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Zum 70. Geburtstag von Gianna Nannini: Mit der Würde einer Stradivari

Zum 70. Geburtstag von Gianna Nannini: Mit der Würde einer Stradivari

© IMAGO/Avalon.red/IMAGO/Nicola Marfisi/AGF / Avalon

Zum 70. Geburtstag von Gianna Nannini: Mit der Würde einer Stradivari

In Deutschland gilt Gianna Nannini als „Rockröhre“, dabei hat der italienische Popstar Soul. Geburtsgrüße an eine Nationalikone, die sich niemals anpassen wird.

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In ihrem Alter wird man rasch als Altstar verbucht, doch Gianna Nannini ist auch nach fast fünf Jahrzehnten im Studio und auf der Bühne präsent. Im März hat sie ein neues Album veröffentlicht, ein Biopic über sie läuft seit Mai auf Netflix, und ab Herbst ist sie wieder auf Tour. Neun Konzerte allein in Deutschland, dazu elf Stationen in Italien und der Schweiz.

Am heutigen Donnerstag wird Gianna Nannini siebzig Jahre alt. Die Fragen zu ihrem Alter hat sie alle längst beantwortet, zum Auftakt dieser Tour und eigentlich schon anlässlich ihres Sechzigsten vor zehn Jahren: Wenn Mick Jagger, Jahrgang 1943, das könne, dann sie doch wohl auch. Mit ihm teile sie sich schließlich den Fitnesstrainer.

„Der Tod ist verpflichtend, aber das Alter ist freiwillig”, singt sie auf ihrem jüngsten Album, das sie in nicht ganz grammatischer Schreibweise „Sei nel l’anima“ genannt hat – eine Anspielung auf Soul, die Seele, die in Nanninis Muttersprache „anima“ heißt, und ein Wortspiel, das sich auch als Liebeserklärung lesen lässt: „Du bist in (meiner) Seele.“

Unvergessene WM-Hymne

Im Soul würden wohl die wenigsten Gianna Nannini auf Anhieb verorten. „La rocker“ nennt man sie in ihrer Heimat, in Deutschland klebt man der Frau mit der rauen Stimme gern das etwas abgegriffene Etikett „Rockröhre“ an. Was stimmt und nicht stimmt: Als Rockmusikerin wurde sie berühmt, aber in ihrer langen Karriere kannte Nannini keine Genregrenzen.

Zum 70. Geburtstag von Gianna Nannini: Mit der Würde einer Stradivari

Gianna Nannini und Edoardo Bennato singen während der Eröffnungszeremonie 1990 den WM Song „Un Estate Italiano“

© imago images/Independent Photo Agency/via www.imago-images.de

Ihre Wurzeln liegen im Soul und Jazz, sie nennt Etta James und Janis Joplin als Vorbilder, sie verarbeitete Volksmusik, auf ihrem neuen Album klingt Gospel an. Nicht einmal vor Schnulzen hat sie Angst, mit Italiens Pop-Queen Laura Pausini sang sie im Duett.

Nur einer ihrer größten Erfolge ging ihr zunächst gegen den Strich: „Zu kommerziell, überhaupt nicht mein Stil“, maulte sie, als man ihr, der damals wohl berühmtesten lebenden Italienerin, antrug, den offiziellen Song der Fußballweltmeisterschaft 1990 in Italien zu singen. Überzeugt habe sie ihr Vater, einst Präsident des Drittliga-Clubs in ihrer Heimatstadt Siena.

„Un’ estate italiana“, gesungen mit ihrem Musikerkollegen Edoardo Bennato, wurde ein Ohrwurm, auf den sie, so sagt sie, heute stolz sei. Der „italienische Sommer“ fiel trotzdem aus, Weltmeister wurde Deutschland.

Ihren frühesten und breiten Ruhm allerdings verdankt Nannini tatsächlich dem Rock. „America“ vom Album „California“ war 1979 ein Skandalerfolg. Sie feiert darin Masturbation, auf dem Cover hielt die New Yorker Freiheitsstatue statt der Fackel einen Dildo.

Drei Jahre später stieß sie in „Latin Lover“ rau und laut dem Klischee des verführerischen Südländers Bescheid: Er möge sie zufriedenlassen mit Kettchen unterm T-Shirt, seinen Tricks und Komplimenten.

Mit ihrem unromantischen Blick auf Sexualität, dem ungeschminkten Auftreten mit Lederjacke und Struwwelkopf mischte die Konditorstochter aus Siena Geschlechterzuschreibungen auf, die vor 45 Jahren trotz Frauenbewegung noch deutlich selbstverständlicher waren als heute. Auch wenn sie hartnäckig weiterleben – der Interviewer der „Zeit“ meinte noch vor Wochen bemerken zu müssen, dass sie im Gespräch breitbeinig vor ihm saß und sich öfter an der Brust kratzte.  

„Ich habe kein Geschlecht“

Gianna Nannini hat nicht nur aufsässige Musik und solche zum Mitsingen gemacht, stur auf italienisch, ohne Rücksicht auf internationale Chancen, übrigens angeregt vom legendären deutschen Toningenieur und Produzenten Conny Plank.

Sie ist auch die, die als 18-Jährige von Siena nach Mailand floh, um Musik zu studieren, statt die Konditorei der Eltern zu erben. Die beim Jobben an der Teigmaschine zwei Fingerkuppen verlor und einfach weitermachte, dann eben auf der Gitarre statt am Klavier, und die noch einmal Skandal machte, als sie erst mit 56 Jahren Mutter wurde.

Dass ihre große Liebe seit 40 Jahren eine Frau ist, hat sie auch zu Zeiten nicht versteckt, als das Wort Queerness noch in keiner Zeitung stand. Sie hat sich als pansexuell definiert und sagt von sich: „Ich habe kein Geschlecht.“ Das macht sie im Italien Giorgia Melonis, die „Gott, Vaterland, Familie“ beschwört, erneut zu einer verstörenden Präsenz.

Nach einigen Jahren in London lebt Nannini mit Tochter und Ehefrau heute wieder in Mailand, nachdem sie wegen Steuerhinterziehung, die Rede war von 3,7 Millionen Euro, verurteilt worden war.

Und weil sie überzeugt ist, dass „Roll“ vielleicht sterbe, „Rock“ aber nie, wird vermutlich auch die Tour in diesem Herbst nicht ihre letzte sein. „Ich fühle mich heute wie eine alte Stradivari-Geige – in Würde gealtert und dabei sogar noch wertvoller geworden.”

Als sie vor zwei Jahren gefragt wurde, ob man auch in zehn Jahren noch mit ihr rechnen könne, meinte sie: „Warum nicht?” Sie sei schließlich 1983 wiedergeboren worden, nach einer schweren psychischen Krise. „Ich habe also ein anderes Alter, als die Leute denken.“ Wir dürfen Gianna Nannini folglich heute zu kaum mehr als 40 Jahren gratulieren.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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