© Getty Images/iStockphoto/Anna Frank
Fünf Schritte in die Sicherheit: So retten Sie sich aus einer gewalttätigen Beziehung
Eine Trennung vom gewalttätigen Partner ist schwierig, aber möglich. Expertinnen erklären, wie es gelingt, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen.
Von
Sie werden beschimpft, gewürgt, eingesperrt: Knapp 115.000 Frauen sind 2021 in Deutschland Opfer von Gewalt ihrer Partner geworden. Dies sind allein die beim Bundeskriminalamt registrierten Fälle – rechnet man die mit, deren Gewalterfahrung nicht angezeigt wird, dürften es deutlich mehr sein.
Nach Angaben des Bundesfamilienministeriums hat jede vierte Frau in ihrem Leben schon einmal Gewalt durch einen Partner erlebt.
Die Sozialarbeiterin Ev von Schönhueb berät im Berliner „Frauenraum“ unter anderem Frauen, die sich wegen der Gewalt ihres Partners trennen wollen. „Gerade in langen Beziehungen besteht eine emotionale Abhängigkeit“, sagt sie. Frauen warteten deshalb mit der Trennung, sie fühlten Schuld, Scham und Angst. Sie fürchteten, danach keinen neuen Partner zu finden oder dass die Trennung den Partner zu neuer Gewalt provozieren könnte.
„In der Regel werden die Verletzungen schlimmer und die Zeiträume dazwischen kürzer“, sagt die Sozialarbeiterin. Doch der Gewalt unbemerkt zu entfliehen, ist Expertinnen zufolge schwierig. Auch wenn es sinnvoll ist, wenn der Partner wiederholt gewalttätig wird. Man sollte dabei allerdings einige Dinge beachten. Hier finden Sie die fünf wichtigsten Schritte zum Nachlesen.
1. Beweise sichern
Häusliche Gewalt ist vielseitig: Sie umfasst finanzielle Kontrolle, körperliche Verletzungen, sexuelle Gewalt, aber auch Drohungen oder Erniedrigungen. Blaue Flecken oder ein blaues Auge sind auf Fotos leicht erkennbar. Schwieriger wird es bei einer gebrochenen Rippe. Körperliche Verletzungen sollten deswegen Expertinnen vorgezeigt werden, etwa in Gewaltambulanzen wie der an der Berliner Charité. Dort können Personen, die Gewalt erlebt haben, ihre Verletzungen kostenlos rechtsmedizinisch untersuchen und dokumentieren lassen – auch ohne eine Anzeige bei der Polizei.
Eine App soll helfen
Gerade für Frauen, deren Partner sie stark kontrollieren, ist das vielleicht nicht machbar. Besser als gar keine Dokumentation sind Fotos mit dem eigenen Handy, allerdings sind die dabei gespeicherten Informationen über den Ort und den Zeitpunkt der Aufnahme leicht manipulierbar. Die App des Berliner Vereins „Gewaltfrei in die Zukunft“ setzt dort an: Bilder, die in der App aufgenommen werden, erhalten einen nicht fälschbaren digitalen Stempel, sodass die Gewaltdokumentation auch gerichtsverwertbar ist.
Die App ist passwortgeschützt. Sie unterstützt bei der Einordnung der eigenen Situation und kann an die Handynutzung von Betroffenen angepasst werden. Bisher gibt es die App nur in Hannover und Berlin, ab kommenden Herbst soll sie schrittweise in weiteren Bundesländern eingesetzt werden.
Alles aufschreiben, Nachrichten weiterleiten
Deutlich häufiger als Schläge sind Erniedrigungen, Manipulationen, Drohungen: Laut einer deutschlandweiten, repräsentativen Befragung aus diesem Jahr hat mehr als die Hälfte der Frauen schon einmal psychische Gewalt durch ihren Partner erfahren. „Oft bezweifeln von Gewalt betroffene Personen im Nachhinein, dass wirklich alles so schlimm war und haben das Gefühl, sie übertreiben“, sagt Juliana, psychosoziale Beraterin der BIG-Hotline (siehe Infokasten). „Personen, die Gewalt erlebt haben, sollten alles aufschreiben, das gesagt wurde, welche Emotionen das in ihnen ausgelöst hat und wie die gewalttätige Person aufgetreten ist.“ Auch, um sich selbst sicher zu sein. Zusätzlich sei es gut, Nachrichten oder Mails, die Drohungen enthalten, zu speichern oder an eine Freundin zu schicken.
