© dpa/Bernd von Jutrczenka
Bisher Luftpistole statt Bazooka: Olaf Scholz braucht jetzt einen Aufschwung
Seit drei Jahren stagniert die Wirtschaft. Finanzpolitische Impulse sind nötig, aber wegen der FDP nicht möglich. Der Ampelkoalition bleibt nur das Lösen bürokratischer Fesseln.
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Weiß Olaf Scholz mehr als das Volk? Kann der Bundeskanzler in die Zukunft sehen? Wir in Deutschland hätten uns aufs Neue auf den Weg gemacht, sagt Scholz. Dem Aufschwung entgegen.
Man muss nur feste daran glauben und Zuversicht zeigen. Wird ja auch Zeit: Seit drei Jahren stagniert die Wirtschaft, seit knapp drei Jahren regiert die Ampel.
Der Bundeskanzler habe eine eigene Sicht auf die Dinge, wundert sich Handwerkspräsident Jörg Dittrich, der für eine Million Betriebe mit fünfeinhalb Millionen Beschäftigten spricht. Die Stimmung ist mies im Handwerk, in der Industrie auch. Die Geschäfte laufen schlecht, und die Politik liefert nicht nur keine Impulse, sondern macht den Unternehmern das Leben schwer.
Mit einem „Wachstumschancengesetzchen“ versuche die Regierung, die Wirtschaft unter Dampf zu setzen, lästert Industriepräsident Siegfried Russwurm. Die Industrie hat einen Investitionsbedarf für die öffentliche Infrastruktur, vorrangig Verkehr und Bildung, von 400 Milliarden Euro in den kommenden zehn Jahren ausgerechnet.
Doch Scholz, als Finanzminister in der Coronazeit mit Bazooka unterwegs, läuft als Kanzler mit der Luftpistole herum. Ohne eine Lockerung der Schuldenbremse für Zukunftsinvestitionen wird das nichts.
Die Dekarbonisierung der Industrie bedarf einer staatlichen Anschubfinanzierung, die Wohnungsnot verschwindet nicht von selbst und die Herausforderungen der Demografie – menschenwürdige und bezahlbare Pflege, Modernisierung des Bildungssystems – geht die Politik halbherzig an. Andere machen das anders.
Die USA wachsen, Deutschland stagniert
China fördert Zukunftsindustrien so stark, dass junge Firmen wie BYD oder Polestar inzwischen Mercedes und BMW, VW und Audi Marktanteile abjagen. Die USA modernisieren mit enormen Mitteln ihre Industrie und stoßen Investitionen an. Alles auf Pump, ohne Schuldenbremse. Die amerikanische Wirtschaft wächst in diesem Jahr um 2,5 Prozent, die deutsche um 0,1 Prozent.
Ohne Wachstum spitzen sich Verteilungskonflikte zu und bleiben Aufgaben liegen, deren Lösung zukünftig teurer wird. Mit einer „modernen Angebotspolitik“ möchte Scholz in den nächsten Wochen Grundlagen legen für Wachstum und verspricht Tempo.
65Milliarden Euro kosten die Wirtschaft die Ausgaben für Bürokratie – pro Jahr.
Wenn sich die Ampelkoalition auf bessere Abschreibungsbedingungen und Forschungsförderung verständigen könnte, wäre das ein Signal, das beim Lösen der Investitionsbremse helfen kann. Nach aktuellem Prognosestand fallen die Investitionen in diesem Jahr um zwei Prozent.
Deutschland gehen die Unternehmer aus
Bürokratieabbau belastet keinen Haushalt und würde schnell wirken, wirbt die Wirtschaft für weniger Vorschriften. Der nationale Normenkontrollrat veranschlagt die Bürokratiekosten für die Unternehmen bei 65 Milliarden Euro – im Jahr. Allein im Gastgewerbe gehen 2,5 Prozent des Umsatzes der Hotels und Restaurants für Berichts- und Nachweis- und Meldepflichten sowie sonstige staatliche Vorgaben drauf.
Bürger und Betriebe brauchen Behörden, die sich als Dienstleister verstehen, doch das ganze Land verläuft sich im Regulierungsdschungel.
Alfons Frese, Tagesspiegel-Wirtschaftsredakteur
Fast ein Drittel der jungen Meisterinnen und Meister scheut die Selbstständigkeit, weil sie Angst haben vor der Bürokratie. Angesichts der nicht geklärten Nachfolge im Mittelstand, dem Herz der Wirtschaft, entsteht eine neue Variante des Arbeitskräftemangels: Deutschland gehen die Unternehmer aus.
Das „Bürokratieentlastungsesetz IV“ soll helfen. Es sieht eine Verkürzung der Aufbewahrungsfrist für Buchungsbelege von zehn auf acht Jahre vor. Und die Meldepflicht im Hotel gilt nur noch für ausländische Gäste.
Doch gut gemeint ist nicht gut gemacht. Mehr als 440 Maßnahmen hatten Wirtschaftsverbände vorgeschlagen, die Ampelregierung griff nur einige auf und springt wieder einmal zu kurz.
Die Regulierungsdichte in Deutschland und Europa – etwa die Hälfte der Regeln stammen aus Brüssel – ist nach Einschätzung der Industrie- und Handelskammern inzwischen das drängendste Problem der Firmen – vor Fachkräftemangel, Energiekosten, Steuern und Sozialabgaben.
Bürger und Betriebe brauchen Behörden, die sich als Dienstleister verstehen, doch das ganze Land verläuft sich im Regulierungsdschungel. Es wäre zu schön, wenn Olaf Scholz im Keller des Kanzleramts eine Sense fände, um eine Schneise zu mähen. Kostet doch nichts.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de