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„Testfall Thüringen“ im ZDF: Warum ist der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk nicht besser?

„Testfall Thüringen“ im ZDF: Warum ist der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk nicht besser?

© dpa/Sebastian Gollnow

„Testfall Thüringen“ im ZDF: Warum ist der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk nicht besser?

Geraune, Behauptungen, fehlende Recherche: Eine ZDF-Reportage geht der Frage nach, ob in dem ostdeutschen Bundesland „Demokratie in Gefahr“ sei. Vier Punkte, warum die Beantwortung scheitert.

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„Testfall Thüringen – Demokratie in Gefahr?“ heißt eine ZDF-Reportage, die kürzlich im Abendprogramm ausgestrahlt wurde und noch ein Jahr lang in der Mediathek abrufbar ist.

Der Titel macht klar, dass es um die in dem kleinen Bundesland besonders rechtsradikale AfD geht. Bei den 1,7 Millionen Wahlberechtigten steht sie so hoch im Kurs, dass Wahlen dort größte Aufmerksamkeit erfahren.

Das war so bei den Kommunalwahlen am vergangenen Sonntag und wird sich sicher rund um die Landtagswahl im September noch steigern. Aus der könnte gar ein AfD-Regierungschef Björn Höcke hervorgehen.

Ich habe mir neue Erkenntnisse erhofft. Leider vergebens

Warum Thüringen ins politische Extrem neigt – dieser Frage werde, so stand es in der ZDF-Ankündigung, in dem 20-minütigen Beitrag nachgegangen. Ich habe eingeschaltet und mir interessante Einblicke und neue Erkenntnisse erhofft.

Leider vergebens. Denn es wurden viele bekannte plakative Bilder und einige besonders düstere Behauptungen ungeprüft übernommen.

Die immerhin zweimal in den 20 Minuten von der Bevölkerung kolportierte und aufgebrachte, fast verzweifelte Frage „Was soll ich denn sonst wählen?“ wurde dagegen nicht aufgegriffen. Mich in meinem Fernsehsessel hat das aufgeregt.

Ich dachte: Wenn das ZDF eine Reportage mit dem pompösen Titel „Testfall Thüringen – Demokratie in Gefahr?“ ankündigt, muss da mehr kommen. Dann müssen auf die Frage Antworten gesucht, besser noch gefunden werden.

Das wird den Leuten in Thüringen nicht gerecht

Dann reicht es nicht, unterlegt mit dräuender Musik Bilder von Demonstrationen gegen eine Asylbewerberunterkunft zu zeigen und Stimmungen zu verbreiten. Das wird den Leuten in Thüringen nicht gerecht. Und auch dem ZDF mit seinem gesetzlich festgelegten Informationsauftrag nicht.

Vier Beispiele für das, was ich meine:

1 Plakatives zum Asylbewerberheim

Der Bericht startet in Schleusingen, einem 5000-Einwohner-Ort. Gezeigt wird eine Demonstration gegen ein Asylbewerberheim, das in ein leerstehendes Krankenhaus einziehen soll.

Neonaziartige Gestalten schwenken Fahnen und proklamieren, die Politik solle den Willen des Volkes ernst nehmen, wenn sie keine Unruhe wolle.

Etwas kippt.“

Off-Text im ZDF-Beitrag über Schleusingen

Normale Bevölkerung in regenwettertauglicher Kleidung steht um sie herum. „Die gefühlte Bedrohung durch Fremde ist zum Reizthema geworden. Etwas kippt“, heißt es aus dem Off. Erst deutlich später wird erwähnt, dass in dem Asylbewerberheim Platz für 500 Menschen ist.

Ist das keine wichtige Information? Stellt man die Protestierenden nicht unangemessen schlecht dar, wenn man diese Information weglässt? 500 Asylbewerber in einem zentralen Gebäude in einem 5000-Einwohner-Ort: ist das vernünftig? Wer macht solche Pläne? Wird die Reaktion der Bevölkerung gar nicht einkalkuliert? 

500 neue Asylbewerber für einen 5000-Einwohner-Ort. Ist das vernünftig?

Im Internet habe ich nachlesen können, dass es in dem Örtchen mindestens seit einem Jahr schon Widerstand gegen diese Pläne gibt, die aber offenbar nicht durchdrangen.

