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Frequenz und Indifferenz: Wie kommt der Berliner Jazz ins Radio?

Frequenz und Indifferenz: Wie kommt der Berliner Jazz ins Radio?

© Camille Blake

Frequenz und Indifferenz: Wie kommt der Berliner Jazz ins Radio?

Die UKW-Frequenz 106,9, die derzeit vom privaten JazzRadio Berlin bespielt wird, ist neu ausgeschrieben. Auch im Hinblick auf das Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks muss die Medienanstalt Berlin-Brandenburg eine zeitgemäße Entscheidung treffen.

Von Gregor Dotzauer

Die Lage des Jazz in Berlin könnte nicht besser sein. In mehr als einem Dutzend Clubs und Spielstätten kann man Abend für Abend die ganze Breite einer Musik verfolgen, die den Begriff Jazz oft genug scheut. Dazu kommen Konzertsäle und Hallen für größere Gastspiele und Festivals. Wer das Geschehen auf jazz-guide-berlin.de oder field-notes.berlin verfolgt, muss längst nicht mehr nach Greenwich Village oder Brooklyn reisen, um sich auf höchstem Niveau von der Lebendigkeit einer Szene zu überzeugen, in der Lokales und Internationales immer weiter verschmelzen.

In der Stadt leben Spitzenmusiker wie der New Yorker Kontrabassist Nick Dunston, der zusammen mit seiner Duopartnerin, der Berliner Sängerin Cansu Tanrıkulu gerade den SWR-Jazzpreis erhalten hat. Der schwedische Bassist Petter Eldh, auch er Träger dieses Preises, hat hier seine Wahlheimat gefunden, nicht anders als der englische Pianist Kit Downes.

Das Jazzinstitut, zu dem sich die Universität der Künste und die Hochschule Hanns Eisler für Musik zusammengeschlossen haben, bietet seit 2005 eine für Musiker aus aller Welt attraktive Ausbildung und entlässt Jahr für Jahr neue Talente auf einen schwierigen Markt. Mit der Silent Jazz Bar in der Schöneberger Naumannstraße haben der Bassist Urs Johnen und der Pianist Alexander Wienand gerade ein Lokal eröffnet, das sich weniger als Live-Bühne denn als Ort für das Gespräch über Jazz versteht. Vieles ist in Bewegung.

Die Lage des Jazz in Berlin könnte nicht deprimierender sein. In den Zeitungen gibt es verschwindend wenig seriöse, analytisch wie journalistisch geschulte Jazzkritik, und die Fachmagazine leben zu sehr von Nerds. Das Projekt des House of Jazz, das mittlerweile als Zentrum für Jazz und improvisierte Musik firmiert, steht auf tönernen Füßen, seit sich der Traum vom Einzug in die Alte Münze zerschlagen hat. Die bevorstehenden Kürzungen im Berliner Kulturhaushalt werden auch die Jazzszene treffen, die viele schon jetzt kaum ernährt.

Wie soll man zwischen diesen beiden Perspektiven vermitteln? Einer überwältigenden Vitalität steht ein Mangel an Sichtbarkeit gegenüber, der es dieser Musik gar nicht erlaubt, in den Fokus einer breiteren Öffentlichkeit zu geraten. Die am 23. September in Kraft getretene ARD-Programmreform ist in dieser Hinsicht ein zweischneidiges Schwert.

Mangel an regionaler Expertise

Sie verschafft dem Jazz sogar mehr Sendezeit, kostet ihn aber seine genuine Berliner Stimme. Im gemeinsamen Abendprogramm der klassisch ausgerichteten Kultursender kann man montags und mittwochs auf Radio3 nun jeweils ab 22 Uhr „Spotlight“ und „Das Magazin“ hören, dienstags und donnerstags Konzertmitschnitte – weitgehend bestückt von Redaktionen außerhalb Berlins.

Denn die Jazzredaktion des RBB ist nach Ulf Drechsels Verabschiedung in den Ruhestand seit Mai 2021 verwaist und wird wohl nie wieder besetzt. Für die Jazzhauptstadt ist dieser Mangel an regionaler Expertise ein Unding. Den hier lebenden Musikerinnen und Musiker droht überdies der Verzicht auf eine ganze Reihe von Konzertmitschnitten – und auf Studioproduktionen, die zahlreiche Alben hervorgebracht haben.

