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Alles zersetzend …: Der Mensch steigert die biologische Umwandlung in Gewässern
Vom Regen hineingeschwemmt, vom Wind hineingeweht: Unmengen an Pflanzenmaterial landet jährlich in Gewässern. Wie schnell es zersetzt wird, beeinflusst das Klima wie die Artenvielfalt.
Von Annett Stein, dpa
Menschliche Aktivitäten können einer neuen Modellierung zufolge die Zersetzungsrate von organischem Material in Flüssen beschleunigen. Die wichtigsten Faktoren dafür seien steigende Temperaturen und die Nährstoffbelastung, berichtet ein Forschungsteam im Fachjournal „Science“. Höhere Zersetzungsraten haben demnach eine verringerte kurzfristige Kohlenstoffspeicherung in fließenden Gewässern und einen verminderten Kohlenstofftransport in langfristige Speicher wie Stauseen, Überschwemmungsgebiete und Ozeane zur Folge.
„Zweifellos werden der Klimawandel, eine erhöhte Nährstoffbelastung, eine intensivere Landnutzung und Veränderungen der Vegetationsdecke die Verarbeitung organischer Stoffe in Flüssen und Bächen weiter verändern“, heißt es in der Studie. Die schnellere Zersetzung könne die Treibhausgasemissionen erhöhen und die Artenvielfalt in Gewässern weltweit bedrohen, befürchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Scott Tiegs von der Oakland University in Rochester.
Was sich zersetzt hat, kann man nicht mehr fressen
„Erhöhte Zersetzungsraten können für den globalen Kohlenstoffkreislauf und für Tiere wie Insekten und Fische, die in Flüssen leben, problematisch sein, weil die Nahrungsressourcen, die sie zum Überleben brauchen, schneller verschwinden und als Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangen“, erklärte Mitautorin Krista Capps von der University of Georgia in Athens.
Die terrestrischen Ökosysteme der Erde erzeugen jährlich über 100 Milliarden Tonnen pflanzliche Überreste. Ob sie langfristig gelagert, zu Treibhausgasen mineralisiert oder in Nahrungsnetze aufgenommen werden, wird von der jeweiligen Zersetzungsrate bestimmt. Organisches Material – Blätter und Zweige zum Beispiel – wird kontinuierlich auch in Gewässer wie Flüsse und Bäche eingetragen.
Elbe mit Elbphilharmonie, Hamburg: drinnen Töne, draußen Tonnen organischen Materials auf dem Weg in die Nordsee.
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Die Faktoren, die den Abbau dort beeinflussen, seien bisher nur unzureichend bekannt, insbesondere in großen räumlichen Maßstäben und in tropischen Regionen, in denen ein Großteil des pflanzlichen Materials der Erde produziert wird, heißt es in der Studie. Das Team um Tiegs entwarf nun ein Vorhersagemodell für die Zellulosezersetzung in Flüssen unter Verwendung globaler Daten aus dem sogenannten Celldex-Experiment.
Zellulose, Baumwolle
Zellulose ist das am häufigsten vorkommende organische Polymer auf der Erde und der Hauptbestandteil von Pflanzenresten. Für Celldex wurde als Ersatz für pflanzlichen Detritus die Zersetzung von Baumwollgewebe, das zu 95 Prozent aus Zellulose besteht, an 514 Orten auf den sieben Kontinenten untersucht. Die Forschenden kombinierten diese Daten mit Werten für Klima, Boden, Geologie, Vegetation- und chemisch-physikalische Prozesse.
Kontrollrechnungen zu in früheren Studien gemessenen Werten hätten die Aussagekraft des Rechenmodells bestätigt, hieß es. Mit dem hochauflösenden Ansatz lassen sich demnach die Zersetzungsraten von organischem Material in Flüssen auch für bisher wenig untersuchte Gebiete der Erde vorhersagen.
Ein großer Teil des Kohlendioxids und Methans stammt aus aquatischen Ökosystemen.
Scott Tiegs, Oakland University in Rochester
Normalerweise läuft der Prozess für ein Blatt, das in einen Fluss fällt, in etwa so: Bakterien und Pilze siedeln sich darauf an, Insekten ernähren sich vom Blatt oder seinen Besiedlern und vermehren sich. Fische fressen die Insekten und werden wiederum selbst gefressen. Beschleunigt sich die Zersetzung, haben Mikroorganismen und Insekten geringere Chancen, den enthaltenen Kohlenstoff für das eigene Wachstum umzusetzen, die gesamte Nahrungskette kann ausdünnen. Der Kohlenstoff gelangt verstärkt als CO₂ in die Atmosphäre.
„Wenn wir an Treibhausgasemissionen denken, denken wir meist an Auspuffrohre und Fabriken“, sagte Tiegs. „Aber ein großer Teil des Kohlendioxids und des Methans stammt aus aquatischen Ökosystemen.“ Wenn der Mensch Süßwasser mit Nährstoffen, etwa Dünger, verunreinige und die Wassertemperaturen erhöhe, stiegen die Zersetzungsraten und es gelangten mehr Treibhausgase in die Atmosphäre. Das wiederum bedeute eine Beschleunigung des Klimawandels.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de