2. Neues Handy und neue Konten einrichten
Mit Smartphones sind Menschen heute theoretisch immer und überall verfolgbar. Wer etwa Teil derselben Apple-Familie ist, kann in der Regel den Standort aller mit der Familie verknüpften Geräte sehen, auch ohne zusätzliche Spionagesoftware. Man kann diese Funktion ausschalten, das ist aber sichtbar – im Zweifel auch für den Partner. Solange das Handy wie im Flugmodus offline ist, aktualisiert es seinen Standort nicht. Wer gezielt danach sucht, dürfte auch das verdächtig finden.
Frauen sollten alles, was passiert, schriftlich festhalten, weil sie sich sonst leicht selber misstrauen.
© freepik
Expertinnen empfehlen deswegen ein Zweithandy mit anderer SIM-Karte. Kontrolliert der gewalttätige Partner die Finanzen, können Freundinnen Geld leihen, vielleicht auch den Kauf übernehmen, falls der Partner die Betroffene überwacht. Wer eine Trennung plant, sollte sich aber möglichst schnell ein eigenes Konto einrichten, sagt Sozialberaterin von Schönhueb. Das geht auch schon vor der Trennung, sollte aber spätestens kurz danach passieren. Denn gerade, wenn eine Frau finanziell abhängig von ihrem Mann sei und kein eigenes Einkommen habe, brauche sie ein eigenes Konto, um später staatliche Unterstützung wie Kinder- oder Bürgergeld zu erhalten.
3. Den Partner auf Distanz halten
Wird ein Partner gewalttätig, kann auch er zum Gehen gezwungen werden. Ein Polizeieinsatz könne eine Gewaltsituation schnell auflösen, sagt Sozialarbeiterin von Schönhueb. „Wenn der Einsatz gut läuft, wird der Mann weggewiesen“, sagt sie. Das bedeutet, dass die gewalttätige Person unter polizeilicher Aufsicht einige Sachen packen darf, dann aber den Wohnungsschlüssel abgeben und die Wohnung verlassen muss. Betroffene könnten dann bis zu 14 Tage in ihrer Wohnung bleiben, ohne dass der Mann diese wieder betreten dürfe, sagt von Schönhueb.
Eine Trennung steigert das Risiko von Gewalt. Frauen sollten sich deshalb unbedingt beraten lassen.
© Getty Images/Geber86
„So können auch die Kinder weiter in die gewohnte Kita oder Schule gehen.“ Und Frauen hätten etwas Zeit, um sich beraten zu lassen und beim Familiengericht einen sogenannten Gewaltschutzantrag zu stellen. Mit diesem können Betroffene eine in der Regel sechs Monate lang gültige Anordnung erreichen, die regelt, dass der gewalttätige Partner sich nicht mehr nähern oder die gemeinsame Wohnung betreten darf.
Einen Gewaltschutzantrag können Betroffene mündlich oder schriftlich bei einem Familiengericht stellen. „Im Fall einer konkreten Gewalttat besteht ein sogenanntes Eilbedürfnis, eine Entscheidung ist also besonders dringlich“, sagt Julia Eisemann, die als Familienrechtsanwältin mit Frauen arbeitet, die häusliche Gewalt erlebt haben. Deswegen sollte der Antrag am besten in Form eines Eilantrages gestellt werden, um schnell Rechtshilfe zu erhalten.
„Sollte man an einer neuen geheimen Adresse untergekommen sein, so ist bei Antragstellung unbedingt darauf hinzuweisen, dass die Adresse geheim bleiben soll“, sagt sie. Gewaltschutzverfahren sind Verfahren ohne Anwaltszwang, das heißt, dass der Antrag dazu auch ohne Anwalt gestellt werden kann. „Allerdings kommt es nicht selten vor, dass selbst nach Erlass eines Beschlusses eine mündliche Verhandlung anberaumt wird, wenn der Antragsgegner dies beantragt“, sagt Anwältin Eisemann. Seien Betroffene dann unsicher oder hätten Angst, dem Antragsgegner, also der gewalttätig gewordenen Person wieder zu begegnen, sei es ratsam, sich rechtlichen Beistand zu suchen. Kosten dafür können in manchen Fällen über die Verfahrenskostenhilfe abgedeckt werden.
4. Notfalltasche packen
Wer die gemeinsame Wohnung selbst verlässt, kehrt vielleicht für eine lange Zeit nicht zurück. Deswegen ist es wichtig, vorab einige Dinge zusammenzupacken: Kleidung und Dinge etwa, an denen man hängt. Noch wichtiger sind aber Dokumente: Personalausweis oder Reisepass, eventuell die Aufenthaltsgenehmigung oder den Führerschein, aber auch die Heiratsurkunde, die Geburtsurkunde, auch der Kinder. „Außerdem ist alles wichtig, was Einblicke in die Finanzen liefert“, sagt die psychosoziale Beraterin Juliana. Das umfasst Bescheinigungen über Sozialhilfe, Steuerdokumente, aber auch Dokumente wie den aktuellen Mietvertrag.
