Ukrainischer Schwimmstar Maksym Krypak : „Ich habe Angst um mein Leben“

© imago images/ZUMA Wire

Ukrainischer Schwimmstar Maksym Krypak : „Ich habe Angst um mein Leben“

Als der Angriffskrieg begann, legte Maksym Krypak seine sportliche Karriere auf Eis. Im Interview spricht er über die Lage in Charkiw, seine Verantwortung als Sportstar und die Sehnsucht nach dem Schwimmen.

Von Helen Päßler

Herr Krypak, bei den Paralympics vor drei Jahren in Tokio waren Sie der erfolgreichste Athlet. Im Schwimmen gewannen Sie für die Ukraine fünfmal Gold, einmal Silber und einmal Bronze. Werden Sie das in Paris wiederholen können?
Nein, denn ich habe meine Karriere auf Eis gelegt. Nach Tokio brauchte ich eine sportliche Pause – und dann kam 2022 der Krieg. Für mich war sofort klar, dass ich meinem Land helfen möchte und in Charkiw bleibe.

Haben sich weitere Athleten Ihrer Entscheidung angeschlossen?
Soweit ich weiß, bin ich der Einzige, der seine Karriere aufgrund des Kriegs beendet und stattdessen mit der Freiwilligenarbeit begonnen hat.

Einige Sportler meldeten sich freiwillig und trainierten weiter. Sie hielten sich allerdings eher in den ruhigeren Gebieten der Ukraine auf. Diejenigen, die sich nicht für die Paralympics qualifiziert haben, kehren nun nach und nach zurück. Viele von ihnen engagieren sich nun ebenfalls ehrenamtlich.

Wie wurde Ihre Entscheidung von Ihrem Umfeld aufgenommen?
Meine Eltern haben sie gleich akzeptiert. Vom Verband und meinen Trainern gab es in den ersten zwei Jahren schon einen gewissen Druck, dass ich meine Karriere fortsetzen solle. Sie haben versucht, mich zu überreden, ein sicheres Leben im Ausland zu führen und weiter für Paris zu trainieren. Sie waren der Meinung, dass ich damit mehr für mein Land tun kann. Trotz der Differenzen sind wir im Guten auseinandergegangen.

Warum sind Sie nicht auf diese Versuche eingegangen?
Es würde sich falsch anfühlen, unter diesen Umständen ein angenehmes Leben in einem 5-Sterne-Hotel zu führen, während in meiner Heimat der Krieg tobt. Für mich war mein ehrenamtliches Engagement wichtiger als das Training. Seit dem Ausbruch des Krieges arbeite ich als Freiwilliger für die Menschen in Charkiw. So habe ich mehr Leid gesehen als mir lieb ist.

Charkiw gilt als eine der am meisten umkämpften Städte der Ukraine. Wie sieht das Leben vor Ort aktuell aus?
Charkiw ist ausgestorben. Viele Familien sind geflohen. Mit ihnen ist auch das Leben aus der Stadt gewichen. Es sind nur noch Menschen in der Stadt, die keine Möglichkeit haben zu gehen. Täglich gibt es Raketenangriffe. Humanitäre Hilfe erreicht uns häufig nicht. Es fehlt an allem. Nahrung, Hygieneartikel, medizinische Versorgung. Zweimal am Tag wird der Strom für drei bis fünf Stunden abgeschaltet.

Bei den Sommerspielen in Tokio holte Maksym Krypak mehrere Medaillen.

© imago images/ZUMA Wire

In Charkiw hatte sich das Leben nach dem Angriff Russlands unter die Erde verlagert. Gibt es dieses unterirdische Leben bis heute?
Das erste halbe Jahr war die Metro voller Menschen, insbesondere Kinder hielten sich dort auf, aber es wird immer weniger. Es ist unmöglich, dauerhaft so zu leben. Die Stadt ist sehr bombardiert. Es wird immer gefährlicher und beängstigender, seine Wohnung überhaupt zu verlassen.

Wie gehen Sie mit der Situation um?
Ich habe Angst um mein Leben. Bereits dreimal hatte ich großes Glück. Ich war an Orten, an denen nur Minuten später eine Bombe eingeschlagen ist. Es war wie eine Bestimmung, dass ich nicht getroffen wurde. Ich habe viele Freunde an der Front verloren. Aber ich bleibe optimistisch. Wir dürfen uns nicht unterkriegen lassen, sonst verlieren wir den Krieg.

