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Watkins mit dem Lucky Punch: England schockt die Niederlande und steht im EM-Finale
Nach Xavis Traumtor und Kanes Elfmeter sieht es lange danach aus, als ginge das EM-Halbfinale in die Verlängerung. Dann beweist Englands Trainer Southgate ein glückliches Händchen.
Von Kit Holden
Schon kurz nach Spielbeginn leuchtete der Himmel über Dortmund orange. Ein göttliches Zeichen für die Niederländer? Vielleicht. Dabei waren alle schon gewarnt. Nur eine Stunde zuvor hatte es höllisch geregnet. Einer dieser Tage aus Licht und Schatten eben, an dem nichts von Bestand ist und der Fußballgott fies sein kann.
So launisch wie das Wetter verlief auch das EM-Halbfinale zwischen England und den Niederlanden. Mal weiß, mal orange. Mal Hochpuls, mal Nachtruhe. Mal 110.000 Oranje-Fans in der Innenstadt, mal eine halbe Stunde im Stadion, in der nur die Engländer zu hören waren. Am Ende zählte nur eines: England gewann dank eines späten Siegtors mit 2:1 und steht im Finale.
Nach dem Treffer zum 2:1 gibt es in der englischen Kurve kein Halten mehr.
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Als Ollie Watkins sich tief in der Nachspielzeit in die Geschichtsbücher des englischen Fußballs schrieb, gab es den zweiten Wolkenbruch über Dortmund: diesmal aus fliegenden Bierbechern und englischer Euphorie. Zum zweiten Mal in Folge steht Gareth Southgates Mannschaft im Endspiel einer EM. Auf der Insel darf man nun wieder vom ersten Titel seit 1966 träumen.
„Ich glaube nicht, dass ich einen Ball je so gut getroffen habe“, sagte ein verblüffter Watkins nach dem Spiel. „Wenn du ein Tor schießt, gehen die Emotionen immer durch deinen Körper, aber das heute war etwas anderes. Als ich den Jungs entgegengerannt bin, war alles wie in Zeitlupe.“
Oranje geht durch Traumtor in Führung
Im Vergleich zum Viertelfinale wechselten beide Trainer nur einmal. Bei England kehrte der zuletzt gesperrte Marc Guehi wieder in die Innenverteidigung, wo er mit einer ebenso leicht veränderten niederländischen Angriffsreihe zu tun hatte. Bei Oranje wurde Steven Bergwijn auf der rechten Seite durch den BVB-Spieler Donyell Malen ersetzt, der damit an seinem üblichen Arbeitsplatz auflaufen durfte.
Dabei war die große Frage eher, wie die defensiv bisher kaum getesteten Engländer mit einem Künstler wie Xavi Simons umgehen würden. Nach sieben Minuten kam die Antwort in der Form eines Traumtors. Simons gewann den Ball stark gegen John Stones, zog unaufhaltsam Richtung Strafraum und schleuderte den Ball ins obere Eck wie ein Kieselstein ins Meer.
Als Simons auf der Werbebande euphorisch jubelte, glaubte aber wohl keiner im Stadion, dass das letzte Wort gesprochen war. Tatsächlich ließ die englische Reaktion nicht lange auf sich warten. Nach einem ersten Warnschuss aus der Distanz setzte Harry Kane nach 16 Minuten ein Volley über die Latte und kollidierte dabei heftig mit Denzel Dumfries. Die Engländer forderten sofort einen Elfmeter.
Englische Offensive erwacht aus Dornröschenschlaf
Für den im Vorfeld so heiß diskutierten deutschen Schiedsrichter Felix Zwayer war dies der erste große Test des Abends. Als er zum VAR-Bildschirm an der Seitenlinie ging, gab es zunächst heftige Proteste von Wout Weghorst auf der niederländischen Bank. Doch Zwayers Entscheidung fiel richtig aus. Bevor Kane den Strafstoß verwandelte, akzeptierte sogar Dumfries mit einem kleinen Nicken die gelbe Karte.
Auch beim englischen Trainer Gareth Southgate brechen sich nach Abfiff die Emotionen Bahn.
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An der Quecksilbrigkeit des Spiels änderte aber auch der Ausgleich nichts. Wie Dornröschen erwachte Englands Angriff nun aus seinem langen Schlaf und zeigte kurz, was man von ihm seit Wochen erwartet hatte. Derweil spielte auf der anderen Seite der reuige Sünde Dumfries um seine Absolution. Zuerst klärte er einen Schuss von Foden auf der Linie. Bei einer Ecke für Oranje traf er dann mit einem wuchtigen Kopfball selbst die Latte.
Watkins schießt England ins Finale
Von ihrer frühen Spritzigkeit zeigten die Niederländer aber mittlerweile weniger. Als der verletzte Memphis Depay nach 35 Minuten für Joey Veerman ausgewechselt wurde, wurde der Oranje-Angriff steifer. In der zweiten Hälfte wurde das Spiel entsprechend träger. Erst in der 64. Minute stieg der Puls erneut, als Jordan Pickford mit einer Glanzparade das 2:1 verhinderte.
Elf Minuten vor Schluss landete der Ball dann im niederländischen Tor. Die Abseitsfahne trübte die Freude der Engländer, aber nur kurz. Tief in der Nachspielzeit fand der eingewechselte Watkins Platz im Strafraum und schoss England aus der Drehung in den siebten Himmel.
„Das Finale gegen Spanien wird das größte Spiel unseres Lebens sein“, sagte der Torschütze nachher mit Blick aufs Finale. „Aber erstmal wollen wir den heutigen Abend genießen.“
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de