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Wie sicher ist die kritische Infrastruktur?: Schützen, was kaum zu schützen ist

Wie sicher ist die kritische Infrastruktur?: Schützen, was kaum zu schützen ist

© imago/Hans Blossey/imago/Hans Blossey

Wie sicher ist die kritische Infrastruktur?: Schützen, was kaum zu schützen ist

Trinkwasser-Alarm an drei Orten, lahmgelegte Flughäfen: Tut Deutschland genug zum Schutz seiner kritischen Infrastruktur? Wo die größten Gefahren lauern und was das mit Bachflohkrebsen zu tun hat.

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Neun Milliarden Kubikmeter Abwasser werden täglich in Deutschland gereinigt, pro Person der Bevölkerung werden pro Tag 129 Liter Trinkwasser benötigt – für verschiedenste Zwecke. Um die 10.000 dieser Menschen dürften am Donnerstagabend erschrocken sein, als in ihrer Heimat Mechernich in Nordrhein-Westfalen die Behörden warnten: Nutzen Sie das Wasser aus den Leitungen nicht! Trinken Sie es auf keinen Fall!

Der Grund für den Alarm: Im Zaun rund um einen Wasserbehälter war ein Loch gefunden worden. Szenarien machten die Runde: Könnte es sich um einen – versuchten oder gelungenen – Sabotageakt handeln? War die Bevölkerung in Gefahr? Die öffentliche Aufmerksamkeit war enorm, war doch erst am Mittwoch die Bundeswehrkaserne Köln-Wahn vorübergehend gesperrt worden. Auch dort: ein Loch im Zaun, außerdem wurde eine unbefugte Person auf dem Gelände gesichtet, es wurden laut Bundeswehr „abnorme Wasserwerte“ festgestellt. An einem zweiten Militärstandort gab es vorübergehend ebenfalls einen Alarm. Und auch der Wasserbehälter in Mechernich steht direkt neben einer Kaserne.

Im Laufe des Freitags kam aber schon vorläufige Entwarnung. Einige Untersuchungen stehen noch aus, doch vermutlich ist das Trinkwasser nicht verunreinigt. Wer weiß, wie lange das Loch im Zaun schon da war, bevor es bemerkt wurde.

Es ist noch unklar, was hinter den Vorkommnissen steckt, ob es um Sabotage geht oder sich am Ende alles als Verkettung unglücklicher Umstände herausstellt. Das Thema aber ist nach den Ereignissen der jüngsten Tage da: Sind wichtige Versorgungsanlagen so gut geschützt, wie sie es sein müssten? Wie leicht könnten Kriminelle oder Terroristen die Trinkwasserversorgung in Deutschland angreifen, mit potenziell bedrohlichen Folgen für die Bevölkerung?

Auch Flughäfen wurden in dieser Woche lahmgelegt

Zumal auch an deutschen Flughäfen in dieser Woche „Tag des offenen Zauns“ war. Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation drangen an mehreren Standorten auf die Gelände ein, darunter Berlin und Köln/Bonn. Sie klebten sich fest, legten den Betrieb lahm, und so entstand einmal mehr der Eindruck: Um einen deutschen Flughafen außer Betrieb zu nehmen, genügen ein Bolzenschneider und eine Tube Alleskleber.

Wie gut ist Deutschland gewappnet gegen all jene, die es ernst meinen mit ihren Angriffen auf die kritische Infrastruktur, auf all das, was eine Gesellschaft unbedingt und jederzeit benötigt, damit die öffentliche Sicherheit stabil bleibt und keine Menschenleben in Gefahr sind?

„In Deutschland gibt es rund 5500 Anlagen, in denen Trinkwasser aufbereitet wird. Die wenigsten sind ernsthaft gegen Angreifer geschützt“, sagt Hans-Walter Borries. Er lehrt an der Hochschule Magdeburg-Stendal zum Thema, führt ein privates Institut für wirtschafts- und Sicherheitsstudien und ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands für den Schutz kritischer Infrastrukturen, einer Interessenvertretung von Unternehmen und Einrichtungen.

Borries sieht viele Schwachpunkte: Viele Trinkwasser-Anlagen seien nur mit einem Maschendrahtzaun und simplen Kameras ohne hochwertige Bewegungsmelder gesichert. Solche Hürden seien leicht zu überwinden, zumal es in vielen Anlagen gar kein Personal gebe. „Wer zum Beispiel nachts eindringt, kann dann auch tatsächlich Trinkwasser kontaminieren.“

Mehr Schutz für Wasserwerke wäre möglich, aber teuer

Das würde zwar sofort auffallen, sagt Borries, denn das Wasser werde permanent von vielen Sensoren überwacht. Doch die Frage sei, ob Warnungen schnell genug alle Menschen im Umkreis des Wasserwerks erreichen würden, die potentiell in Gefahr seien.

