Abschieben, abschieben, abschieben?: Populismus schafft keine Sicherheit

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Abschieben, abschieben, abschieben?: Populismus schafft keine Sicherheit

Solingen hat eine Debatte über Abschiebungen und Migration ausgelöst. Dabei liegen die Probleme woanders. Und erst ganz zuletzt in den Asylverfahren.

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Es gibt gewiss gute Gründe, über Migration, Asylverfahren und Abschiebungen zu diskutieren: Die Kommunen sind seit Jahren mit der Unterbringungen und Betreuung Geflüchteter überfordert, die Geflüchteten selbst hängen jahrelang in intransparenten Asylverfahren ohne Perspektive.

Und bei den Abschiebungen wirkt der Rechtsstaat schwach, weil Ausreisepflichtige sich ihm im großen Stil entziehen.

Was im Mindesten unausgegoren klingt, ist natürlich Kalkül. Nur eben keines, das die Sicherheit erhöht. 

Sidney Gennies, Mitglied der Chefredaktion des Tagesspiegels.

Dass nun aber ausgerechnet der Dreifach-Mord und mutmaßlich islamistische Anschlag von Solingen Politiker von links bis rechts nach mehr Abschiebungen, härten Abschiebungen, schnelleren Abschiebungen rufen lässt – das wirkt so hilflos wie populistisch.

Es passt doch nicht zusammen: Da ist also der mutmaßliche Täter Issa Al H., ein 26-jähriger Flüchtling aus Syrien, der nach Bulgarien hätte rückgeführt werden sollen, weil er dort erstmals in der EU registriert wurde – und die Union fordert nun einen Aufnahmestopp aus Afghanistan.

Die SPD wiederum möchte im Sinne der Terrorabwehr in Gestalt ihres Außenexperten Nils Schmid Gespräche mit dem Terrorregime der Taliban in Afghanistan und dem verbrecherischen Assad-Regime in Syrien aufnehmen, damit dorthin wieder abgeschoben werden kann. Das also ist der Stand der Debatte.

Es wird wissentlich ein falscher Eindruck vermittelt

Was im Mindesten unausgegoren klingt, ist natürlich Kalkül. Nur eben keines, das die Sicherheit erhöht. Es beruhigt höchstens die Nerven der Parteistrategen, die einen Durchmarsch der AfD bei den kommenden Landtagswahlen befürchten.

Der Populismus beginnt schon damit, dass sich die Abschiebe-Debatte daran entzündet, dass Issa Al H. längst in Bulgarien hätte sein müssen. Als wären Tote auf einem Stadtfest in Sofia besser gewesen.

Das eigentlich Absurde aber ist, dass wissentlich der falsche Eindruck vermittelt wird, mit besseren, schnelleren Abschiebungen ließen sich terroristische Taten verhindern.

Wer soll denn glauben, dass ein Mann, der ohne Wissen der Polizei und Geheimdienste möglicherweise im Kontakt mit dem IS stand, ohne Wissen von Polizei und Geheimdiensten einen Anschlag plante und durchführte, dass also dieser Mann ausgerechnet von der zuständigen Ausländerbehörde Bielefeld hätte gestoppt werden können?

Was wirklich hilft, ist bekannt, aber nicht populär

Während also die Republik aufgeregt über Abschiebungen diskutiert, denen sich Terroristen immer zu entziehen wissen werden, oder über Klingenlängen und Messerverbotszonen, an die Terroristen sich qua Selbstverständnis nicht halten, scheut die Politik eine Debatte darüber, was wirklich nötig ist.

Allen Beteiligten ist seit Jahren bekannt, dass die deutschen Sicherheitsbehörden im Netz, wo ein Großteil der Radikalisierung vonstattengeht, praktisch blind sind.

Dass ihnen die Befugnisse, die Experten und die Technik fehlen, um effektive Terrorabwehr zu gewährleisten. Dass sie auf die Hilfe ausländischer Dienste angewiesen sind, um Anschlagspläne frühzeitig zu erkennen. Dass die Polizei in vielen Bundesländern kaputt gespart ist.

Die Opfer von Solingen spielen keine Rolle mehr

Wer Terror verhindern will, muss in Terrorabwehr investieren. Und in Prävention, damit jene, die offen für solche Ideologien sind und zu Gewalt neigen, rechtzeitig identifiziert werden können.

Auch, damit jene, die abzurutschen drohen, rechtzeitig Hilfe bekommen. Und sicher, letztlich können auch konsequente Abschiebungen von Straftätern Teil eines Gesamtkonzeptes sein, allein, weil sie notwendiges Vertrauen in den Rechtsstaat wiederherstellen.

Die demokratischen Parteien aber versuchen bisher nur schnelle, laute Antworten zu liefern auf die drängenden Fragen, die Bürgerinnen und Bürger nach dem Anschlag von Solingen zu Recht stellen.

Zu groß ist die Angst, dass der Anschlag der AfD bei den anstehenden Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen zusätzliche Stimmen bringen könnte.

Warum aber die unterkomplexen Konzepte der AfD plötzlich gut sein sollen, nur weil sie von demokratischen Parteien in einem weniger reißerischen Ton vorgetragen werden, das erschließt sich nicht.

Die Opfer von Solingen spielen in all diesen Überlegungen längst keine Rolle mehr. Wichtige Fragen der inneren Sicherheit verschwinden hinter einem Wust von Populismus. Das ist der eigentliche Skandal.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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