Eine Frage des Geldes: Deutschlands wenige Olympia-Medaillen sind kein Zeichen des Niedergangs

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Eine Frage des Geldes: Deutschlands wenige Olympia-Medaillen sind kein Zeichen des Niedergangs

Das schwache Ergebnis bei Olympia gilt einigen als Ausdruck für eine allgemeine Malaise. Ein Kurzschluss. Vielmehr sollten wir hinterfragen, welche Bedeutung wir Medaillen überhaupt beimessen.

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Ein wenig haben Deutschlands Athleten die Bilanz zum Ende der Olympischen Spiele noch aufgebessert. Doppeltes Gold für die Kanuten, die 17-jährige Darja Varfolomeev holte als erste Deutsche Gold in der Rhythmischen Sportgymnastik und Springstar Malaika Mihambo schaffte es trotz der Folgen ihrer Covid-Erkrankung auf den Silberrang. Über Bronze freuten sich die Kajak-Fahrerinnen Paszek und Hake und auch die deutsche 4×100-Meter-Staffel machte am Freitagabend überraschend den dritten Platz. Am Gesamtbild ändern diese Erfolge allerdings kaum etwas. Schon zum Abschlusswochenende der Spiele in Paris steht fest: Team Deutschland verfehlt sein Ziel, mindestens 37-mal Edelmetall wie in Tokio zu gewinnen, bei weitem.

Schon erklären die ersten, das schwache Abschneiden sei das Ergebnis eines Deutschlands im Niedergang. Wie treffend scheint da der Medaillenspiegel als Ausdruck der deutschen Malaise: Wer kein Gold gewinnt, kann auch sonst nichts reißen. „Wir haben den Leistungsgedanken in Deutschland in den letzten Jahren verloren“, moniert Franziska van Almsick. Und klar, wenn es schon bei den Bundesjugendspielen keine Ehrenurkunde mehr gibt, wo soll da noch der Hunger nach Erfolg herkommen. Nur: Ist das wirklich so?

Sportliche Ergebnisse werden oft als Spiegel des gesellschaftlichen Zustands betrachtet. Als die deutsche Herrennationalmannschaft die Fußball-WM in Brasilien gewann, galt das vielen als perfekte Analogie zu einem Land, das als Exportweltmeister einen Wirtschaftsboom erlebte.

Das Ausscheiden in den WM-Vorrunden 2018 und 2022 hingegen sollte als Beweis dafür dienen, dass es mit Deutschland nun bergab gehe. Als hinge die Leistung von elf Spielern auf dem Platz direkt von der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts und der Arbeitslosenquote, der Migrationsdebatte oder den Diskussionen um Lebensstile ab.

Bei Olympia zeigt sich die gleiche Dynamik. Schon nach der historisch niedrigen Goldausbeute in Tokio mussten die Athleten als Kronzeugen für den deutschen Niedergang herhalten. Damals wie heute ein geistiger Kurzschluss.

Was nicht heißt, dass es gar keinen Zusammenhang zwischen Politik, Gesellschaft und sportlichem Erfolg gibt. Die Beziehung ist nur einfach eine andere.

Vielleicht übt eine Karriere als Spitzensportler in einer der vielen olympischen Nischensportarten einfach keinen Reiz mehr aus.

Christian Latz

Vielleicht übt eine Karriere als Spitzensportler in einer der vielen olympischen Nischensportarten heutzutage einfach keinen Reiz mehr aus. Sport wird ja weiterhin getrieben. Allein die Sportarten haben sich geändert, genau wie die Weise, wie sie ausgeübt werden.

In einer zunehmend individualistischen Leistungsgesellschaft liegt für viele der Fokus auf der persönlichen Fitness. Wer Laufen, Radfahren oder Klettern geht, macht das meist, wann es in den eigenen Zeitplan und zum restlichen Leben passt. Nicht, wie es Vereine und Verbände vorgeben.

Zudem soll Sport Spaß machen. Wer will sich dabei schon über die Tartanbahn quälen? Erst recht, wenn der finanzielle Anreiz selbst für Profis in vielen der kleineren Sportarten im Vergleich zur Schinderei überschaubar ist.

Es hängt am Geld – und das bewirkt anderswo mehr

Denn am Ende hängt es eben auch am Geld. Dass andere Nationen im Medaillenspiegel besser abschneiden, liegt nicht zuletzt daran, dass dort auch viel mehr in den Leistungssport investiert wird.

Aber ist es das auch wert? Was hat eine Gesellschaft tatsächlich von ein paar Medaillen mehr oder weniger? Im Kalten Krieg galten sie noch als wichtige Währung im Kampf der Systeme. Sind diese Zeiten nicht lange vorbei?

Die Olympischen Spiele waren auch dieses Mal ein großes Fest, das Menschen rund um den Globus Freude bereitet hat. Für wen außer Athleten und Trainer aber ist es nach ein paar Tagen noch wichtig, an wen Gold, Silber und Bronze gingen?

Wollte Deutschland trotzdem wieder weiter oben stehen im Medaillen-Ranking, wäre das möglich. Mit einer klareren Strategie in der Sportpolitik, vor allem aber mit mehr Geld. Spätestens hier steht angesichts leerer Kassen die Frage im Raum, ob dieses Geld den Menschen im Land woanders nicht besser und vor allem nachhaltiger zugutekommt. Wenn Deutschland heute bewusst andere Prioritäten setzt, ist das gar nicht so verkehrt.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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