„Fortschritts-Koalition“ ade: Die Ampel regiert schon nicht mehr

© dpa/Kay Nietfeld

„Fortschritts-Koalition“ ade: Die Ampel regiert schon nicht mehr

Eine „Übergangsregierung“ nennt Omid Nouripour die Ampel-Koalition. Das ist deutlich und trotzdem beschönigend. Diese Regierung verwaltet nur noch.

Ein Kommentar von Daniel Friedrich Sturm

Als eine „Übergangskoalition nach der Ära Merkel“ charakterisierte der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour am Sonntag in der ARD die Ampel-Regierung. Nouripour spricht damit faktisch von einer Koalition auf Abruf. Das ist für den Vertreter einer Regierungspartei ungewohnt offen und klarsichtig.

Dabei spricht Nouripour nur aus, was wohl alle denken, einschließlich des Kanzlers. In der Bevölkerung ist die Ampel längst unten durch. Zur Erinnerung: Bei der Europawahl im Juni stimmte nicht einmal jeder Dritte für SPD, Grüne oder FDP.

Würdeloses Hin und Her beim Haushalt

Bei der Bundestagswahl 2021 gewann die SPD in Sachsen und Thüringen einzelne Wahlkreise; bei den Landtagswahlen in knapp zwei Wochen hofft sie, die Fünf-Prozent-Hürde zu nehmen.

Hatte Olaf Scholz nicht bei der Gründung der „Fortschritts-Koalition“ 2021 verkündet, er wolle in dieser Konstellation „wiedergewählt werden“? „Es finden sich neue Freunde, die SPD, die Grünen und die FDP … Da wächst was zusammen, was zusammenpasst“, säuselte Scholz damals: „Wir wollen daraus eine längere Geschichte werden lassen.“

Die eigentliche Schwäche der Ampel-Koalition aber besteht darin, dass diese Regierung längst nicht mehr regiert. Das zeigt sich etwa bei dem würdelosen Hin und Her um den Bundeshaushalt 2025.

Die Ampel ist weder willens noch fähig, Wichtiges und Unwichtiges zu definieren. Der Bürger reibt sich die Augen über einen Haushalt mit Tricksereien und wirklichkeitsfremdem Optimismus.

In den vergangenen Tagen, ausgerechnet beim sensiblen Thema Ukraine-Hilfen, präsentierten sich die Regierenden als Kleinkrämer. Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner behandeln die Ukraine mit buchhalterischem Eifer.

Doch das ist nicht alles. Das Kanzleramt soll dem Verteidigungsminister „verboten“ haben, Bedarf für die Ukraine beim Finanzminister anzufordern. Wie war das mit der Zeitenwende?

Die Wirkung der ungeklärten Ukraine-Hilfen ist verheerend, die Panik in der Ukraine verständlicherweise groß. Was bloß müssen die an der Front kämpfenden ukrainischen Soldaten von Deutschland denken?

Scholz schweigt, weil er nicht erklären will

Scholz rühmt Deutschland gern als größten Hilfslieferanten in Europa. Man wird den Verdacht nicht los, dass er das Signal „weniger Ukraine-Hilfen“ vor den Ost-Landtagswahlen bewusst gesetzt hat. Der Kanzler schwieg am Wochenende, wie so oft.

So hielt es Scholz auch zum Plan der Stationierung weitreichender US-Raketen auf amerikanischen Stützpunkten in Deutschland ab 2026. Am Rande des Nato-Gipfels im Juli in Washington hatten die USA und Deutschland die Raketen-Stationierung angekündigt und als Reaktion auf Bedrohungen durch Russland rechtfertigt.

Selbst SPD-Spitzenpolitiker wurden von der Erklärung von Scholz und Joe Biden überrascht. Scholz ließ die Debatte laufen. Ihren Höhepunkt fand sie, als SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich vor einer „Eskalation“ warnte. Erklärt hat Scholz den Schritt bis heute nicht. Er schweigt, weil er nicht erklären will.

Als ein „gelungenes Kunstwerk“ pries Olaf Scholz Anfang Juli die späte Einigung auf den Haushalt 2025. Die genauen Zahlen der Etats verschwiegen Kanzler, Vizekanzler und Finanzminister den Abgeordneten und der abgeneigten Öffentlichkeit zunächst. Kein Wunder. Neben der heftigen Deckungslücke hatte die Ampel mitnichten „gespart“.

Der Kanzler will Zumutungen vermeiden, dies seinem Nachfolger überlassen. Da denkt jemand nicht etwa in Jahrzehnten, da will jemand über den nächsten Monat, die nächste Woche kommen.

Nach Bekanntwerden des jüngsten Haushaltskonstrukts, noch immer mit einer Deckungslücke von zwölf Milliarden Euro, fragten selbst Wohlmeinende: Worüber bitte haben Scholz, Robert Habeck und Lindner zwei Wochen lang geredet?

Erst auf den letzten Metern, nachdem eine vom SPD-Vorsitzenden gesetzte Frist verstrichen war, gab’s die neuerliche Einigung. Die Regierung geht mit dem Bundestag (Haushalts-Gesetzgeber!) um, wie ein Hamburger Senator mit dem Denkmalschutzamt.

Und die Abgeordneten von SPD, Grünen und FDP? Lassen sich das bieten. Das Einzige, was sie alle noch zusammenhält, ist die Sorge vor dem Machtverlust.

Zur Startseite

  • Aktuelle Umfragen, Prognosen, Analysen. Ergebnisse, Wahlkarten und die aktuelle Sonntagsfrage
  • Ampelkoalition
  • ARD
  • Bündnis 90 / Die Grünen
  • Christian Lindner
  • Deutscher Bundestag
  • Europawahl
  • FDP
  • Joe Biden
  • Olaf Scholz
  • Robert Habeck
  • Russland
  • Sachsen
  • SPD
  • Thüringen
  • Unsere Themenseite zum russischen Angriffskrieg
  • USA

showPaywall:falseisSubscriber:falseisPaid:falseshowPaywallPiano:false

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

Comments (0)
Add Comment