Politische Debatte nach Messerattacke von Solingen: Merz kritisiert „naive Einwanderungspolitik“, Spahn fordert Grenzschließungen

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Update Politische Debatte nach Messerattacke von Solingen: Merz kritisiert „naive Einwanderungspolitik“, Spahn fordert Grenzschließungen

Die Herkunft des Tatverdächtigen von Solingen befeuert die Debatte über die deutsche Migrationspolitik. Die Union kritisiert Kanzler Scholz scharf. Dieser reist heute an den Ort des Anschlags.

Nach dem tödlichen Messerangriff von Solingen werden Forderungen nach härteren Abschieberegeln und einem strengeren Waffenrecht lauter. Zugleich wird Aufklärung verlangt, weshalb die Behörden im vergangenen Jahr mit dem Versuch scheiterten, den syrischen Asylbewerber abzuschieben, der so überhaupt erst den Anschlag mit drei Todesopfern am Freitagabend verüben konnte.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will heute Morgen in Solingen mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) der Opfer der Messerattacke gedenken. Anschließend sind ein Gespräch mit Einsatzkräften und ein gemeinsames Pressestatement geplant.

Unions-Fraktionsvize Jens Spahn (CDU) sprach sich für Grenzschließungen aus, um irreguläre Migration zu stoppen. „Es kommen seit Jahren jeden Tag hunderte junge Männer aus Syrien und Afghanistan nach Deutschland und Europa. Das muss endlich enden“, sagte Spahn der „Rheinischen Post“.

Der Anschlag von Solingen zeige erneut „schmerzhaft die Konsequenzen dieses Kontrollverlustes“, sagte Spahn. „Die deutschen Grenzen müssen für irreguläre Migration geschlossen werden.“

CDU-Chef Friedrich Merz nahm den Anschlag und die bisherigen Ermittlungsergebnisse zum Anlass für eine Aufforderung zur Kehrtwende in der Migrationspolitik.

„Wenn Solingen jetzt für die Koalition nicht der Wendepunkt ist, dann weiß ich nicht, was noch passieren muss, damit hier einige Leute endlich mal zur Besinnung kommen“, sagte Merz im ARD-Brennpunkt. Zudem forderte er, „dass wir aufhören, eine naive Einwanderungspolitik zu machen“.

Nicht die Messer sind das Problem, sondern die Personen, die damit herumlaufen.

Friedrich Merz, CDU-Vorsitzender

Zuvor hatte Merz einen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geschrieben. Darin forderte er die Bundesregierung zu einem Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan auf. „Nach dem Terrorakt von Solingen dürfte nun endgültig klar sein: Nicht die Messer sind das Problem, sondern die Personen, die damit herumlaufen. In der Mehrzahl der Fälle sind dies Flüchtlinge, in der Mehrzahl der Taten stehen islamistische Motive dahinter“, schrieb Merz am Sonntag in seinem E-Mail-Newsletter „MerzMail“.

Merz fordert die Bundesregierung zu einer Kehrtwende in der Migrationspolitik auf.

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SPD-Chefin Saskia Esken wies Merz’ Forderung nach einem Aufnahmestopp zurück, da ein solcher Schritt „mit unseren Gesetzen auch nicht vereinbar ist, nicht mit der Europäischen Flüchtlingskonvention, nicht mit unserer Verfassung“. Schwere Straftäter und islamistische Gefährder müssten aber in diese Länder abgeschoben werden können.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte in der ARD, Straftäter müssten sofort in Arrest genommen werden und das Land verlassen, insbesondere in Richtung Syrien und Afghanistan. Der Polizei müssten mehr Möglichkeiten für Kontrollen gegeben werden.

Tatverdächtiger Syrer sollte abgeschoben werden

Wie der „Spiegel“ berichtete, kam der Verdächtige Ende 2022 nach Deutschland und stellte einen Antrag auf Asyl. Den Sicherheitsbehörden war er demnach bislang nicht als islamistischer Extremist bekannt. Diese Informationen wurden der Deutschen Presse-Agentur bestätigt.

