© dpa/Henning Kaiser
Das Versagen von Scholz und Merz: Es fehlt die emotionale Antwort auf Solingen
Die Bundesregierung reagiert auf die Terrornacht in Solingen mit einem Maßnahmenpaket. Damit allein wird sie den Menschen aber nicht die Angst nehmen. Es braucht dringend mehr Empathie.
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Nach dem Terror der Islamisten ist die ganze Staatsspitze auf der Straße. Zusammen mit hunderttausenden Bürgern zieht sie durch die Stadt, um den Tätern zu signalisieren, dass sie diese offene, freie Gesellschaft nicht zerstören können. Mit einem solchen „Republikanischen Marsch“ hat der damalige französische Präsident François Hollande 2015 in Paris auf den Anschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ reagiert. Ein beeindruckendes Zeichen der Widerstandskraft der Demokratie.
Nachdem ein mutmaßlicher Islamist das Stadtfest von Solingen angegriffen hat, sind nicht einmal ansatzweise vergleichbare Bilder entstanden.
Zwar reiste Kanzler Olaf Scholz in die Stadt im Bergischen Land. Er sprach hinter verschlossenen Türen mit Rettungskräften, Polizisten und Notfallseelsorgern. Doch in seinem kurzen anschließenden Pressestatement ging Scholz auf das, was ihm diese mutigen Ersthelfer erzählt haben, nicht weiter ein. Und dann rauschte der Kanzlertross auch schon ab. Mehr als 200 Solinger, die hinter einer Polizeiabsperrung auf Scholz warteten und sich von ihm Antworten erwarteten, ignorierte der Kanzler.
Es braucht Symbolpolitik
Scholz gelang es so nicht, eine emotionale, empathische Antwort auf den Horror und das Grauen zu geben. Dieses Versäumnis wiegt schwer. Denn um wirksam auf Terror zu reagieren, braucht es neben sachlich gebotenen Maßnahmen die in Deutschland stets verdächtige Symbolpolitik.
51Muslime ermordete ein Rechtsterrorist 2019 in zwei Moscheen in Neuseeland.
Die Terroristen verstehen es auf grausame Art meisterhaft, Emotionen zu bedienen. Wer ein Stadtfest angreift, der greift den Zusammenhalt in diesem Land an. Er will den Menschen Angst machen. Sie sollen sich bei jeder Menschenansammlung fragen, ob nicht irgendwer ein Messer ziehen könnte. Um dieses Unbehagen zu erzeugen, produzieren Terroristen schreckliche Bilder: In Solingen lagen Menschen, die ein Konzert anhören und feiern wollten, nach der Messerattacke in ihrem eigenen Blut und kämpften um ihr Überleben.
Eine freie Gesellschaft sollte diese Bilder nicht unbeantwortet stehen lassen, weil sich das Unbehagen sonst einnistet. Die frühere neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern hat das begriffen. Als ein Rechtsterrorist 2019 in zwei Moscheen in Christchurch 51 Muslime ermordete, band sich Ardern ein Kopftuch um, umarmte die Hinterbliebenen und trauerte mit ihnen. Mit Menschlichkeit entzog Ardern der spalterischen Botschaft des Täters die Grundlage.
Nur Maßnahmenpakete beruhigen nicht
Scholz hat sich nach Solingen hingegen entschieden, den Fokus auf die Handlungsfähigkeit des Staates zu legen. Bereits am Donnerstag – da war die Terrornacht noch nicht eine Woche her – legte seine Regierung ein Maßnahmenpaket vor.
Es enthält sinnvolle Punkte. So sollen Ermittler künftig mit automatischer Gesichtserkennung im Internet nach Tatverdächtigen suchen dürfen. Auf Stadtfesten sollen Messer künftig verboten sein. Das allein wird den Menschen die Angst vor Terror aber nicht nehmen.
Zum einen, weil es eine absolute Sicherheit in einer freien Gesellschaft nicht gibt. Schon fordern die ersten mehr – etwa die Polizeigewerkschaft. Und zum anderen, weil viele von Scholz‘ Sicherheitspaket nicht erfahren werden. Der Terror in Solingen hat auch Menschen schockiert, die nicht mehr aktiv Nachrichten konsumieren. Um ihnen neue Sicherheit zu geben, braucht es Gesten und Bilder, die auch als kurze Videos auf Instagram und Tiktok funktionieren.
Merz bedient die Wut
Scholz hat das offensichtlich nicht begriffen. Das emotionale Vakuum, das so entstanden ist, hat CDU-Chef Friedrich Merz mit etwas anderem gefüllt: mit Wut.
Er sprach von einer nationalen Notlage, er warnte, Scholz entgleite das Land und er will, weil der mutmaßliche Täter ein Geflüchteter aus Syrien ist, keine Syrer und Afghanen und am liebsten gar keine Geflüchteten mehr ins Land lassen.
Die Islamisten wollen Chaos verbreiten und spalten. Diesen Botschaften wirkt Merz nicht entgegen. Das ist ein noch größeres Versäumnis als die Emotionslosigkeit des Kanzlers. Denn auch Geflüchtete und Muslime griff der Attentäter von Solingen an und auch sie fürchten sich.
Die Biografie des mutmaßlichen Täters Issa al H. legt es nahe, dass Abschiebungen von Geflüchteten erleichtert werden müssen. Zu irrsinnig erscheint das Behördenversagen. Nur darf dabei nicht der Eindruck entstehen, als mache die Mehrheitsgesellschaft alle Geflüchteten für die Tat eines Einzelnen verantwortlich. Merz hat das unfassbar schwierig gemacht.
Am Sonntag reist nun Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach Solingen. Man muss hoffen, dass wenigstens er den Menschen Trost spendet. Wer hörte, wie Steinmeier als erste Reaktion eine Reform des BKA-Gesetzes forderte, muss daran allerdings zweifeln.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de