Als Leistungssportler mussten Sie sehr diszipliniert sein. Hilft Ihnen das heute in irgendeiner Weise?
Beim Schwimmen war die Kontrolle meiner Emotionen das wichtigste für mich. 22 Jahre habe ich gelernt, mich zu kontrollieren. Aber heute fällt es mir schwer. Es ist kaum möglich, alles zu verarbeiten. Insbesondere, wenn ich an geliebte Menschen denke, die nicht mehr bei uns sind.

Woraus ziehen Ihre Motivation, jeden Tag wieder aufzustehen?
Mein Land! Ich liebe mein Land. Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Wir alle schätzen, was wir haben und kämpfen dafür, es zu behalten. Der Krieg ließ mich meine Stadt noch mehr lieben als zuvor. Außerdem motiviert es mich zu sehen, dass ich mit meiner Arbeit etwas bewirke. Jeden Tag sehe ich Menschen, die zu uns kommen, weil sie Hilfe brauchen. Ihre Dankbarkeit zeigt mir, dass ich das Richtige tue.

Menschen mit einer Behinderung werden nicht zum Kriegsdienst eingezogen. Hatten Sie jemals den Wunsch, selbst an der Front zu kämpfen?
Ja, ich habe auch versucht mich anzumelden, aber wurde abgewiesen. In den ersten zwei Wochen nach Kriegsbeginn war der Zustrom an Männern, die sich freiwillig meldeten, sehr groß.

Wegen meiner Behinderung wurde ich nicht genommen. Stattdessen wendete ich mich der Freiwilligenarbeit zu. Nach einiger Zeit war ich so stark eingebunden, dass es mir nicht mehr möglich erschien, es erneut beim Militär zu versuchen.

Ich kann meinen Namen gut dafür einsetzen, die notwendige Hilfe zu beschaffen.

Maksym Krypak 

Fühlen Sie sich in dieser Rolle wohl?
Natürlich ist es nicht das gleiche, wie an der Front zu kämpfen, aber dennoch eine sehr wichtige Arbeit. Ich kann mich darin selbst verwirklichen. Dennoch bedeutet diese Rolle auch eine enorme Verantwortung. Sie erzeugt Druck, keine Fehler zu machen.

Sie sind eine Person des öffentlichen Lebens.
Ich kann meinen Namen gut dafür einsetzen, die notwendige Hilfe zu beschaffen. In Kriegszeiten ist es meist schwierig, herauszufinden, wer vertrauenswürdig ist. Gerade ausländische Unternehmen schicken ihre Hilfe gern direkt an Personen, von denen sie wissen, dass sie ihnen vertrauen können – und die außerdem wissen, was mit den Gütern zu tun ist. So konnte ich meine Bekanntheit im Land schon einsetzen.

Worin genau besteht Ihre Tätigkeit?
2022 gründete ich ein Rehazentrum, um Menschen mit Behinderungen eine Rückkehr ins Leben zu ermöglichen. Dort helfe ich heute noch aus.

Außerdem arbeite ich für Aquarena Charkiw. Aquarena ist eigentlich ein Sportzentrum, kümmert sich seit dem Krieg aber auch um humanitäre Hilfe. Dort bin ich für die Akquise der Hilfsgüter zuständig. In meiner Freizeit trainiere ich zudem Kinder im Schwimmen, um sie zumindest kurzzeitig vom Krieg abzulenken.

Herr Krypak, vermissen Sie das Schwimmen?
Ja, ich vermisse es sehr, vor allem die Disziplin und die Motivation, ein gutes Ergebnis zu erzielen. Ich könnte zwar auch hier in Charkiw trainieren, aber dazu bin ich mit dem Krieg einfach nicht in der Stimmung.

Können Sie sich eine Rückkehr in den Sport vorstellen?
Nicht, solange der Krieg anhält. Nach dem Krieg schaue ich weiter. Niemand weiß, wann er enden wird und vor allem, was mit der Ukraine passieren wird. Wahrscheinlich wird selbst nach dem Ende der Kampfhandlungen eine Rückkehr ins normale Leben noch nicht möglich sein. Eines Tages würde ich dennoch gern wieder zum Schwimmen kommen. Vielleicht nicht mehr als Athlet, aber als Trainer.

Zur Startseite

  • Krieg in der Ukraine
  • Unsere Themenseite zum russischen Angriffskrieg

showPaywall:falseisSubscriber:falseisPaid:showPaywallPiano:false

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

Comments (0)
Add Comment