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Feminismus und Punk : Niemand sagt Güner Künier, wo’s langgeht

Feminismus und Punk : Niemand sagt Güner Künier, wo’s langgeht

© Magnus Krüger

Feminismus und Punk : Niemand sagt Güner Künier, wo’s langgeht

Güner Künier gehört mit ihrer Mischung aus Minimal Wave und Postpunk zu den spannendsten Neuentdeckungen der Berliner Musikszene. Freitag ist sie auf der Fête de la Musique zu sehen.

Von Andreas Busche

Auftritte von Güner Künier erinnern eher an Performancekunst. Die Gitarre umgeschnallt, vor sich einen Synthesizer, ist die 34-Jährige momentan eine der spannendsten One-Woman-Bands in der Berliner Do-It-Yourself-Szene. Im Studio kann man die bescheidenen Produktionsbedingungen noch kaschieren. Ihr Solodebüt „A​​​ş​​​k“ hat sie im Sommer 2022 mit dem befreundeten Musiker Sid Vision eingespielt, auf Platte besitzt ihr roher Minimal Wave mit einigen scharfen Postpunk-Interventionen eine gewisse Band-Anmutung.

Aber live gibt es keine Tricks und keinen doppelten Boden: Künier steht mit ihren sperrigen Instrumenten, ein paar programmierten Beats und melancholisch-verhallten Melodien allein auf der Bühne und betreibt Multitasking.

Nach über zehn Jahren in diversen Indie- und Punk-Bands war es ein großer, aber wichtiger Schritt, sich dem Publikum allein zu stellen. Geholfen haben dabei auch ein paar Jahre Schauspielunterricht. „Ich hab mich in der Schauspielerei anfangs sicherer gefühlt“, erzählt die Musikerin beim Treffen in einem Neuköllner Café.

Musik als Emanzipationsgeschichte

Musik ist für Künier in vielerlei Hinsicht eine Emanzipationsgeschichte. „In meinen Bands war ich immer zu pushy und hab die anderen gestresst. Oft wurde ich dadurch enttäuscht, weil keiner in meinem Tempo mitgehen wollte. Ich hatte dieses Bedürfnis nach Ausdruck und Auftritten. Und weil ich nicht mehr ständig gegensteuern wollte, fing ich an, meine eigenen Sachen zu machen. Mehr Experimentelles ausprobieren, mit Synthesizern.“  

Künstlerischer Ausdruck und die Suche nach der eigenen Identität sind in den Arbeiten von Künier kaum voneinander zu trennen. 2022 machte sie erstmals auf sich aufmerksam, als sie auf dem „Pop-Kultur“-Festival die Auftragsarbeit „Papa don’t kill“ vorstellte, eine Mischung aus Konzert, Video-Installation und Performance.

„Ich habe, als ich vor Jahren in der Türkei war, ganz viele Videos gemacht, um sie meinen Freunden zu zeigen. Aus dem Bedürfnis heraus, diese Welt mit den Menschen hier zu teilen. Als dann die Anfrage von Pop-Kultur kam, dachte ich: Zeige ich die Filme doch gleich allen.“

Es war ein Prozess, zu erkennen, dass meine Musik einen Wert hat.

Güner Künier 

Der Titel deutet bereits das schwierige Verhältnis zu den Eltern an, die Anfang der 1990er Jahre von Izmir ins nordische Flensburg kamen, ein echter Kulturschock. „Das war so eine richtige Gastarbeiter-Geschichte“, erinnert sich Künier. In ihrer konservativen Familie gab es nur wenig Freiräume. „Als Teenie ging es mir scheiße, ich hab nie ein sicheres Zuhause gehabt und mich darum in die Musik geflüchtet.“

In den 1990er Jahren in Flensburg bedeutet das vor allem: viel MTV. „Alles hat mich zurückgehalten, ich konnte meine Werte gar nicht ausleben.“ In ihrer Freizeit hing sie manchmal im Jugendzentrum rum, lernte schon mit zehn Jahren Gitarre. Als 13-Jährige organisierte sie erste Shows. 

Solitär in einer weißen Szene

Seit zehn Jahren lebt Güner Künier inzwischen in Berlin und ist Teil eines umtriebigen Netzwerks aus Labels und Musiker-Kollektiven im Umfeld von Neuköllner Clubs wie dem OGH und dem Loophole. In der Pandemie leistete diese Szene Hilfe zur Selbsthilfe, in den Proberäumen entstand eine Vielzahl neuer Bandprojekte. Und weil die Clubs geschlossen waren, wurden die Proben eben direkt im Netz gestreamt. Hier entstand die Idee zu „A​​​ş​​​k“.

„Ich war anfangs nicht selbstbewusst genug zu sagen, das ist gut genug, um es auf Vinyl zu pressen“, erinnert sich Künier. „Ich wollte die Songs anfangs nur digital veröffentlichen. Es war ein Prozess, zu erkennen, dass meine Musik einen Wert hat.“

Feminismus und Punk : Niemand sagt Güner Künier, wo’s langgeht

Immer noch auf der Suche: Fragen der Identität beschäftigen Güner Künier in ihren Songs.

© Magnus Krüger

Ihre Zweifel hatten lange auch damit zu tun, dass Künier sich als junge Frau mit türkischer Familiengeschichte in dieser sehr weißen Szene wie ein Solitär fühlte. Was die einzelnen Gruppen zusammenhält, ist ein Interesse an Punk, experimenteller Minimal-Elektronik und DIY-Praktiken. Sie trennen aber kulturelle Erfahrungen und Fragen der Identität, auf die Künier sich selbst bis heute noch keinen Reim machen kann.

In dem dubbigen Noir-Wave-Song „Places“ singt sie mit verzerrter Stimme über eine traurig dahintröpfelnde Synthesizer-Melodie: „No one told me where to go/ I belong to all these places“. Sie sei immer noch auf der Suche nach diesem Platz, sagt sie lachend, meint damit aber eher einen Bewusstseinszustand als einen realen Ort.

Die Sprache ist für Künier ein Schlüssel, bestimmte Erfahrungen auszudrücken. Auf „A​​​ş​​​k“ (auf Deutsch: Liebe) singt sie erstmals in der Muttersprache ihrer Eltern. „Manchmal versteht man ja erst viel später, was man da eigentlich gemacht hat. Wenn ich auf Türkisch singe, steckt dahinter unbewusst schon eine Aussage. Vor einem Jahr hätte ich das wohl noch nicht gesagt, aber in meinen türkischen Texten bin ich etwas kindlicher. Es fühlt sich roher an, während das Englische eher eine Pose ist.“

Gerade hat sie ihr zweites Album aufgenommen, das nach dem überraschenden Kritikererfolg von „A​​​ş​​​k“ ein paar Erwartungen weckt. Und auf dem neuen Album von Andreas Dorau war sie kürzlich mit Brezel Göring von Stereo Total im Song „Rainy Days in Moscow“ zu hören. Auch in Hamburg ist inzwischen angekommen, dass Künier zu den aufregendsten Berliner Neuentdeckungen der vergangenen Jahre gehört. Popmusik ist ja immer dann am interessantesten, wenn sie noch mitten im Prozess einer Selbstfindung steckt. Man kann also nur hoffen, dass Güner Küniers Suche noch nicht vorbei ist.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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