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Techno und Protest in Tiflis: „Manche werden mitgenommen, nur weil sie Parolen skandiert haben“

Techno und Protest in Tiflis: „Manche werden mitgenommen, nur weil sie Parolen skandiert haben“

© George Nebieridze

Techno und Protest in Tiflis: „Manche werden mitgenommen, nur weil sie Parolen skandiert haben“

Der Technoclub Bassiani zählt zu den besten der Welt. Derzeit unterstützt er die Demos gegen das umstrittene „Agentengesetz“. Bassiani-Sprecher Giorgi Kikonishvili über Polizeibrutalität, Solidarität und feiernde Russen.

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Giorgi Kikonishvili, seit Wochen gehen Menschen in Georgien auf die Straße, um gegen das umstrittene „Agenten-Gesetz“ zu protestieren, das gerade beschlossen wurde. Welche Rolle spielt die Clubszene dabei?
Die ganze Musikszene in Georgien, insbesondere die elektronische Musikszene, hat sich sehr laut gegen dieses Gesetz ausgesprochen. So gut wie alle Clubs, Festivals, Bars, Konzerthallen und Künstlerkollektive sind dabei: Vor einigen Tagen veröffentlichten wir ein gemeinsames Statement mit nahezu allen Akteuren der Branche, um das Vorhaben der Regierung zu kritisieren. Die Clubs spielen da eine aktive Rolle und mobilisieren viele junge Menschen. Das war auch im vergangenen Jahr so, als die Regierung dieses Gesetz initiierte: Man kannte sich auf der Straße von der Tanzfläche.

Auch der Technoclub Bassiani, dessen Sprecher Sie sind, unterstützt die Proteste. Wie sieht das konkret aus?
Wir wollen vor allem Bewusstsein für das Thema schaffen und veröffentlichen dazu viel in den sozialen Medien. Unser Sanitätsteam ist zudem auf der Straße und behandelt die Demonstrierende, die von der Polizei verletzt werden.

In der Nacht des 12. Mai – am Jahrestag einer großen Razzia im Club 2018, die zu großen Protesten geführt hat – haben unsere Resident-DJs auf dem Rustaweli-Boulevard aufgelegt. Aber kurz nach Beginn mobilisierte die Polizei weiter Richtung Parlament. Wir mussten die Musik ausmachen und den Demonstrierenden sagen, dass es zu weiteren Ausschreitungen kommen könnte.

Techno und Protest in Tiflis: „Manche werden mitgenommen, nur weil sie Parolen skandiert haben“

Blick in einen der Räume des Bassiani Clubs

© Levan Maisuradze

Auf Instagram schrieb das Bassiani, dass mehrere Teammitglieder festgenommen wurden. Mit welcher Begründung?
Sie sind inzwischen wieder frei. Aber es wird immer klarer, dass es der Regierung des „Georgischen Traums“ egal ist, ob sie einen legitimen Grund haben, Demonstrierende festzunehmen, oder nicht. Manche werden mitgenommen, nur weil sie Parolen skandiert haben. Es ist pure Willkür.

Das neue „Agenten-Gesetz“ soll „ausländische Einflussnahme“ in Georgien verhindern, es betrifft vor allem NGOs und Medien, die Geld aus dem Ausland erhalten. Warum ist die Clubszene so stark dagegen?
Dieses Gesetz wurde in Russland erfunden und breitet sich jetzt in mehreren postsowjetischen Ländern aus. Das Ziel ist, kritische, vor allem regierungskritische Stimmen mundtot zu machen. Die Regierung versucht damit, hier ein autoritäres Regime auf russische Art zu etablieren. Und das betrifft uns alle, besonders die Clubszene.

Im Bassiani treffen sich Homophobe auf Schwule und werden Freunde.

Giorgi Kikonishvil, Sprecher des Clubs

Das Bassiani eröffnete 2014, inzwischen hat der Club unter der Dinamo-Arena in Tiflis einen internationalen Ruf, gilt als „Berghain des Kaukasus“. Für welche Werte steht der Laden?
Das Bassiani wurde bewusst als politischen Club gegründet, unser Ziel war seit der ersten Stunde eine soziale und kulturelle Transformation der Gesellschaft. Unsere drei Grundwerte: Gleichheit, Freiheit und Solidarität. Seit Jahren ist der Club deshalb auch die Basis diverser sozialer Bewegungen, vor allem für queere, feministische und grüne Bewegungen.