Wenn Frauen ihre Wohnung verließen, geschehe das oft eher spontan, sagt Sozialarbeiterin von Schönhueb. „Meistens, wenn der Partner gerade gewalttätig geworden ist.“ Deswegen sei es gut, die Notfalltasche rechtzeitig bei einer Vertrauensperson zu hinterlegen. Dort kann sie dem gewalttätigen Partner auch nicht zufällig in die Hände fallen.
Für Notfälle kann es außerdem hilfreich sein, den Wohnungsschlüssel einer Vertrauensperson zu haben. Denn Hilfe über Bekannte ist im Notfall schneller und unkomplizierter, als nachts einen Platz in einem Frauenhaus zu bekommen. Die sind seit Jahren überlastet; immer wieder passiere es, dass Frauen keinen Platz bekämen oder kurzfristig in einer Obdachlosen-Unterkunft unterkommen müssten, sagt die Sozialarbeiterin.
5. Hilfe in Anspruch nehmen
Wer sich entscheidet, zu gehen, muss das nicht alleine tun. „Das Wichtigste ist, dass man sich sicher ist, dass man diesen Schritt gehen möchte“, sagt von Schönhueb. Dafür brauche es professionelle Beratung, sagt sie, rechtlich wie psychosozial. Am schnellsten ist das per Telefon möglich, etwa über das Hilfetelefon des Bundes (siehe Infokasten), das rund um die Uhr besetzt ist und auch eine Beratung per Mail oder Chat anbietet. In Berlin erreichen Betroffene über die BIG-Hotline Hilfe. Von 8 bis 23 Uhr vermitteln dort Beraterinnen erste Informationen, einen Platz im Frauenhaus oder einer Schutzwohnung, aber auch den Kontakt zu Anwältinnen. Das ist besonders wichtig, wenn eine Betroffene Kinder hat.
Bei Kindern, die aktiv oder passiv häusliche Gewalt erlebt haben, ist immer eine Kindeswohlgefährdung gegeben, sagt Anwältin Eisemann. Im Einzelfall müsse geprüft werden, ob und wie perspektivisch ein Umgang mit dem gewalttätigen Elternteil möglich ist oder ob es zum Schutz der Kindesinteressen nötig ist, den Umgang zeitweise auszusetzen. „In so einem Fall ist das Kindeswohl immer vor die Rechte des umgangsberechtigten Elternteils zu stellen“, sagt Eisemann. Es empfehle sich daher, frühzeitig Kontakt zum Jugendamt aufzunehmen, um sich dort beraten zu lassen und Unterstützung zu bekommen.
In der Realität ist es für Frauen manchmal schwierig, unbemerkt einen Termin bei einer Beratungsstelle oder Anwältin wahrzunehmen oder sogar bei einer Hilfshotline anzurufen. Eine Alternative ist eine Erstberatung über E-Mail. Frauen sollten sich ohnehin eine neue E-Mail-Adresse zulegen, sagt eine der Telefonberaterinnen. Gerade dann, wenn sie mit ihrem Partner digitale Konten teilen. Am besten ist eine Mailadresse, die nicht leicht zu erraten ist – dann hat es der Ex-Partner auch nach der Trennung schwerer, Betroffene zu erreichen, die keinen Kontakt mehr möchten.
Eine Trennung steigert das Risiko von Gewalt. Will eine Betroffene nicht die Polizei oder andere Behörden einschalten, ist es deswegen besonders wichtig, die Trennung wirklich konsequent durchzuziehen. Das heißt auch: Profile auf Sozialen Medien löschen, die neue Adresse, Handynummer, E-Mail-Adresse geheim halten und den Kontakt zu Menschen abbrechen, über die der gewalttätige Ex-Partner Kontakt aufnehmen könnte. Es ist ein radikaler Weg, ein unglaublicher schwieriger, das berichten Expertinnen dieses Texts aus ihrer Erfahrung. Aber manchmal ist es der einzige, der der Gewalt ein Ende setzt.
Zur Startseite
- Charité: Alles zu Europas größter Universitätsklinik
- Sexualisierte Gewalt
showPaywall:falseisSubscriber:falseisPaid:falseshowPaywallPiano:false
Eine Quelle: www.tagesspiegel.de
Kommentare sind geschlossen, aber trackbacks und Pingbacks sind offen.