Im MDR, sozusagen der ARD-Gegenveranstaltung zu den ostdeutschen ZDF-Landesstudios, sagt eine ehemalige Krankenschwester des aufgegebenen Krankenhauses, dass es um die Dimensionen gehe: Bei solchen Größenverhältnissen könne Integration nicht mehr funktionieren.

Was man im Internet auch erfährt: Es gibt bereits kleinere Flüchtlingsunterkünfte in Schleusingen. Ich hätte es interessant gefunden zu erfahren, wie es da läuft, was dort gedacht wird. Natürlich kann man in 20 Minuten nicht alles unterbringen – aber wenigstens ein Hinweis in die Richtung wäre in dem ZDF-Bericht nötig gewesen.

2 Ungeprüfte Skandalmeldung zu Nazigrüßen in Schulen

Das Kamerateam besucht ein neu gegründetes „Bündnis für Demokratie“ bei einer Zusammenkunft mit Stuhlkreis in einem einfachen Raum. Dort erzählt ein Aktiver, dass viele Bürger ihn fragen würden, wen man denn wählen solle. Mehr kommt dazu nicht.

In den Schulen rufen ganze Klassen ‚Sieg Heil‘, und es passiert nichts.

Eine anonyme Frau im Beitrag

Die Kamera lenkt auf eine Frau, die sagt: „In den Schulen rufen ganze Klassen ‚Sieg Heil‘, und es passiert nichts.“ Unter anderem im Tagesspiegel wurde dieser Satz zur Überschrift.

Über die Frau wird nichts bekannt. War sie dabei, ist sie Lehrerin? Wie plausibel ist, dass es stimmt, was sie sagt? Oder hat sie vielleicht ein bisschen übertrieben, wie es viele tun, wenn sie von einem Missstand erzählen, der sie aufregt?

Warum hat die Aussage der Frau gereicht? Weil sie so gut passte?

Es wird nicht erkennbar, dass das Reporterteam dazu recherchiert und die entsprechende Schule gesucht, gefunden, befragt hätte.

Warum hat es gereicht, dass eine nicht kenntlich gemachte Frau diesen Satz gesagt hat? War er einfach zu schön, traf und übertraf er zu gut das, was man vorzufinden erwartet hatte?

Mich in meinem Fernsehsessel beschlich dieser Verdacht, und ich fand das schlimm. Mit solchen Aussagen wird Angst geschürt, werden Katastrophenszenarien in die Welt gesetzt, wird Stimmung erzeugt und auch diffamiert. An Stimmungen und Diffamierungen mangelt es aber in diesem Land wirklich nicht.

Da muss das ZDF nicht einsteigen. Es mangelt an Differenzierung, an genauem Hinsehen, an Nachfragen und Zuhören. Das wäre genau die öffentlich-rechtliche Rundfunkleistung gewesen, wie ich sie erwartet und erhofft habe.

3 Keine Nachfragen zum düsteren Renten-Szenario

Eine weitere einfach übernommene Behauptung liefert Stephan Kramer dem ZDF-Team. Kramer ist seit fast zehn Jahren Chef des Landesverfassungsschutzes und war davor zehn Jahre lang Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland und Leiter des Berliner Büros des European Jewish Congress.

Wir haben jetzt gerade die Generation, die in der DDR noch gearbeitet hat, die jetzt Rente kriegen und eigentlich postwendend in die Sozialhilfe geht.

Stephan Kramer, Landesverfassungsschutzchef, im Beitrag.

Er wird in einem Auditorium der Universität Erfurt gezeigt, wo er auf Einladung der Studierenden über die Lage in Thüringen spricht.

Er thematisierte die soziale Ungerechtigkeit, die im Osten erlebt wird: „Wir haben jetzt gerade die Generation, die in der DDR noch gearbeitet hat, die jetzt Rente kriegen und eigentlich postwendend in die Sozialhilfe geht“, sagt er.

Ob das so stimmt? Der Beitrag klärt nicht auf

Das ist eine schillernde Behauptung. Ob sie stimmt? In dem Beitrag erfährt man es nicht. Dabei liefert sie eine mögliche Ursache für den grundsätzlichen Frust mit den herrschenden Verhältnissen, den man Ostdeutschen immer wieder attestiert.