In Deutschland gibt es rund 5500 Anlagen, in denen Trinkwasser aufbereitet wird. Die wenigsten sind ernsthaft gegen Angreifer geschützt.

Experte Hans-Walter Borries

Das Sicherheitsniveau könnte durchaus erhöht werden, sagt Borries. Mit stabilen Zäunen aus Stahl, hochwertigen Bewegungsmeldern, Perimeterschutz (also Schutz des direkten Umfelds), Wachpersonal im Streifendienst und auch mit permanent umherfliegenden Mini-Drohnen, die das Gelände überwachen. „Aber es ist klar: Hundert Prozent Sicherheit sind nicht zu erreichen.“

Und außerdem sind solche Maßnahmen teuer. Zuständig sind die jeweiligen Betreiber der Anlagen, also zum Beispiel kommunale Wasserbetriebe. In den Büros vor Ort von Flensburg bis Konstanz, in denen über das Budget entschieden wird, sind Risiken wie Russlands hybride Kriegsführung und islamistische Terroristen zumindest auf den ersten Blick weit weg.

„Die Zeiten, in denen Deutschland auf ernsthaften Schutz im Inneren verzichten konnte, sind vorbei, spätestens seit 2022. Das Land muss für die Sicherheit mehr Geld in die Hand nehmen“, sagt Borries. Er mahnt: Im Ernstfall wäre die Gefahr für Leib und Leben enorm.

„Hunderttausende Menschen in einem Ballungsgebiet lassen sich nicht mal eben ersatzweise versorgen, und eine große Stadt kann auch nicht auf die Schnelle evakuiert werden.“ Zum Beispiel, weil nicht jeder fit und mobil ist und seine Wohnung oder sein Pflegebett einfach verlassen kann. An der Sicherheit der Wasserversorgung hängt viel, bis hin zum Einsatz der Feuerwehr, die beim Löschen über die Hydranten ebenfalls Trinkwasser nutzt.

Ganz so simpel wäre ein Angriff nicht

„Die Trinkwasserversorgung ist gut gesichert“, sagt hingegen Wolf Merkel, Vorstandsmitglied des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches. Dieser Verein vernetzt die vielen deutschen Wasserbetriebe miteinander, arbeitet in der Forschung ebenso wie an Qualitätsstandards, auch für die Sicherheit.

Die Schutzkonzepte funktionieren.

Experte Wolf Merkel

In den vergangenen Jahrzehnten sei in Deutschland kein einziges Mal die Trinkwasserqualität tatsächlich durch Sabotage beeinträchtigt worden, sagt Merkel. Seit dem Terrorangriff des 11. September 2001 sei das Risikobewusstsein der Betreiber stark gestiegen. Die Schutzkonzepte für die Anlagen könne man sich wie eine Zwiebel mit mehreren Schalen vorstellen, vom äußeren Zaun über einbruchssichere Türen im Inneren bis zu den Messsensoren im Wasser. „Natürlich kann jede dieser Schalen verstärkt werden. Dazu gibt es aber keinen Anlass, die Schutzkonzepte funktionieren.“

Das Szenario, nachts könnte ein Angreifer in eine kleinere Anlage eindringen, hält auch Merkel für möglich. Doch er wendet ein: „So ein Angriff ist nicht so simpel, wie man ihn sich vielleicht vorstellt. Bis hin zu ganz praktischen Fragen: Wie soll denn ein großes Fass mit Schadstoff an die Oberkante eines hohen Wassertanks gelangen?“ Dass das System sehr dezentral organisiert sei, mit vielen kleinen Anlagen, sei außerdem in Sachen Sicherheit ein Vorteil. „Dass ein Ballungsraum mit hunderttausenden Menschen plötzlich komplett ohne Trinkwasser ist, halte ich für nicht vorstellbar.“

Cyber-Sicherheit ist die größte Herausforderung

Doch auch Merkel sagt klar: „Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht.“ Als größte Herausforderung sieht er das Thema Cyber-Sicherheit. „Die Betreiber waren in den vergangenen Jahren zurückhaltend in Sachen Digitalisierung, zum Beispiel wenn es darum ging, Anlagen aus der Ferne steuerbar zu machen. Diese Zurückhaltung könnte sich noch als Stärke erweisen.“ Doch nun gebe es klaren Handlungsbedarf angesichts neuer Bedrohungen.

