Baerbock und Brüssel: Ein Gerücht beschäftigt die Grünen

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Baerbock und Brüssel: Ein Gerücht beschäftigt die Grünen

Folgt die Außenministerin Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin? Ihr Umfeld dementiert, spannender dürfte eine andere Personalie werden.

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Hinter Annalena Baerbock sind die Sterne der Europaflagge grün eingefärbt. Auf dem kleinen Parteitag der Grünen am Sonnabend hält die Außenministerin gleich zu Beginn ihrer Rede ein flammendes Plädoyer für die EU. „Was für unglaubliches Glück haben wir, dass wir in unserer heutigen Zeit in dieser Freiheits-, in dieser Friedensunion leben können“, sagt Baerbock und spricht über die Versöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg vom „Wunder Europas“.

Eine Woche vor der Europawahl ist die Wertschätzung für die EU bei Baerbock nicht nur Pflichtprogramm. Die 43-Jährige ist überzeugte Europäerin. Ihre Biographie ist davon geprägt: Einst hat sie Europarecht im Nebenfach studiert, war Büroleiterin einer grünen Europaabgeordneten, viele Jahre Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Europa bei den Grünen und im Vorstand der europäischen Grünen. Folgt nun etwa das nächste europäische Kapitel für Baerbock?

Das legen zumindest mehrere Berichte nahe, die über die politische Zukunft der Außenministerin spekulieren. Sie sei als mögliche Nachfolgerin von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) im Gespräch, heißt es in der „BILD“, die von einem „Mega-Gerücht“ schreibt.

Absoluter Blödsinn, heißt es in der Partei und im Umfeld Baerbocks. Dort hält man die Gerüchte für einen verdeckten Angriff auf von der Leyen, die wegen ihrer klimapolitischen Agenda selbst in ihrer eigenen Partei nicht unumstritten ist. Tatsächlich gibt es einige sachliche Gründe, die gegen Baerbock sprechen.

Die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen muss um ihre Wiederwahl zittern.

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Die Grünen sind im EU-Parlament nur viertstärkste Fraktion. Dass man ihnen den mächtigsten Posten anträgt, scheint – angesichts des erwarteten Rechtsrucks – mehr als fraglich. Zudem wäre es unwahrscheinlich, dass sich die Staats- und Regierungschefs nach Ursula von der Leyen direkt wieder auf eine Deutsche einigen würden.

Doch auch bei den Grünen beobachtet man die Gerüchte genau, denn sollte von der Leyen nicht wieder Kommissionspräsidentin werden, wäre die Partei am Zug. Im Ampel-Koalitionsvertrag wurde schon 2021 festgehalten, dass die Grünen dann ein Vorschlagsrecht für den deutschen EU-Kommissar hätten.

Wir werden sehen, wie die Dynamiken nach der Wahl sind.

Die Spitzenkandidatin der Grünen, Terry Reintke, scheint nicht abgeneigt, EU-Kommissärin zu werden.

Für diesen Fall scheint man sich in der Partei noch nicht festgelegt zu haben. Zahlreiche Namen kursieren, etwa der von EU-Spitzenkandidatin Terry Reintke. „Es gibt Fragen, die diskutiert man im Wahlkampf, und es gibt Fragen, die diskutiert man nach der Wahl. Wir werden sehen, wie die Dynamiken nach der Wahl sind“, sagte die Parteilinke Reinkte dem Tagesspiegel dazu vor einigen Tagen.

Doch die amtierende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament scheint keineswegs gesetzt. Denn die Entscheidung für den Posten dürfte in Berlin fallen. Dort sind vor allem zwei Staatssekretäre von Wirtschaftsminister Robert Habeck im Fokus: Franziska Brantner und Sven Giegold.

Anton Hofreiter hat wohl keine Chance

Beide kennen als frühere Europaabgeordnete den Betrieb in Brüssel gut und bringen die nötige Regierungserfahrung mit. Giegold, der einst die globalisierungskritische NGO Attac mitbegründete und lange gegen Freihandelsabkommen wie TTIP kämpfte, wird dem linken Parteiflügel zugerechnet und hat sich als Finanzexperte einen Namen gemacht. Brantner ist im Realo-Flügel bestens vernetzt und arbeitet im Wirtschaftsministerium an einer unabhängigeren Rohstoffstrategie und Beschaffung. Seit 2019 ist sie zudem im Vorstand der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung.