Ich habe im Internet nach Informationen gesucht. Es ist – wie eben fast alles – komplizierter, als ein Satz wiedergeben kann.

Laut der Deutschen Rentenversicherung gibt es tatsächlich einen Anstieg von sozialleistungsberechtigten Rentnern im ganzen Land. Das hat auch mit neuen Regelungen zu tun hat, die seit 2023 gelten, und dazu führen, dass mehr Menschen anspruchsberechtigt sind im Osten.

4 Kein Interesse am AfD-wählenden Passanten

Auf dem Schleusinger Marktplatz werden ein junger Mann und seine Großmutter angesprochen. Sie sind ein tolles Gespann. Die alte Frau hat die Hitler-Jahre noch erlebt, sagt sie. Und: „Wir leben in Angst vor der rechten Seite, wir wissen, was war.“

Wen soll man denn noch wählen?

Ein Forstarbeiter auf dem Marktplatz

Ihr Enkel, laut Selbstauskunft Forstarbeiter, dagegen will die AfD wählen. Ein Grund: Weil er kotze, wenn er sehe, wie „Leute, die hierherkommen, voll versorgt“ würden, während Rentner wie seine Oma „zu knabbern“ hätten.

Außerdem fürchtet er, dass die Privatwaldbesitzer durch neue Steuerregelungen belastet würden, dass der Mittelstand und die Gastronomie kaputtgehen, und er beklagt, dass die Grünen alle anderen Länder mit Waffen belieferten.

„Wen soll man denn noch wählen?“ Da ist sie wieder, die Frage, die sich vor Wahlen in diesem Jahr sicher viele Menschen stellen.

Höcke wählen, einen Faschisten? Wisse er nicht, sagt der junge Mann

Das Kamerateam entgegnet auf diese Frage, dass man den AfD-Spitzenkandidaten Höcke doch einen Faschisten nennen dürfe. Wisse er nicht, sagt der junge Mann. Er habe den nie persönlich erlebt. Dann endet die Szene mit der Bemerkung, an den Frust des jungen Mannes docke die Rechtspartei mit ihren Parolen an.

Mir war das alles viel zu wenig. Geht man so einem Problem auf den Grund? Kurz mal ein paar Stichworte abfragen und dann weiterziehen? Ich glaube nicht.

Natürlich weiß ich nach Jahrzehnten in diesem Beruf auch, wie sehr schwer es sein kann, für Reportagen sogenanntes „geeignetes Personal“ zu finden: Leute, die interessante, relevante Dinge vor der Kamera zu sagen bereit sind. Jetzt umso mehr, wo Medien, besonders die Öffentlich-Rechtlichen, ohnehin als parteiisch kritisiert und auch angefeindet werden.

Man hätte den Forstarbeiter ernster nehmen können

Diesen Forstarbeiter zum Beispiel hätte man viel pfleglicher behandeln können. Ernst nehmen, was er sagt. Warum denn nicht? Weil er die AfD wählen will und sich damit schon disqualifiziert für eine wertschätzende Berücksichtigung im Diskurs?

Es gibt sicher Menschen, die so radikal denken, und das können sie auch gerne machen. Aber das kann doch nicht für ein ZDF-Team gelten, das extra loszieht, um herauszufinden, warum Menschen die AfD wählen, oder? Würde das nicht heißen, dass man sich für die Antworten auf die selbst gestellte Frage gar nicht interessiert?

Ich fürchte, Beiträge wie der „Testfall Thüringen“ mit seinen Recherchemängeln, den ungeprüften Behauptungen und dem Pathos befeuern den allgemeinen Medienverdruss noch. Sie erreichen also das Gegenteil von dem, was sie erreichen wollen. Und auch erreichen müssen.

Ich finde: Wenn der Informationsauftrag nicht zur Worthülse für Gebührenerhöhungsrunden verkommen soll, müssen die Öffentlich-Rechtlichen in ihrer Vermittlung von Informationen zu politischen Themen und Problemen besser werden, objektiver und gründlicher. Alles andere ist Sägen am eigenen Ast. Und damit auch am Gefüge dieser Republik.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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