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Deutschland, der Rassismus und die EM: „Wir waren im Fußball immer schon weiter“

Deutschland, der Rassismus und die EM: „Wir waren im Fußball immer schon weiter“

© ARD/WDR

Deutschland, der Rassismus und die EM: „Wir waren im Fußball immer schon weiter“

Louis Klamroth wollte in „hart aber fair“ über die Neuauflage des Sommermärchens von 2006 reden. Doch ein anderes Thema bewegte seine Runde viel stärker.

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Zwei Wochen vor dem Beginn der Fußball-Europameisterschaft will Talkshow-Moderator Louis Klamroth von seinen Gästen in „hart aber fair“ wissen: „Deutschland vor der Fußball-EM: Wie geht ein zweites Sommermärchen“. Doch der Optimismus, dass jetzt wieder „alles schwarz-rot-geil“ wird, wirkt zur späten Abendstunde nach dem Testspiel der Deutschen gegen die Ukraine eher angestrengt als zuversichtlich.

Ein Grund dafür ist die TV-Dokumentation „Einigkeit und Recht und Vielfalt“ von Filmemacher Philipp Awounou. „Ein Team, das stolz für Deutschland spielt, aber nicht ganz Deutschland ist stolz auf dieses Team“ heißt es darin über die Nationalmannschaft. Insbesondere eine Umfrage, nach der sich viele Deutsche – immerhin 21 Prozent – mehr weiße Spieler im deutschen Kader wünschen, schlägt gerade hohe Wellen.

Im ARD-Talk verteidigt Awounou die Umfrage gegen alle Kritik auch von Bundestrainer Julian Nagelsmann, insbesondere im Kontext der Dokumentation. „Es ging darum, ob diese Aussagen einen relevanten Teil der Bevölkerung darstellen oder auch nicht“, sagt der Filmemacher. „Wenn man rassistische Haltungen wissenschaftlich überprüfen will, muss man sie reingeben.“ So funktioniere empirische Sozialforschung nun mal. „Das ist gängige Praxis“, so Awounou, der selbst Bauchschmerzen mit solchen Sätzen hat und sich wünscht, dass sich die Menschen darüber aufregen.

Für die Runde von Louis Klamroth ist dieser Rassismus eher ein Problem der Gesellschaft als des Fußballs. Lars Klingbeil, SPD-Chef und Mitglied im Verwaltungsbeirat des FC Bayern München, sieht durchaus ein Erstarken rassistischer Tendenzen in der Bevölkerung: „Wir leben gerade in einem Land, wo der Rassismus leider wieder mehr geworden ist“. Aussagen wie die, die Awounou erlebt habe, kenne er auch, wenn er als Politiker unterwegs sei. „Das ist da, es würde überhaupt nichts bringen, das wegzuwischen.“ Er finde es schade, dass diese sehenswerte Dokumentation nun auf diese Umfrage reduziert werde.

Sportjournalistin Lena Cassel meint: „Ich würde mich zu einer heißen These hinreißen lassen, dass der Fußball und auch das Fußballstadion ein bisschen weiter gekommen ist als ein Großteil der Gesellschaft.“ Der Fußball und die Fankultur seien immer diverser geworden. Sie stellten mittlerweile das Bild einer vielfältigen Gesellschaft dar.

„Wir können froh sein, dass wir diese Spieler mit Migrationshintergrund überhaupt haben. Sie würden uns enorm fehlen, wenn wir sie nicht hätten. Wir können froh sein, dass sie für unser Land spielen und nicht für andere Länder“, ergänzte Fußballweltmeisterin Fatmire Alushi.

Zeigt die Fahne. Seid stolz drauf.

Fredi Bobic wurde mit der deutschen Nationalmannschaft 1996 Europameister.

Fredi Bobic, EM-Sieger von 1996, sieht das Problem weniger in den Kabinen und auf den Fußballplätzen, sondern vielmehr im gesamtgesellschaftlichen Kontext und vor allem in den sozialen Medien. „Wir waren im Fußball immer schon weiter und die Kabine war immer schon weiter im Fußball.“ Es sei nie darüber diskutiert worden, „wer von wo ist und wie auch immer und welche Kultur er hat, welche Hautfarbe er hat und welcher Religion er nacheifert oder glaubt“. E sei schade, dass „wir über diese 20 Prozent reden müssen“.

