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„La-la-la-la-la-lala-la“, und nochmal: Melodische Revolutionen veränderten die Popmusik

„La-la-la-la-la-lala-la“, und nochmal: Melodische Revolutionen veränderten die Popmusik

© dpa/Jonas Walzberg

„La-la-la-la-la-lala-la“, und nochmal: Melodische Revolutionen veränderten die Popmusik

„Früher war mehr Melodie“ klingt nach Verklärung der Vergangenheit. Doch an der Spitze der US-Charts geht es seit Jahrzehnten messbar eintöniger, aber auch silbenreicher zu.

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Den Beatles gelang 2023 etwas, das sie anderen Bands lange voraushaben dürften. Mit „Now and Then“ landeten sie einen Top-Ten-Hit im US-amerikanischen Billboard-Magazin – fast 60 Jahre, nachdem sie das mit ihrem Nummer-1-Hit „I want to hold your hand“ erstmals geschafft hatten. Das ist auch beachtlich, weil sich erfolgreiche Popmusik über die Jahrzehnte deutlich verändert hat.

Eine Analyse der Haupt- meist Gesangsmelodien von Hits aus über 70 Jahren zeigt, dass sie zwar mehr Einzeltöne enthalten, vor allem seit dem Jahr 2000, dabei aber deutlich an Komplexität verloren haben. Die Rhythmen wurden einfacher und die Tonhöhen weniger variiert, berichten Madeline Hamilton und Marcus Pearce in der Zeitschrift „Scientific Reports“.

Musikalische Umstürze

„In der Studie werden zwei melodische Revolutionen in der Geschichte der populären Musik festgestellt“, sagte Hamilton dem Tagesspiegel: eine im Jahr 1975 und eine im Jahr 2000. Beide seien durch die deutliche Abnahme der Komplexität der Hauptmelodien gekennzeichnet. Die Studie lasse aber keine Schlüsse darüber zu, ob Musik besser oder schlechter geworden sei, betont Hamilton: „Ob Musik gut oder schlecht ist, ist völlig subjektiv.“

Musik ist entwertet worden.

Rick Beato, Musikproduzent und Youtuber

Aber was löste die musikalischen Umstürze bei dem aus, was wahrscheinlich Millionen Menschen täglich nachsummten? Hamilton und Pearce vermuten, es waren die zunehmende Popularität neuer Genres, aber auch technische Entwicklungen.

Die beiden Forschenden vom Music Cognition Lab der Queen-Mary-Universität in London haben das Billboard Melodic Music Dataset analysiert, einen Datensatz von 366 Liedern, der Gesangsmelodien der Top-5-Songs jedes Jahres von 1950 bis 2022 enthält, gemäß der Billboard-Jahresend-Single-Charts.

Hamilton nennt als Beispiel den größten US-Hit des Jahres 1975, „Love Will Keep Us Together“ von Captain & Tennille. „Diese Melodie ist ziemlich komplex, sowohl von der Tonfolge als auch vom Rhythmus her.“ Einige der verwendeten Töne seien für ein Stück in der Tonart H-Dur „ziemlich überraschend“. Und rhythmisch weise das Lied im Vier-Viertel-Takt markante Elemente wie eine Triole, auf, eine Gruppe drei schnell aufeinanderfolgender Noten.

Im Gegensatz dazu sei die Melodie des Spitzenreiters aus dem Jahr 2000, „Breathe“ von Faith Hill, viel einfacher aufgebaut. Alle Töne kommen direkt aus der Tonart des Liedes, es gibt zahlreiche Wiederholungen und die Melodie ist rhythmisch geradlinig. „Ich sage nicht, dass der Song von 1975 besser ist als der von 2000, sondern nur, dass der Song von 2000 eine viel weniger komplexe Gesangsmelodie hat“, kommentiert Hamilton.