Unser Ziel ist auch, eine Community von gleichgesinnten Personen zu schaffen, in der Menschen aus verschiedenen sozialen, politischen oder wirtschaftlichen Milieus zusammenkommen können. Im Bassiani treffen sich Homophobe auf Schwule und werden Freunde.

Das Bassiani ist ein queerfreundlicher Club in einer homofeindlichen Gesellschaft. Wie erleben Sie das?
Georgien hat ein Image als eines der homofeindlichsten Ländern überhaupt, vor allem nach den Angriffen am Internationalen Tag gegen Homophobie oder beim CSD in Tiflis in den vergangenen Jahren. Aber da ändert sich was in der Gesellschaft. Inzwischen findet in Tiflis jedes Wochenende mehrere queere Partys mit tausenden Gästen.

Und das ist nicht nur unsere Wahrnehmung, sondern wird auch durch Studien belegt: Laut einer Untersuchung des Europarats glaubt heute knapp die Hälfte der Georgier*innen, dass LGBTQ*-Menschen das Recht haben, öffentlich zu demonstrieren. Vor fünf oder zehn Jahren war die Zustimmung deutlich geringer.

Im März initiierte die Regierung ein Anti-LGBTQ*-Gesetz, auch dagegen hat das Bassiani protestiert.
Auch dieses Gesetz wurde in Russland geboren. Alleine das Reden über queere Rechte und Liebe oder Kunst, die sich mit queeren Themen befasst, wird demnach als Propaganda deklariert, die eine Gefahr für die Nation darstelle. Die konservative Regierung benutzt eine homofeindliche Politik, um Ängste zu schüren und Stimmen zu gewinnen. Und ob bei diesem Gesetz oder dem „Agenten-Gesetz“ machen sie dabei Copy-and-paste mit den Argumenten des Kremls.

Die Clubs bleiben einige der freisten Räume in unserer Gesellschaft, in denen die jüngere Generation sich trifft und politisiert. Wenn sie also Kritik stummschalten wollen, müssen sie mit den Clubs anfangen.

Giorgi Kikonishvil, Sprecher des Bassiani-Clubs

Laut internationalen Medienberichten verwehrt das Bassiani russischen Staatsbürger*innen den Zutritt. Stimmt das?
Nein, das ist nicht korrekt. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 flohen Zehntausende Russen nach Georgien innerhalb weniger Tage. Tiflis war voll mit Russen – auch die Clubs. Die Schlangen wurden plötzlich viel länger. Aber wir wollen keine Gäste, die unseren Club nur als Touristenattraktion sehen, sie müssen unsere Werte und unsere Liebe für die Musik teilen. Niemand wurde abgewiesen, nur weil er russisch ist.

Die meisten ukrainischen Männer dürfen ihr Land aktuell nicht verlassen, viele könnten eingezogen werden. Was macht das mit Ihnen, dass so viele Russen nach Georgien kommen und bei Ihnen feiern wollen?
Es ist ein unangenehmes Gefühl, definitiv.

Das Bassiani steht auch der „White Noise“-Bewegung nahe, einer Kampagne für die Entkriminalisierung von Drogen. 2018 wurde immerhin der Konsum von Cannabis entkriminalisiert. Gibt es langsam ein Umdenken bezüglich Georgiens notorisch strenger Drogenpolitik?
Was andere Drogen angeht, haben sie die Gesetze zwar nicht gelockert, aber das Verhalten dazu schon. Es gibt nicht so viele Opfer dieser Drogenpolitik wie früher, die wegen Besitz oder Konsum kleiner Mengen von Substanzen Haftstrafen absitzen mussten. Aber die Behörden können das weiterhin jederzeit als Begründung nutzen, jemanden festzunehmen, wenn sie wollen.

2018 gab es die von Ihnen bereits erwähnte Großrazzia im Bassiani. Schwerbewaffnete Polizisten stürmten den Club und nahmen rund 60 Menschen fest, auch zwei Mitgründer des Clubs. Der offizielle Grund: die Null-Toleranz-Drogenpolitik. Gab es seitdem weitere Durchsuchungen?
Noch nicht. Aber mit diesem „Agenten-Gesetz“ wird sich Georgien in ein autoritäres Regime verwandeln. Und dann werden die Clubs auf jeden Fall das nächste Ziel. Denn die Clubs bleiben einige der freisten Räume in unserer Gesellschaft, in denen die jüngere Generation sich trifft und politisiert. Wenn sie also Kritik stummschalten wollen, müssen sie mit den Clubs anfangen.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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