© Alamode Film / Judith Kaufmann
„Das Lehrerzimmer“ im Kino: Fake News in der Schülerzeitung
Ilker Çatak erkundet mit seiner Satire „Das Lehrerzimmer“ die Schule als Labor für die kulturellen Debatten der Gegenwart. Ungeschoren kommt bei ihm niemand davon.
Von Andreas Busche
Null-Toleranz-Politik klingt nicht gerade nach moderner Bildungsarbeit, aber was soll man machen, wenn das Lehrpersonal unterbesetzt ist und an der Schule ein Dieb umgeht? „Wir haben hier eine sogenannte Null-Toleranz-Politik“: Den Satz wird Carla Nowak (Leonie Benesch) von der Rektorin Böhm (Anne-Kathrin Gummich) noch öfter zu hören bekommen. Irgendwann führt sie ihn nur noch genervt zu Ende.
Die junge Lehrerin tritt voller Idealismus ihren ersten Job an einem Gymnasiun an, das sich überall in Deutschland befinden könnte. Aber ihr erster Einsatz in Ilker Çataks „Das Lehrerzimmer“ ist gleich ein Krisengespräch; eine Verhörsituation, um genau zu sein.
Ressentiments und null Toleranz
Die Kollegen Liebenwerda (Michael Klammer) und Dudek (Rafael Stachowiak) nötigen die beiden Klassensprecher Jenny (Antonia Luise Krämer) und Lucas (Oscar Zickur) dazu, den möglichen Täter anzuschwärzen. Die neue Klassenlehrerin zeigt sich perplex angesichts dieses unpädagogischen Übergriffs.
„Das Ganze ist freiwillig, aber wer nichts zu verbergen hat, der braucht auch nichts zu befürchten“, ist noch so ein Satz, der im Film sinngemäß mehrmals fällt. Auch, als die Rektorin in Carlas Klassenzimmer platzt, um die Portemmonaies der Jungen zu durchsuchen. Das Filzen endet bei Ali (Can Rodenbostel), der an diesem Tag „überdurchschnittlich viel“ Geld dabei hat. Kurz darauf sitzen die Eltern im Lehrerzimmer und müssen sich rechtfertigen.
Ilker Çatak („Es gilt das gesprochene Wort“) braucht in seinem vierten Spielfilm keine zehn Minuten, um auf Betriebstemperatur zu kommen. Judith Kaufmanns Kamera ist ständig in Bewegung, sie befindet sich mitten im Geschehen: auf den Fersen von Leonie Benesch, frontal und in der Rückansicht, wenn Carla durch die Schulkorridore marschiert; im Klassenraum, wo sich zwischen den Schülerinnen und Schülern immer neue Allianzen bilden.
„Das Lehrerzimmer“ entwickelt vom ersten Moment an mit seinen filmischen Mitteln die Suspense eines Thrillers. Marvin Millers minimalistischen Streicher-Score, der unerbittlich am Nervenkostüm zerrt, unterstreicht die gehetzte Anspannung im Gesicht von Benesch.
Doch der vermeintliche Thriller-Plot erweist sich in „Das Lehrerzimmer“ bald als zweitrangig, die Täterin wird schnell überführt. Carla, immer noch empört vom Vorgehen der Kollegen, deren Ressentiments und „null Toleranz“, filmt mit der Laptopkamera heimlich das Lehrerzimmer, dabei ertappt sie die Sekretärin Kuhn (Eva Löbau), die „gute Seele der Schule“ und Mutter ihres Lieblingsschülers Oskars (Leonard Stettnisch), auf frischer Tat.
Kuhn streitet den Diebstahl zwar ab, dreht den Spieß sogar um und beschuldigt Carla, das Kollegium auszuspionieren. Am nächsten Tag wird sie trotzdem zwangsbeurlaubt. Womit die Gerüchte unter den Mitschülerinnen -und schülern zu kursieren beginnen.
Laboratorium für Kulturkämpfe
Anders als der andere große deutsche Schulfilm der jüngeren Zeit, Maria Speths Langzeitstudie „Herr Bachmann und seine Klasse“, fungiert das Klassenzimmer bei Çatak weniger als realitätsgetreues Modell der Gesellschaft. Es ist vielmehr ein Laboratorium, in dem die kulturellen Debatten unserer Zeit mutwillig erhitzt werden.
Sein Film zeigt dabei überaus pointiert, wie wenig in unserer hochsensibilisierten Zeit schon reichen kann, um einen Dialog zu verunmöglichen. Die Schule ist der exemplarische Ort, an dem unsere „Kulturkämpfe“ ausgetragen werden, weil hier die nächste Generation bereits auf die Anforderungen der Zukunft vorbereitet wird.
Der Lehrer Liebenwerda (Michael Klammer) fordert von Carla (Leonie Benesch) Solidarität mit den Kollegen.
© Alamode Film / Judith Kaufmann
Carla Nowaks an den Lehren der modernen Pädagogik geschulter Idealismus – sie betrachtet ihre Schülerinnen und Schüler als gleichberechtigte Gesprächspartner, exerziert vor dem Unterricht aber auch ein waldorfhaftes Morgenritual – stößt einerseits auf die immer noch autoritären Strukturen im Lehrerzimmer. Und gleichzeitig auf eine trotzige Schülerschaft, die den guten Absichten der Klassenlehrerin nicht über den Weg traut.
So steht Carla bald zwischen den Fronten: den überforderten Kollegen, die insgeheim ihre Ressentiments pflegen, Helikoptereltern, die Bildung als Dienstleistung verstehen – und den Jugendlichen, den schwächsten Gliedern der Kette, die sich mit einem diffamierenden Artikel in der Schülerzeitung gegen ihre Lehrerin verschwören.
Bildung als Dienstleistung
Der Versuchsaufbau von „Das Lehrerzimemr“ ist auch deswegen so überzeugend, weil Çatak die Konflikte nie eskalieren lässt. Er erhöht nur langsam die Temperatur, stets am Rande der Satire. Dass Liebenwerda, der Lehrer mit den größten kulturellen Vorurteilen und offen für totalitäre Methoden, selbst schwarz ist, muss darum gar nicht explizit thematisiert werden. Çatak verzichtet auch darauf, Carlas Privatleben zu durchleuchten. Einmal spricht Dudek sie auf Polnisch an, was ihr sichtlich peinlich ist.
Wir sollen diese Menschen und ihre Werte allein an ihrer beruflichen Performance messen. Und in der ansteigenden Drucksituation schießen alle irgendwann über das Ziel, auch Carla mit ihren Idealen. Aber auf oberflächliche Psychologisierung lassen sich Çatak und sein Ko-Autor Johannes Duncker nicht ein. Dass da trotzdem voll entwickelte Charaktere vor der Kamera stehen und keine „Figuren“, bis in die kleinste Nebenrolle der Schülerinnen und Schüler, macht „Das Lehrerzimmer“ zu mehr als einer bloßen Fallstudie.
Was von unseren sozialen Räumen bleibt, wenn man ihre Bewohner entfernt, sieht man in der Schlusssequenz, die die modernistische Sechziger-Jahre-Architektur – eine Zeit, in der auch die Lehrmethoden Carlas noch pädagogische Avantgarde waren – zu einer Reihe von Stillleben montiert. Die Schulkorridore wirken sauber und aufgeräumt. Aber sie sind tote Räume ohne die Fehlbarkeit der Menschen.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de