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Wie junge Erwachsene gewählt haben: „AfD hatte ich auch überlegt, aber das war mir dann zu krass“

Wie junge Erwachsene gewählt haben: „AfD hatte ich auch überlegt, aber das war mir dann zu krass“

© dpa/Maja Hitij

Wie junge Erwachsene gewählt haben: „AfD hatte ich auch überlegt, aber das war mir dann zu krass“

Bei der EU-Wahl haben deutlich mehr junge Menschen rechten Parteien ihre Stimme gegeben als früher. Wieso? Umfrage in einem Ort mit deutschen Durchschnittsergebnissen.

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Bei der Europawahl am 9. Juni 2024 durften erstmals Bürgerinnen und Bürger ab 16 wählen. Nachdem die Stimmzettel ausgezählt waren, war das Erschrecken groß. Denn die jungen Europäer, 16 bis 24 Jahre alt, wählten ähnlich rechts wie die älteren. Das war bei vorigen Wahlen anders. Wie ist der Rechtsruck zu erklären und was sind die Themen, die jungen Menschen wichtig waren?

In Dallgow-Döberitz im Havelland, etwa eine Stunde Autofahrt vom Berliner Alexanderplatz entfernt, haben die Menschen ziemlich genau so gewählt wie der deutsche Durchschnitt: 29 Prozent CDU (30 Prozent bundesweit), 19 Prozent AfD (16 Prozent), 13 Prozent SPD (14 Prozent), 11 Prozent Grüne (12 Prozent), 7 Prozent Bündnis Sahra Wagenknecht, BSW (6 Prozent), 5 Prozent FDP (5 Prozent), 2 Prozent Die Linke (3 Prozent), 14 Prozent andere Parteien (14 Prozent).

Der Tagesspiegel hat sich bei den jungen Menschen im Ort umgehört. Bei wem haben sie ihr Kreuz gemacht und wieso? Was beschäftigt sie? Und wie haben sie sich auf ihre erste EU-Wahl vorbereitet?

Es gibt Menschen, die sich auf Sozialleistungen ausruhen. Das sollte nicht sein.

Philipp H., 17

Wie junge Erwachsene gewählt haben: „AfD hatte ich auch überlegt, aber das war mir dann zu krass“

© Nora Ederer

„Mir war es wichtig, eine demokratische Partei der Mitte zu wählen, also nicht die AfD. Am 9. Juni habe ich meine Stimme dann der CDU gegeben. In der Schule habe ich den Wahl-O-Mat gemacht. Am Ende stand bei mir die Partei der Humanisten an erster Stelle. Aber ich wollte keine Kleinpartei wählen. Da ist nämlich klar, dass sie keine Mehrheit bekommt – und je mehr Parteien im Parlament sitzen, desto mehr Streit gibt es. Entscheidungen können weniger effektiv getroffen werden.

Das stört mich bei der Ampel-Regierung im Bundestag. Vielleicht habe ich die SPD nur deshalb nicht gewählt, weil sie Teil der Ampel ist. Die Spitzenkandidatin der CDU, Ursula von der Leyen, kannte ich schon vor dem Wahlkampf. Über die anderen habe ich mich mit der KI „Microsoft Copilot“ informiert.

Das Thema Klimaschutz war mir schon mal wichtiger als heute. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich halte es noch immer für sehr wichtig. Aber ich habe gemerkt, dass die Welt komplex ist und man nicht einfach überall Solaranlagen hinbauen kann. Atomkraft halte ich mittlerweile für eine gute Option, um die Energiewende zu schaffen – und die CDU ist dafür offener als zum Beispiel die Grünen. Das gefällt mir.

Außerdem finde ich gut, dass sich die CDU so für die Bezahlkarten eingesetzt hat, die Geflüchtete nun anstelle von Bargeld bekommen. Das ist ein Kompromiss: Man hilft den Menschen, kann aber besser kontrollieren, wofür sie das Geld ausgeben. Meine Mutter ist Sozialarbeiterin. Über sie bekomme ich mit, dass es Menschen gibt, die sich auf Sozialleistungen ausruhen. Das sollte nicht sein. Aber natürlich ist es richtig, dass Deutschland Menschen aus anderen Ländern aufnimmt und sie unterstützt.“

Ich dachte, wir sind aufgeklärter als die Alten und haben mehr Bewusstsein, was Rechtspopulismus und Rechtsextremismus angeht.