Der mutmaßliche Täter des Messerangriffs von Solingen wurde per Helikopter nach Karlsruhe gebracht.

© dpa/Uli Deck

Der Asylantrag des Tatverdächtigen wurde demnach abgelehnt. Deshalb sollte er im vergangenen Jahr nach Bulgarien abgeschoben werden. Über das Land war er in die Europäische Union eingereist. Da er zwischenzeitlich allerdings in Deutschland abgetaucht sei, sei die Abschiebung vorerst hinfällig gewesen, schrieb die „Welt“.

NRW-Regierung kündigt genaue Untersuchungen an

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Wüst forderte eine Aufarbeitung auch innerhalb der Behörden. „Da gibt es eine Menge Fragen. Es sind auch eine Menge Behörden involviert. Das muss aufgeklärt werden, und da muss Klartext gesprochen werden, wenn da etwas schiefgelaufen ist“, sagte er in der „Aktuellen Stunde“ im WDR Fernsehen.

Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, gibt ein Pressestatement vor Journalisten in der Staatskanzlei.

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Im ZDF-„heute journal“ sagte Wüst: „Wenn da irgendwo was schiefgelaufen ist, bei welcher Behörde auch immer, ob vor Ort in Bielefeld, in Paderborn oder bei Landes- oder Bundesbehörden, dann muss die Wahrheit da auf den Tisch.“

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte in der ARD-Sendung „Caren Miosga“, untergetaucht im rechtlichen Sinne sei der mutmaßliche Attentäter nicht. Denn er sei an dem Tag, an dem er abgeholt werden sollte, schlicht nicht dagewesen. „Ansonsten war er immer und häufig in dieser Einrichtung.“ Er stelle sich auch viele Fragen, ob diese Verfahren richtig sind, ausreichend sind, übertrieben sind, sagte Reul.

Wüst fordert „entschlossenes Handeln gegen irreguläre Migration“

Bereits am Samstag hatte Wüst ein entschlossenes Handeln gegen irreguläre Migration und Islamismus gefordert. „In Solingen hat es zum wiederholten Mal einen Menschen gegeben, der als vermeintlich Schutzsuchender zu uns gekommen ist, unsere Menschlichkeit ausgenutzt hat, um ein unmenschliches Verbrechen zu begehen. Ein konsequentes Vorgehen gegen irreguläre Migration und Islamismus ist daher jetzt der notwendige Kampf zur Verteidigung unserer liberalen Demokratie“, sagte Wüst nach einer außerordentlichen Kabinettssitzung in Düsseldorf.

Terrorakte wie in Solingen seien Ausdruck einer globalen Bedrohung. Nur über die von der Bundesregierung angekündigten Verschärfungen im Waffenrecht zu diskutieren, werde dem nicht gerecht. „Messerkriminalität ist das eine. Gezielte Anschläge, die von radikalisierten Tätern im Glauben an eine abartige Ideologie begangen werden, sind etwas anders“, sagte Wüst. „Wir müssen die Dinge klar beim Namen nennen.“

Forderungen nach Maßnahmen gegen islamistischen Terror

SPD-Chef Lars Klingbeil forderte ein Maßnahmenpaket gegen islamistischen Terrorismus. „Wir erleben immer wieder, dass sich Täter über wenige Monate im Internet radikalisieren“, sagte Klingbeil den Funke-Zeitungen. AfD-Chefin Alice Weidel schrieb bei X, das Problem müsse „an den Wurzeln gepackt werden“. Nötig sei eine „Migrationswende sofort“.

Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) sagte in Flensburg mit Blick auf die Migrationsdebatte: „Für Mörder, Terroristen und Islamisten kann es keine Toleranz geben.“ Handle es sich etwa um Asylsuchende, hätten diese damit in Deutschland „den Schutzanspruch verloren“.

Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundeswirtschaftsminister, gibt ein Statement zu dem Messerangriff von Solingen ab.