„Zu einfach, zu billig“

Der Musiker und Produzent Rick Beato vertritt in einem Beitrag auf YouTube eine andere Meinung. Musik werde schlechter. Beato macht das an zwei Entwicklungen fest. Zum einen sei es zu leicht geworden, Musik zu konsumieren. Streamingdienste für Musik hätten ein Überangebot geschaffen. 2023 seien den Katalogen jeden Tag etwa 100.000 Stücke hinzugefügt worden. „Musik ist dadurch entwertet worden“, sagt Beato.

Zum anderen sei es dank technischer Neuerungen wie Musikprogrammen auf Computern zu leicht geworden, Musik aufzunehmen. Seit den frühen 2000er Jahren würden Musiklabels bevorzugt Musiker unter Vertrag nehmen, die ihre Musik mit einem Laptop und einem Mikrofon aufnehmen könnten. Aufwändige Studioproduktionen seien dagegen zu kostspielig.

„Die kreative Abhängigkeit von Technologie begrenzt die Möglichkeiten, etwas Neues zu erschaffen“, sagt Beato. Dass die meisten Musizierenden das gleiche digitale Werkzeug nutzten, habe die Vielfalt verringert. „Die Leute folgen einfach den Trends.“

„Ich bin ein Fan von Rick Beato, aber ich stimme ihm in diesem Punkt nicht zu“, sagt Hamilton. Es sei „wirklich cool“, dass heutzutage jeder, der einen Laptop hat, Musik aufnehmen, abmischen und veröffentlichen könne. Viel mehr Menschen könnten sich mit Musik ausdrücken, auch wenn sie sich keinen Studioaufenthalt leisten könnten. „Je einfacher es ist, Musik zu machen und zu hören, desto besser“, resümiert Hamilton.

Es sei aber möglich, dass die Fortschritte in der Aufnahmetechnik teilweise für die melodische Revolution im Jahr 2000 verantwortlich seien. Hamilton und Pearce vermuten, dass digitale Audio-Workstations (DAWs) es einfacher machten, Phrasen und Abschnitte der aufgenommenen Musik zu wiederholen. Die in der Studie beobachteten häufigeren Wiederholungen von Melodien in Popsongs könnten darauf beruhen.

Ein Song, der es zwar nicht in die US-Top-Fünf geschafft hat, soll hier als Beispiel dienen. Kylie Minogues schwer aus dem Kopf zu kriegender Dance-Hit „Can’t get you out of my head“ von 2001 zeigt außer den häufigen Wiederholungen im Refrain ein weiteres Merkmal jüngerer Popmusik. Es sind viele Töne, aber wenig Variation der Tonhöhe: „La-la-la-la-la-lala-la“, und nochmal.

Die melodische Revolution in den 1970er Jahren, eine sprunghafte Entwicklung zu mehr Tönen, aber weniger Variation in den Hauptmelodien, könnte mit dem Aufkommen von Genres wie New Wave, Disco und Stadionrock zusammenhängen, vermuten Hamilton und Pearce.

Hip-Hop sei ein Beispiel für die weiteren Veränderungen in den 1990er Jahren und nach 2000. „Aus meiner Erfahrung mit der Transkription von Melodien kann ich sagen, dass Hip-Hop sanfte melodische Flows bevorzugt, die sehr schnell vorgetragen werden, mit vielen Worten pro Sekunde“, berichtet Hamilton.

Sie und ihr Kollege haben in ihrer Studie auch festgestellt, dass zwar die Komplexität der Hauptmelodien abgenommen hat, dies aber nicht genauso für andere musikalische Komponenten wie die Qualität oder die Kombinationen von Klängen gelte. Die Melodien könnten mittlerweile schlicht einfacher gehalten werden, damit Hörerin und Hörer nicht mit der Zunahme der Komplexität, etwa den heute mehr gesungenen Tönen pro Sekunde, überfordert würden.

Dies zur Ehrenrettung von Kylie Minogue, deren Song in der Studie freilich gar nicht analysiert wurde, und vielleicht als Erwiderung auf Rick Beatos Sorgen: Die zunehmende Verfügbarkeit digitaler Instrumente könnte dazu führen, dass die musikalische Komplexität eher durch die Klangqualität als durch die Melodie ausgedrückt wird, vermuten Hamilton und Pearce.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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