Leona W., 21

Wie junge Erwachsene gewählt haben: „AfD hatte ich auch überlegt, aber das war mir dann zu krass“

© Nora Ederer

„Vor der Wahl habe ich mich zusammen mit meiner Zwillingsschwester über die Parteien informiert. Wir haben gegoogelt, Flyer mit Wahlprogrammen gelesen und den Wahl-O-Mat gemacht. An erster Stelle standen bei mir Volt und die Tierschutzpartei. Mein Kreuz habe ich dann aber bei den Grünen gemacht. Ich dachte, vielleicht bringt das mehr als bei einer Kleinpartei.

Auf Instagram und Tiktok haben viele Leute, denen ich folge, Werbung für den Wahl-O-Mat gemacht. Auch in meinem Freundeskreis war die EU-Wahl Thema. Die meisten waren sich unsicher, wem sie ihre Stimme geben sollen.

Je älter wir werden, desto mehr sprechen wir über Politik. Mir persönlich sind zum Beispiel Digitalisierung und Klimaschutz wichtig. Früher war ich bei Fridays for Future aktiv.

Als ich die Ergebnisse der EU-Wahl gesehen habe, bin ich erschrocken. Ich habe nicht erwartet, dass so viele junge Leute die AfD wählen. Ich dachte, wir sind aufgeklärter als die Alten und haben mehr Bewusstsein, was Rechtspopulismus und Rechtsextremismus angeht. Ich mache mir Sorgen, dass die AfD bei den nächsten Bundestagswahlen genauso stark abschneiden wird wie nun auf EU-Ebene.“

Wie junge Erwachsene gewählt haben: „AfD hatte ich auch überlegt, aber das war mir dann zu krass“

 29 Prozent der Stimmen in Dallgow-Döberitz  gingen bei der Europawahl an die CDU, 19 Prozent an die AfD.

© imago/Bernd Friedel

Den rechtsextremen Flügel der AfD sollte man verbieten. Den Rest der Partei nicht, der hat gute Lösungsansätze.

David B., 18

„Ich habe für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) gestimmt. AfD hatte ich auch überlegt, aber das war mir dann zu krass, wegen Leuten wie Björn Höcke. Vor der Wahl habe ich mir ein sechseinhalb Stunden langes Interview von „Jung und Naiv“ mit dem AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah angeschaut. Seine Verharmlosung der Waffen-SS war mir dann aber zu viel.

Den rechtsextremen Flügel der AfD sollte man verbieten. Den Rest der Partei nicht, der hat gute Lösungsansätze, finde ich, etwa beim Thema Migration. Menschen, die nach Deutschland kommen, sollten einen Mehrwert für die Gesellschaft leisten. Der Fall in Mannheim, bei dem ein Mann aus Afghanistan einen Polizisten mit einem Messer so schwer verletzte, dass er starb, zeigt, dass es so nicht weitergehen kann.

Ich bin in Deutschland geboren, aber meine Familie stammt aus der Ukraine und Russland. Das Sterben der Menschen in der Ukraine muss aufhören. Deshalb bin ich für eine diplomatische Lösung des Kriegs. Der Konflikt wird nicht zu Ende gehen, wenn wir immer neue Waffen liefern. Putin und Selenskyj sollten sich an einen Tisch setzen.

Sahra Wagenknecht halte ich für eine kompetente Politikerin. Mir gefällt ihre Argumentationsweise und ihr Gesellschaftsbild. Ich wurde konservativ erzogen, Dinge wie das Selbstbestimmungsgesetz sind Quatsch. Und weil mir die AfD zu radikal ist, habe ich mein Kreuz beim BSW gemacht.“

Ich kann nachvollziehen, dass die Leute Angst haben, wenn Fremde ins Land kommen.