© dpa/Birgitta von Gyldenfeldt

Habeck forderte auch eine Verschärfung des Waffenrechts. Es müsse „mehr Waffenverbotszonen und strengere Waffengesetze“ geben. „Niemand muss im öffentlichen Räumen in Deutschland Stich- oder Hiebwaffen tragen“, sagte der Grünen-Politiker. „Wir leben nicht mehr im Mittelalter.“

CSU: „Knallhart-Plan“ für Migrationspolitik

Auch CSU-Chef Markus Söder sieht Defizite bei den Behördenbefugnissen. „Wir haben nicht die richtigen Instrumente, um gegen Gewalt und auf Gewalt zu reagieren“, sagte er in der ARD. „Beim Auto werden Sie nämlich kontrolliert, anlasslos geht das. Bei Fußgängerzonen nicht.“

Die CSU im Bundestag drückt nach dem tödlichen Messerangriff von Solingen bei der von ihr geforderten Verschärfung der Migrationspolitik aufs Tempo. „Das Sicherheitsinteresse unserer Gesellschaft muss oberste Prämisse sein und nicht der Schutz von Kriminellen und Gefährdern“, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt dem Nachrichtenportal „t-online“. Fehle der Ampel wegen der Grünen oder anderer Ideologen die Kraft für den notwendigen Kurswechsel, „stehen wir bereit, die parlamentarischen Mehrheiten für die notwendigen Entscheidungen mit zu erreichen“, fügte er hinzu.

Teilnehmer einer Demonstration, die von linken Organisationen initiiert wurde, stehen in der Solinger Innenstadt.

© dpa/Gianni Gattus

Der Vorsitzende der CSU-Abgeordneten im Bundestag fasst in einem auch der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vorliegenden „5-Punkte-Knallhart-Plan für Konsequenz und Härte in der Migrationspolitik“ weitgehend bekannte Forderungen seiner Partei zusammen. Dazu gehören konsequente Abschiebungen, Aufenthaltsverbote, Passentzug und Abschiebehaft.

Innenministerin Faeser kündigte an, der Staat werde „die islamistische Bedrohung konsequent bekämpfen“. „Wir beraten intensiv, welche Instrumente wir zur Bekämpfung von Terror und Gewalt weiter schärfen müssen und welche Befugnisse unsere Sicherheitsbehörden in diesen Zeiten brauchen, um unsere Bevölkerung bestmöglich zu schützen.“

Innenministerin Nancy Faeser kündigt „konsequente“ Maßnahmen an.

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Faeser hatte bereits vor dem Anschlag in Solingen einen Gesetzesvorschlag zur Ausweitung von Messerverboten angekündigt. Geplant war, weitere Messertypen zu verbieten, mehr Waffen- und Messerverbotszonen einzuführen und der Polizei mehr Kontrollen zu ermöglichen.

Bisher positionierte sich vor allem die FDP in der Koalition dazu kritisch. Nun deutete FDP-Justizminister Marco Buschmann Zustimmung an. „Nach Solingen müssen alle Themen auf den Tisch: Dabei ist das Waffengesetz kein Tabu“, schrieb Buschmann am Sonntag bei X.

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier befürwortete einen besseren Schutz vor Angriffen. Im ZDF forderte er mehr Personal für die Sicherheitsbehörden, bei terroristischer Gefahr sei aber auch eine Ausweitung der Befugnisse etwa des Bundeskriminalamts denkbar.

Die Debatten über die Lehren aus dem Anschlag wurden auch vor dem Hintergrund der Landtagswahlen am kommenden Sonntag in Thüringen und Sachsen geführt. Einer Insa-Umfrage für die „Bild am Sonntag“ zufolge könnte die AfD in beiden Bundesländern stärkste Kraft werden. In Sachsen kommt sie demnach auf 32 Prozent, in Thüringen lag sie bei 30 Prozent.

Der Bundespräsident rief nun zum gesellschaftlichen Zusammenhalt auf. „Es kommt jetzt darauf an, dass wir uns in Deutschland nicht auseinander dividieren und spalten lassen“, sagte Steinmeier. „Wir dürfen Hass und Hetze, wie sie jetzt von einigen geäußert werden, keinen Raum geben.“ (AFP, dpa)

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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