Tim Bendzko, Sänger einer der offiziellen EM-Songs, findet es erschreckend, dass es in allen Teilen der Bevölkerung wachsenden Rassismus gebe. „Es ist Wahnsinn, dass man Angst haben muss, seine Songs irgendwo zu spielen, weil die Leute auch Wahnsinn mitsingen.“ Man habe immer den Eindruck, dass die, die am lautesten sind, die vorrangige Kraft sind. „Aber das ist Quatsch.“

Doch kann Deutschland noch Sommermärchen? Lars Klingbeil hat darauf eine politische Antwort parat: „Ich habe den Anspruch an uns, dass wir ein guter Gastgeber sind, dass wir an allen Orten, wo die Spiele stattfinden, wo die Mannschaften untergebracht sind, gute Gastgeber sind und uns auch nicht präsentieren mit so einem stumpfen Nationalismus oder Patriotismus, sondern als Land, das offen ist und das allen auch zeigt: Herzlich willkommen.“

Für Lena Cassel geht es um mehr als den Fußball. Die WM von 2006 sei ein Beispiel gewesen, „dass der Fußball sehr viel bewirken kann „auf einer weichen Temperaturebene“. Es geht nicht nur um Tore, es geht nicht nur um Sieg und Niederlage. Der sportliche Erfolg ist eine Bedingung dafür, dass wir Geschichten bauen können“, erinnert sie sich an das Sommermärchen von 2006. Die Zutaten für die Geschichten hätten wir trotz einer komplett anderen Realität auch jetzt.

Ich glaube nicht, dass wir ins Halbfinale kommen. Wir gewinnen jetzt. 

Liedermacher Tim Bendzko ist bei der EM mit einem offiziellen Song vertreten.

Und dann ging es auch noch um den Sport, die Aussichten der deutschen Mannschaft und den Job von Bundestrainer Julian Nagelsmann. Fredi Bobic verteidigt dessen Strategiewechsel. „Du brauchst einen richtig guten Kader, der miteinander an den Themen arbeitet“, sagt der Fußballmanager. Er können das gut sagen, „weil wird das 1996 so hatten. Von 23 Spieler hätten 21 gespielt und wir haben uns gut verstanden“. Er sei sehr zuversichtlich, dass „wir eine gute EM spielen“. Dann bleibe der eine oder andere Star vielleicht auch mal komplett draußen, so Bobic.

Podcasterin Lena Cassel lässt sich von Nagelsmanns Leitkultur anstecken. „Das reißt uns alle mit, das Team wirkt wirklich nahbar und transparent. Ich glaube, wenn Maxi Mittelstädt im Jahr 2024 sein Länderspieldebut gibt und im Stadion „Major Tom“ erklingt, dann können wir auch noch Europa-Meister werden“, ist Cassel sicher.

Tim Bendzko hätte es Mats Hummels gewünscht, dass er bei dieser EM dabei ist, stellt die Entscheidung von Nagelsmann dennoch nicht in Frage. Was den Ausgang der EM angeht, gilt für ihn. „Ich hoffe, dass wir eine Stimmung bekommen, wie wir sie 2006 hatten, auch wenn wir davon gerade meilenweit entfernt seien.“ Und: „Ich glaube nicht, dass wir ins Halbfinale kommen. Wir gewinnen jetzt“.

Die Deutschlandfahne und den Fußball-Patriotismus von 2006 wollten sich am Montagabend niemand streitig machen lassen. „Die Deutschlandflagge gehört Jonathan Tah und Musiala und Thomas Müller. Sie gehört nicht der AfD oder anderen Rechtsextremisten“, postulierte SPD-Chef Klingbeil. Und Fredi Bobic sagt: „Zeigt die Fahne. Seid stolz drauf.“

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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