Doch ob ein Postenwechsel ansteht, kann ernsthaft wohl erst ab dem Wahltag spekuliert werden. Klar scheint aber, dass der Vorsitzende des Europaausschusses, Anton Hofreiter, chancenlos ist. Der frühere Fraktionschef der Grünen im Bundestag war bei der Besetzung des Kabinetts überraschend leer ausgegangen. Doch wegen seiner unverhohlenen Kritik an der Ukraine-Politik des Kanzlers, scheint er sich selbst aus dem Rennen genommen zu haben. Dass Olaf Scholz einen seiner schärfsten Kritiker nominiert, scheint ausgeschlossen.

Anton Hofreiter fordert seit Monaten mehr Waffen für die Ukraine. Macht ihn das zum aussichtslosen Kandidaten?

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Dabei lief auch in der Vergangenheit die Besetzung der Brüsseler Kommissarsposten keinesfalls immer einvernehmlich ab. So kam es 2008 zum offenen Streit zwischen Union und SPD darüber, wer die Nachfolge des EU-Kommissars Günter Verheugen (SPD) antreten darf. Union und SPD bildeten damals eine große Koalition, und beide Seite beanspruchten für sich das Recht, den Posten zu besetzen.

Das Hickhack um die Verheugen-Nachfolge vor eineinhalb Jahrzehnten zeigt: Wer den Kommissarsjob in Brüssel erhält, muss nicht unbedingt über einen hervorragenden Draht zum Kanzler verfügen. Denn dass die damalige Regierungschefin Angela Merkel (CDU) den seinerzeitigen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger als Verheugen-Nachfolger aus dem Hut zauberte, war eine allgemeine Überraschung. Das Verhältnis zwischen Merkel und Oettinger galt wegen der umstrittenen Trauerrede des baden-württembergischen Ministerpräsidenten für dessen Amtsvorgänger Hans Filbinger, einen früheren NS-Marinerichter, als angespannt.

Die Nominierung dauert oft lange

Merkel nominierte Oettinger dennoch für den Brüsseler Posten ab Anfang 2010 – unter anderem deshalb, weil sie nicht auf die seinerzeitige Familienministerin von der Leyen verzichten wollte. Anders als Oettinger hatte von der Leyen damals gegenüber der Kanzlerin ihr Interesse an dem Amt in Brüssel bekundet.

Auch der Benennung des SPD-Mannes Verheugen zum EU-Kommissar ging zehn Jahre zuvor ein heftiges Gezerre voraus. Etwas entschärft wurde der Parteienstreit im Jahr der Europawahl von 1999 immerhin dadurch, dass Deutschland damals noch zwei Personen in die Kommission schicken konnte – ein Umstand, der sich erst mit der EU-Erweiterung von 2004 änderte.

In Berlin regierte seinerzeit Rot-Grün. Der damalige Kanzler Gerhard Schröder (SPD) fand es gut, dass die Grünen die Berliner Umweltsenatorin Michaele Schreyer vom realpolitischen Flügel der Öko-Partei für Brüssel nominierten. Bei der Kandidatensuche in den eigenen Reihen taten sich die Sozialdemokraten allerdings sehr schwer. Verheugen, damals Staatsminister im Auswärtigen Amt unter Joschka Fischer (Grüne), kam am Ende zum Zuge.  Zuvor war spekuliert worden, dass die SPD-Frau Monika Wulf-Mathies, die sich als Vorsitzende der Gewerkschaft ÖTV einen Namen gemacht hatte, eine zweite Amtszeit in Brüssel erhalten würde.

Bei den Grünen will man sich vor dem Wahltag nicht in Personal-Debatten verzetteln. Sollte es einen Kommissionsposten für die Partei geben, käme es wohl auch auf das Ressort an. Finanzen oder Haushalt kämen für den größten EU-Mitgliedsstaat wohl in Betracht – oder das Amt des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik. Der Job würde zum Profil von Annalena Baerbock passen.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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