Man kann natürlich fragen, welche Rolle das lineare, an feste Sendezeiten gebundene Radio in diesen digitalen Zeiten überhaupt noch spielt. Die Antwort, die abgewandelt auch für die gedruckte Zeitung gilt, lautet: Es ist unverzichtbar, weil es Hörer abseits von algorithmischer Selbstbestätigung zu Programmen verführt, auf die sie sonst womöglich nicht gestoßen wären. Es schafft verlässliche Kontingente, die wiederum zu einem Podcast-Angebot führen, das sich nicht den falschen Vorstellungen von Jugendlichkeit unterwirft, die der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke, ein wackerer Sozialdemokrat, der sich gerne als Fortschrittsgeist gegen die Altvorderen inszeniert, ins Feld führt.

Rundfunk und Fernsehen leben von einem dualen System. Hier die zur Grundversorgung aufgerufenen öffentlich-rechtlichen Medien, dort die privaten. Soll man nun etwa ausgerechnet von da Rettung erwarten, wo man sie am wenigsten erwartet? Die Privaten sind schließlich nicht dazu da, die Scharten der gebührenfinanzierte Sender auszuwetzen – sie können es wegen ihrer Marktabhängigkeit auch gar nicht.

Eine Lizenz für sieben Jahre

Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg hat Anfang des Jahres turnusgemäß die UKW-Frequenz 106,8 neu ausgeschrieben. Sechs Bewerber, darunter der aktuelle Betreiber JazzRadio Berlin mit Geschäftsführer Julian Allitt, wurden am 30. April zum ersten Mal angehört. Eine Lizenz für sieben Jahre Jazz mit der Option zur Verlängerung erhofft sich aber auch Oliver Dunk, Geschäftsführer der Dunk Media Group, zu der unter anderem das Schlager Radio gehört.

Ob mit Allitt der waidwunde, durch zahlreiche Finanzkrisen gegangene Platzhirsch die besseren Voraussetzungen hat oder der Neubewerber Dunk: Bei Ersterem weiß man immerhin, was man bekommt, nämlich ein gefälliges, an die hiesige Szene wenig angedocktes Formatradio mit viel Mainstream und Smooth Jazz. Letzterer hält sich in Bezug auf seine Pläne öffentlich bedeckt, verfügt aber über gute Clubkontakte, die neue Kooperationen ermöglichen könnten. Auch er wird sein Geschäft aber sicher nicht mit freieren, experimentellen Formen belasten wollen.

Nach Diversitätskriterien, wie sie der Medienstaatsvertrag in Paragraph 33 formuliert, auch wenn er Vollprogramme gegenüber Spartenprogrammen favorisiert, haben beide eine ausdrückliche Chance. Der lachende Dritte könnte jedoch auch Matthias Kayales sein. Der Geschäftsführer von Pure FM für elektronische Tanzmusik will seinen derzeit über den neuen Digitalstandard DAB+ laufenden Sender erweitern und kann auf die – auch ökonomisch gut ausgestattete – Party-Infrastruktur der Stadt zurückgreifen. Mitte Oktober will sich die zuständige Kommission nach mehreren Anläufen zumindest intern einig werden.

Die UKW-Frequenz 106,8 ist attraktiv, weil sie weite Teile des Stadtgebiets erreicht und eine entsprechende Vermarktung erlaubt. Webradio allein gilt allgemein als nicht profitabel. Insofern wird es auch um die demnächst auszuschreibende, vom Sendegebiet her eingeschränktere UKW-Frequenz 104,1 ein Rennen geben.

Bisher sendete dort das queere lulu.fm, das sich ins Streaming zurückgezogen hat. 104,1 wird allerdings schon deshalb nicht als Trostpreis gehandelt, weil das bevorstehende Verfahren vom laufenden rechtlich zu trennen ist. Für die Jazzszene, die jede Form von Aufmerksamkeit brauchen kann, wäre es mehr als eine kleine Genugtuung, jetzt zum Zuge zu kommen.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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