Die kommen zum Beispiel aus Staaten, die Deutschland feindlich gesonnen sind, von Russland bis Iran. Und dann sind da die Herausforderungen im Inneren bei anderen Bereichen der kritischen Infrastruktur. Zum Beispiel durch die Klimakleber, die sich bei ihrem Protest nicht an Recht und Gesetz gebunden sehen.

„Flughäfen ließen sich verhältnismäßig einfach besser sichern“, sagt Borries. Derzeit gebe es meist nur einen Maschendrahtzaun rund um das Gelände. Aus seiner Sicht viel zu wenig. Er plädiert für feste Metallzäune, „zwei Meter hoch, 80 Zentimeter im Boden verankert“. Davor sollte es Gräben geben, „damit niemand mit einem Fahrzeug an den Zaun heranfahren kann“, außerdem Sensoren, die Leitstellen alarmieren, wenn nötig. „Dann wäre Schluss mit Klimaklebern auf der Landebahn.“

Derzeit würden pro laufendem Meter Flughafen-Umzäunung um die 1000 Euro ausgegeben, schätzt Borries. Mit seinem Konzept, so glaubt er, würden um die 5000 Euro gebraucht. „Bisher ist das gesetzlich nicht vorgeschrieben, aber mit politischem Willen ließe sich das ändern.“

Auch bei der Gesundheit sieht der Experte große Risiken

Trinkwasser und Flughäfen, das sind die beiden Sektoren, die in dieser Woche im Fokus standen. Doch es gibt noch mehr. Auf neun Sektoren der Kritischen Infrastruktur haben sich Bund und Länder in einer gemeinsamen Definition geeinigt: Wasser, Energie, Ernährung, Finanz- und Versicherungswesen, Gesundheit, Informationstechnik und Telekommunikation, Siedlungsabfallentsorgung, Medien und Kultur, Staat und Verwaltung sowie Transport und Verkehr. Spätestens beim Gedanken an zehntausende Schienenkilometer der Bahn wird deutlich: Vollständig wird sich die kritische Infrastruktur niemals schützen lassen.

Was ist mit Altenheimen, Laboren, Apotheken? Was mit der häuslichen Pflege? Es gibt da schlicht keine ernstzunehmenden Schutzkonzepte. 

Experte Hans-Walter Borries

Die Liste zeigt auch: Zur kritischen Infrastruktur gehört sehr viel. Seit der Corona-Pandemie ist der Begriff „systemrelevant“ in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen. Damals hat das ganze Land gespürt und gesehen, wer alles unbedingt und jederzeit gebraucht wird: das Personal im Supermarkt genauso wie die Technikerin im Fernsehstudio.

Und all diese Bereiche sind verwundbar. Zum Beispiel bei der Gesundheits-Infrastruktur sieht Experte Borries große Probleme: „Deutsche Krankenhäuser haben Notstrom-Aggregate für 48 Stunden, und das war es im Wesentlichen.“ Er hält das für viel zu wenig. „Was ist mit Altenheimen, Laboren, Apotheken? Was mit der häuslichen Pflege? Es gibt da schlicht keine ernstzunehmenden Schutzkonzepte. Im Katastrophenfall könnte das fatale Auswirkungen haben.“

Beim Beispiel Trinkwasserversorgung zeigt sich auch, dass der Schutz der kritischen Infrastruktur im politischen Wettbewerb gegen andere Ziele zu bestehen hat. Zum Beispiel den Tierschutz. Das weiß Stephan Natz zu berichten, Sprecher der Berliner Wasserbetriebe.

Bachflohkrebse im Einsatz für die Sicherheit

Die hatten einst Moderlieschen im Einsatz, eine kleine Fischart. Nach dem Prinzip des Kanarienvogels im Bergwerk sollten die Fische ein Warnmelder sein: Geht es ihnen nicht mehr gut, stimmt etwas mit der Wasserqualität nicht.

Das aber rief die Tierschutzbehörden auf den Plan. Moderlieschen nämlich sind Wirbeltiere, so einfach ist es da nicht mit dem für die Fische potenziell lebensgefährlichen Einsatz zum Wohle der Bevölkerung einer Millionenstadt. Am Ende mussten Bachflohkrebse den Job übernehmen.

Auch Natz sieht die deutsche Wasserwirtschaft gut aufgestellt gegen Angriffe. Und er bestätigt: IT-Sicherheit ist das Thema der Stunde. Hier habe sein Unternehmen in den vergangenen Jahren die Anstrengungen am meisten intensiviert.

Die Sicherheit lebt aber auch davon, eben nicht genau zu sagen, was alles unternommen wird. Natz’ Fazit: „Wir tun eine ganze Menge, aber wir reden nicht darüber.“

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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