatzen.

© dpa/Michael Matthey

Der Staat würde in den ersten drei Jahren des Aufenthalts Geld sparen, da die Geldleistung, die die Menschen pro Monat bekommen, dann niedriger wäre: zum Beispiel für eine alleinstehende Person 460 statt 563 Euro. Auch stünde den Menschen nur ein eingeschränkter Zugang zur Gesundheitsversorgung zu. Also würde ein solcher Schritt den wirtschaftlichen Anreiz, eine Arbeit aufzunehmen, erhöhen. Und er würde die öffentlichen Kassen entlasten.

Einen Job anzunehmen wäre den Menschen auch weiterhin möglich. Die Beschränkungen, die es für Asylbewerber gibt, würden nicht greifen. Denn die Frage der Arbeitserlaubnis und des Aufenthaltsstatus ist laut Sozialrechtlerin Janda getrennt zu betrachten von der Frage, welches soziale Sicherungssystem greift.

Was wären die Nachteile?

Die Menschen aus der Ukraine künftig nach Asylbewerberleistungsgesetz zu versorgen wäre aus Sicht von Sozialrechtlerin Janda nicht sinnvoll. Denn nur der Bürgergeldbezug sorgt dafür, dass die Jobcenter mit ihrem breiten Instrumentenkasten dafür zuständig sind, die Menschen in Arbeit zu vermitteln. „Das Asylbewerberleistungsgesetz hat eine ganz andere Ausrichtung. Sanktionen gibt es dort nur für den Fall, dass Menschen im Asylverfahren nicht mitwirken.“ Das aber wäre im Fall der Ukrainer nicht relevant.

Im Bürgergeldbezug hingegen knüpfen Sanktionen an der Arbeitswilligkeit an, und es gibt viele Mittel, den Berufseinsteig zu fördern, vom Sprachkurs bis zur Weiterbildung. „Der Staat würde alle Mittel aus der Hand geben, die Menschen tatsächlich mit sanftem Druck zur Arbeit zu befördern, im Austausch für eine kurzfristige Ersparnis bei den Regelsätzen. Das wäre aus meiner Sicht ein unkluger Schritt“, sagt Janda.

Fachleute weisen zudem immer wieder darauf hin, dass es keineswegs die Arbeitsunwilligkeit ist, die viele Menschen aus der Ukraine davon abhält, einen Job anzunehmen. Eine große Hürde ist beispielsweise die sehr komplizierte Anerkennung von Studien- und Berufsabschlüssen. Es gibt dafür ein schier unüberschauberes Geflecht zuständiger Stellen, von der Landesbehörde bis zur Industrie- und Handelskammer. Einen Gesamtüberblick hat niemand, die Verfahren dauern oft quälend lange.

720.000 Personen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit bezogen laut Zahlen der Bundesagentur für Arbeit im Februar 2024 in Deutschland Bürgergeld.

Dazu kommen die Sprachhürde und die Frage der Kinderbetreuung. Gerade für Mütter, die ohne Ehemann aus der Ukraine geflohen sind, ist das in der Praxis oft ein großes Problem.

Jurist Husemann weist beim Thema der Wehrpflichtigen auf einen weiteren Aspekt hin. „Gerade diese Menschen, die sich in ihrer Heimat dem Kriegsdienst entzogen haben, wissen, dass sie nicht einfach in die Ukraine zurückkehren können. Ihre Motivation, sich hier dauerhaft eine Existenz aufzubauen, ist entsprechend hoch. Das spricht dafür, den Menschen über die Jobcenter Starthilfe zu gewähren.“

Um wie viele Menschen geht es?

Laut einem Sprecher des Bundesinnenministeriums lebten zum Stichtag 30. April 2024 in Deutschland knapp 230.000 männliche Ukrainer zwischen 18 und 60 Jahren, die erst nach Kriegsausbruch hergekommen waren. Dazu kommen weitere knapp 30.000, die schon vor Kriegsbeginn in Deutschland lebten.

Was sich ändern ließe: Debatte ums Bürgergeld für Ukraineflüchtlinge – ein Faktencheck

Fachleute weisen immer wieder darauf hin, dass es keineswegs die Arbeitsunwilligkeit ist, die viele Menschen aus der Ukraine davon abhält, einen Job anzunehmen.

© dpa/Christoph Soeder

Insgesamt leben laut Ausländerzentralregister etwas mehr als 1,1 Million Ukrainerinnen und Ukrainer im Land, die seit Kriegsausbruch geflohen sind. Ob diese Zahl der Realität entspricht und wie viele Menschen Deutschland doch schon wieder verlassen haben, ist aber unsicher.

Belastbar ist zumindest die Zahl der Ukrainer, die Bürgergeld beziehen. Laut Zahlen der Bundesagentur für Arbeit bezogen im Februar 2024 in Deutschland gut 720.000 Personen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit Bürgergeld. Davon waren knapp 220.000 nicht erwerbsfähig, also zum Beispiel Kinder, und gut 500.000 erwerbsfähig. In anderen europäischen Ländern ist der Anteil der ukrainischen Geflüchteten, die arbeiten, deutlich höher als in Deutschland. Das bringt die Politik in Erklärungsnöte.

Was kann getan werden, damit mehr Ukrainer arbeiten?

Die Bundesregierung hat das Problem erkannt. Ende 2023 rief Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) den sogenannten Job-Turbo aus: Die Jobcenter sollen Geflüchtete aus der Ukraine und den typischen Asyl-Herkunftsstaaten früher und mit mehr Nachdruck in Arbeit vermitteln, insbesondere durch mehr persönliche Ansprache. Wer noch Deutsch lernen muss, soll davon nicht von der Arbeitsaufnahme abgehalten werden, sondern parallel zum Job einen Kurs besuchen.

Was sich ändern ließe: Debatte ums Bürgergeld für Ukraineflüchtlinge – ein Faktencheck

Ende 2023 rief Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) den sogenannten Job-Turbo aus. Doch bisher bringt dieser in Zahlen ausgedrückt kaum Erfolge.

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In Zahlen ausgedrückt bringt der Job-Turbo bisher kaum Erfolge. Jedoch ist in Fachkreisen immer wieder zu hören, dass die Qualifizierung und Vermittlung in Arbeit mehr Zeit braucht als öffentlich einfach zu vermitteln wäre.

Hat Djir-Sarais Vorschlag eine Chance auf Umsetzung?

Insbesondere für die SPD ist das Bürgergeld zum Problemthema geworden. Es wurde zu Beginn als soziale Errungenschaft gefeiert und sollte Hartz IV vergessen machen. Doch schnell musste sich insbesondere die Ampelkoalition sich des Vorwurfs erwehren, das Geld allzu bereitwillig unter dem Volk zu verteilen. Das Bürgergeld ist zum Symbol für einen vermeintlich überbordenden Sozialstaat geworden.

Das hat man auch in der SPD bemerkt. Hier und da sind Kurskorrekturen zu sehen. So hat Heil eine härtere Linie gegen die sogenannten Totalverweigerer eingeschlagen.

Die jetzige Debatte ist vor allem im Kontext des Mega-Problems Haushalt zu sehen. Es fehlen viele Milliarden Euro, da liegt die Frage, ob nicht im Sozialen gekürzt werden muss, nahe. Der Debatte, ob beim Bürgergeld für Ukrainer alles beim Alten bleiben kann, werden sich SPD und Grüne womöglich nicht verweigern können.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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