© dpa/Martin Schutt
Vor dem Katholikentag 2024: Die katholische Kirche in Deutschland ringt um Relevanz
Am Mittwoch startet der 103. Deutsche Katholikentag in Erfurt. Glaubensfest oder Selbsthilfegruppe? Wo steht die katholische Kirche inmitten von Krisen?
Von
Beim letzten Mal war es der Papst. Im September 2011 feierte Benedikt XVI. bei seinem Deutschlandbesuch eine Messe vor der Kulisse des Erfurter Doms. Es war ein Ereignis von Weltrang: Rund 30.000 Gläubige kamen zum Gottesdienst mit dem Kirchenoberhaupt.
Ab Mittwoch nun werden die Domstufen von Erfurt wieder zum Ort eines kirchlichen Großereignisses: In in der thüringischen Landeshauptstadt wird am frühen Abend der 103. Deutsche Katholikentag eröffnet. Mitten in der ostdeutschen Diaspora werden 20.000 Besucher bis Sonntag zwischen Augustinerkloster und Krämerbrücke, zwischen Dom und Reglerkirche erwartet.
Der Kirche stehen erhebliche Auseinandersetzungen, Kämpfe und ein wirkliches Ringen um Prioritäten bevor.
Georg Bätzing, Bischof von Limburg
Politprominenz und Grundsatzfragen
Im Superwahljahr 2024 wird viel Politprominenz erwartet – neben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sollen etwa Bundeskanzler Olaf Scholz oder Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nach Erfurt kommen. Doch während der Katholikentag als Ganzes unter dem Leitwort „Zukunft hat der Mensch des Friedens“ steht, und Themen wie der Krieg in der Ukraine oder die Lage von Flüchtlingen auf Podien diskutiert werden, dürfte die Besucher auch eine andere Frage umtreiben: Welche Zukunft hat die katholische Kirche in Deutschland noch?
Der Missbrauchsskandal und der allgemeine Vertrauensverlust in die Kirche haben in den letzten Jahren zu Rekordaustrittszahlen geführt. Die Kirchensteuern sind rückläufig, immer weniger junge Männer wollen noch katholische Priester werden. Auch katholische Hochburgen, wie das Rheinland, bröckeln. Wird die katholische Kirche in Deutschland bald überall so wie im Osten sein?
Georg Bätzing (l), Bischof von Limburg, begrüßt Rainer Maria Kardinal Woelki, Erzbischof von Köln.
© picture alliance/dpa/Robert Michael
„Vieles, was wir bislang geleistet haben, auch für die Gesellschaft, für den Zusammenhalt der Kulturen in unserem Land und für das Ansehen und Aussehen der Kirche, werden wir in Zukunft nicht mehr leisten können“, kündigte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Limburgs Bischof Georg Bätzing, in einem Anfang der Woche im katholischen Herder-Verlag erschienenen Interviewbuch an. Der Kirche stünden deswegen „erhebliche Auseinandersetzungen, Kämpfe und ein wirkliches Ringen um Prioritäten“ bevor.
Bätzing zufolge müsse sich die Kirche stärker auf Wirkungen konzentrieren: „Welcher Einsatz bewirkt was?“. Derzeit werde das meiste kirchliche Geld in die Pfarreien vor Ort investiert. „Auf der anderen Seite merken wir aber auch, dass bestimmte kirchliche Zentren und besondere Angebote, etwa der Lebensbegleitung in bestimmten Situationen, wichtiger werden.“ Das werde auch von Menschen außerhalb der Kirche wertgeschätzt. „Da werden wir Entscheidungen treffen müssen.“
Reformprozess ohne Veränderungen
Entscheidungen verlangen auch die katholischen Gläubigen. Im gemeinsam von der Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken veranstalteten Reformprozess „Synodaler Weg“ diskutierten sie seit 2019 über mögliche Veränderungen in der Kirche. Doch je länger der Reformprozess andauerte, desto größer wurde das Störfeuer aus dem Vatikan.
Wirkliche Veränderungen muss man heute mit der Lupe suchen: Gleichgeschlechtliche Paare dürfen gesegnet werden, aber nicht in einem Gottesdienst und nicht so, dass man es für eine Trauung halten könnte. Und der Wunsch nach dem Diakonenamt oder gar dem Priesteramt für Frauen wurde erst kürzlich von Papst Franziskus reichlich unsanft in einem Interview beerdigt.
Die Kirche ist in freiem Fall.
Thomas Schüller, Kirchenrechtler
„Das Hauptproblem ist: Wie behält die katholische Kirche trotz allen Gegenwinds eine Stelle in der Gesellschaft, an der sie ein Player bleiben kann“, fragt die Vorsitzende des Diözesanrats der Katholiken im Erzbistum Berlin, Karlies Abmeier. „Persönlich meine ich, dass die Kirche bei sozialethischen Themen und auf existenzielle Fragen wichtige Antworten geben kann – das gelingt ihr aber nicht, weil sie mit so vielen eigenen Problemen beschäftigt ist.“
Vertrauen in die katholische Kirche tief erschüttert
Dazu gehört natürlich auch die Aufarbeitung der sexualisierten Gewalt. Hier ist die katholische Kirche vor allem im Bereich der Prävention vorangekommen. Doch viele Wünsche der Betroffenen sind, insbesondere bei der Höhe der Entschädigungszahlungen, noch nicht erfüllt. Und es vergeht kaum ein Monat, in dem der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki nicht für eine neue Negativschlagzeile im Streit um Aufarbeitung, Verantwortlichkeiten und die Deutungshoheit des Skandals sorgt.
„Wir schaffen das – nicht“ ist eine Veranstaltung beim Erfurter Katholikentag zur Missbrauchsaufarbeitung dementsprechend überschrieben. „Die Kirche ist in freiem Fall“, bilanziert gar der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller. Das Vertrauen in die Kirche sei „offenkundig erodiert“, und der Katholizismus in Deutschland „in Bubbles und Blasen zersplittert, die kaum mehr miteinander kommunizieren.“ Deutschland erlebe „den epochalen Wandel, dass aus beiden Volkskirchen Minderheitenkirchen werden.“
Doch gerade in solch einer Zeit könne eine Veranstaltung wie der Katholikentag ein wichtiges Dialogforum darstellen. „Es gibt ja kaum noch gesellschaftliche Orte, wo sich Menschen begegnen, Meinungen austauschen und sich nicht digital im Internet beschimpfen“, sagt Schüller.
„Und man sollte auch nicht unterschätzen, dass diejenigen, denen die Kirche noch immer etwas bedeutet, auf dem Katholikentag die Erfahrung von Gemeinschaft, gepflegter Liturgie und spirituellen Angeboten finden: Das ist auch eine Chance, die eigene Identität zu sichern, zu stärken und Themen zu platzieren.“
Zur Startseite
- Kirche & Religion
- Sexualisierte Gewalt
showPaywall:falseisSubscriber:falseisPaid:showPaywallPiano:false
Eine Quelle: www.tagesspiegel.de