Caroline W., 17

„Frauenrechte und Umweltschutz sind mir am wichtigsten, etwa ein Recht auf Abtreibung und die Gleichberechtigung aller Geschlechter, sowie die Förderung von umweltfreundlicher Produktion in der Industrie. Am 9. Juni habe ich die Partei des Fortschritts (PdF) gewählt. Da habe ich dem Wahl-O-Mat vertraut, wo sie bei mir den ersten Platz belegte.

Ich habe eine Freundin mit Leistungskurs Politische Bildung gefragt, ob es Sinn macht, eine so kleine Partei wie die PdF zu wählen. Sie hat mir erzählt, dass es bei der Wahl keine Fünf-Prozent-Hürde gibt und deshalb auch Parteien, für die nur wenig Menschen stimmen, Sitze im EU-Parlament bekommen können.

Wie junge Erwachsene gewählt haben: „AfD hatte ich auch überlegt, aber das war mir dann zu krass“

Nahezu repräsentativ: Die FDP und auch die meisten anderen Parteien kamen in Dallow-Döberitz auf Ergebnisse wie im Bundesdurchschnitt.

© Nora Ederer

Außerdem finde ich: Wenn alle Menschen nur die großen Parteien wählen, dann landen wir am Ende vielleicht bei einer Situation wie in der USA, wo es nur noch zwei politisch relevante Kräfte gibt, die Demokraten und die Republikaner. Das ist nicht gut für unser System.

Ich verstehe nicht, wie man für die AfD sein kann, vor allem als Frau. Da unterstützt man ja eine Partei, die die eigenen Rechte einschränken will. Ich möchte selbst entscheiden können, ob ich arbeiten gehe oder den Haushalt mache, ob ich Kinder bekomme oder nicht. Auf Tiktok wurden mir viele Videos angezeigt, in denen Influencer sagen: „Geht wählen“ und „Stimmt gegen Blau“.

Was die Zuwanderung betrifft, kann ich nachvollziehen, dass die Leute Angst haben, wenn Fremde ins Land kommen. Aber das sind doch genau die Menschen, die dann in den Jobs arbeiten, für die sich die Deutschen zu fein sind.“

Ich fühle mich nicht wirklich repräsentiert.

Mateo D., 17

Wie junge Erwachsene gewählt haben: „AfD hatte ich auch überlegt, aber das war mir dann zu krass“

© Nora Ederer

„Ich wohne eigentlich in Berlin, habe aber gerade eine Freundin in Dallgow-Döberitz besucht. Bei der EU-Wahl habe ich meine Stimme der Linken gegeben, auch wenn ich nicht alle ihre Forderungen mittrage. Zum Beispiel bin ich skeptisch, was ein zu offenes Migrationsrecht angeht. Ich finde es wichtig, dass wir Kriegsflüchtlinge und politisch Verfolgte aufnehmen.

Eine Freundin von mir ist mit zwölf Jahren aus Syrien nach Deutschland geflohen. Ihre Geschichte hat mir gezeigt, dass man die Menschen, die zu uns kommen, nicht einfach wegschicken kann. Man muss ihnen helfen. Aber ich mache mir Sorgen, dass es so viele werden, dass wir uns um den oder die Einzelne von ihnen nicht vernünftig kümmern können.

Vom EU-Parlament wünsche ich mir, dass es Minderheiten schützt und genau darauf achtet, dass alle EU-Staaten die Menschenrechte einhalten. Außerdem darf es nicht sein, dass das Reisen innerhalb Europas mit dem Zug teurer ist als das Fliegen. Wir brauchen billigere Zugtickets und ein besser ausgebautes Netz.

Ich habe mal überlegt, einer Partei beizutreten, entweder den Linken oder den Grünen. Aber ich konnte mich nicht zwischen ihnen entscheiden. Dann standen die nächsten Klausuren und der Führerschein an und die Idee ist in den Hintergrund gerückt. Eigentlich wäre es wichtig, sich als junger Mensch in Parteien zu engagieren. Wirklich repräsentiert fühle ich mich nämlich nicht.“

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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